piwik no script img

Studie über Dämonisierung von FrauenDas mordende Weib

Mineke Schipper hat weltweit den Geschichten und Mythen nachgespürt, die Frauen zu Frauen machen. Sie dienen der Ausübung von Kontrolle.

Ein Austellungstück des Vaginas Museum in London Foto: Susannah Ireland/Laif

Deutlich zeichnet sich eine weibliche Wölbung auf seiner Brust ab: Es ist Jesus, der mit einer wohlgeformten Brust die Christenheit nährt. Das kollektive christliche Gedächtnis scheint diese Jesus-Darstellungen verdrängt zu haben. Sie ist keine Ausnahme, auch Shiva wird mit weiblicher Körperhälfte dargestellt. Weiblich und männlich, in einem Körper vereint, mythische Transsexualität. Fast scheint es, als wollten einige Mythen die Existenz des weiblichen Geschlechts, seine Macht und Ohnmacht, verschleiern.

Solchen Mythen widmet sich Mineke Schipper in ihrem Buch „Mythos Geschlecht“. Die Autorin war unter anderem Professorin für interkulturelle Literaturwissenschaft und lehrte in den 60er Jahren an der Universität Kongo. Kenntnisreich und fundiert erzählt Schipper von den Mythen, die das weibliche Geschlecht umranken.

Wer hätte gedacht, dass die Vorstellung, in der Vagina könnten Schlangen hausen, nicht nur historisch weit verbreitet war, sondern bis heute anhält? So groß ist die Angst vor der vaginalen Schlangengrube, dass manche Kulturen Männer bestimmten, die die gefährliche Arbeit der Entjungferung von Frauen übernahmen. Sigmund Freud übrigens mutmaßte, dass man so den Bräutigam davor bewahren wollte, den Hass der Braut über die (gewaltvolle) Entjungferung auf sich zu ziehen.

Viele Mythen über die Entstehung der Welt erzählen von der Aneignung weiblicher Attribute durch männliche Schöpfergottheiten. Beinahe scheint es so, als sei der wichtigste männliche Beitrag zur Mythenbildung derjenige gewesen, die Gebärfähigkeit der Frau aus dem kollektiven Bewusstsein zu tilgen. Spricht daraus Gebärneid? Oder die schreckliche Angst vor der ungeheuren Macht des Uterus, Leben heranwachsen zu lassen?

Das Buch

Mineke Schipper: „Mythos Geschlecht“. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020, 351 Seiten, 24 Euro

Nicht nur in Mythen können Kinder aus männlichen Kniekehlen oder dem Penis schlüpfen. Auch Naturwissenschaftler des 18. Jahrhunderts wollten im Sperma winzig kleine Menschlein erkennen, die nur noch in ein Gefäß, einen weiblichen Uterus, verpflanzt werden mussten.

Vulven schlagen Krieger in die Flucht

Gemein haben die aufgezeigten Mythen, dass sie der Frau, ihrem Geschlecht, besondere Schwächen zuschreiben, die seine Beherrschung erklären sollen, ihm zugleich aber ungeheure Macht unterstellen. Oder wie sonst könnten entblößte Vulven Kriegerstämme in die Flucht schlagen?

Unreinheit, Unkeuschheit, alles Schlechte der Welt scheint im Weiblichen zu wurzeln. Warum eigentlich hat sich weltweit eine Dominanz des Mannes über die Frau durchsetzen können?

Schipper kann zwar die Mythen, die die Unterwerfung „rechtfertigen“, beschreiben, aber keine eigentliche Erklärung für die Ausrichtung dieser Erzählungen liefern. Die Vorstellung, es habe möglicherweise matriarchale Kulturen in ferner Vergangenheit gegeben, weist sie zurück: keine Beweise, nirgends. Aber wenn schon keine weibliche Vorherrschaft – warum erscheint ein Geschlechterequilibrium im Mythos unmöglich?

Handfeste Machtinteressen

Weil Mythen eine Rechtfertigung dafür liefern, warum die Welt so ist, wie sie ist; weil sie das Politische, die handfesten Machtinteressen überdecken und sie in heitere Erzählungen kleiden, ist ihre Wirkung so nachhaltig. Mythen mag man belächeln, aber der Kern der symbolischen Darstellung bleibt unbewusst bestehen.

Oder warum werden Periodenprodukte im TV mit blauer Flüssigkeit beschmiert? Das Tabu des Periodenbluts wirkt nach, auch wenn die Rechtfertigungsgründe heute „rationaler“ erscheinen. Blut ist doch unhygienisch, wer will das sehen?

Mythisches Denken ist nachhaltig

Die Reise durch die Welt der Mythen, die so wenig mit „unserer“ aufgeklärten Kultur zu tun zu haben scheint, lehrt uns deutlich, wie nachhaltig mythisches Denken uns bestimmt.

Nun wäre all das eventuell eine faszinierende, amüsante, manchmal erschütternde Fußnote, hätten diese Mythen nicht bis heute handfeste, bisweilen brutale Folgen. In der weiblichen Genitalverstümmelung, von der Millionen von Frauen weltweit betroffen sind, spiegelt sich vielleicht am deutlichsten das unheilvolle Nachwirken des Mythos vom unreinen weiblichen Geschlecht wider.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • "

    Nun wäre all das eventuell eine faszinierende, amüsante, manchmal erschütternde Fußnote, hätten diese Mythen nicht bis heute handfeste, bisweilen brutale Folgen. In der weiblichen Genitalverstümmelung, von der Millionen von Frauen weltweit betroffen sind, spiegelt sich vielleicht am deutlichsten das unheilvolle Nachwirken des Mythos vom unreinen weiblichen Geschlecht wider."

    Wie wahr. Der verklemmte Umgang mit Sexualität vor allem von Seiten des Klerus jeglicher couleur lässt den normalen Umgang mit dem menschlichen Körper keinen Raum.

  • taz: "Unreinheit, Unkeuschheit, alles Schlechte der Welt scheint im Weiblichen zu wurzeln. Warum eigentlich hat sich weltweit eine Dominanz des Mannes über die Frau durchsetzen können?"

    Das frage ich mich auch schon lange. Mehr als die Hälfte unserer Gene stammen nämlich von unserer Mutter. Mag auch die Hälfte unserer DNA von unserem Vater stammen, so stammen doch sämtliche Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen) von unserer Mutter. Säugetiere (und dazu gehört der Mensch natürlich auch) sind 'in utero' zunächst alle weiblich (deshalb haben Männer ja auch Brustwarzen, obwohl die eigentlich sinnlos für einen Mann sind). Erst im weiteren Verlauf werden die weiblichen Genitalien in männliche umgewandelt. Biologen sind auch der Meinung, dass dieser Einfall der Natur (Umwandlung vom weiblichen zum männlichen Geschlecht), nicht so sorgfältig konstruiert wurde wie das weibliche Original. Die 'Schöpferin' hat sich wohl gedacht: "Die Männer braucht man ohnehin nur zur Fortpflanzung, also können Männer auch etwas einfacher konstruiert sein". Mit dem Testosteron des Mannes kam dann aber leider auch die Machtgier der Männer in die Welt und damit wurde der Frau ihre eigentliche Vormachtstellung geraubt.

  • .....Gebärneid von Seiten der Männer ist viel mächtiger als weiblicher Penisneid ....



    Na , ja die einen sagen so........



    Wir brauchen Hilfe:



    Die Kunst einen Mann zu lieben



    www.youtube.com/wa...AAYASAAEgLGZ_D_BwE



    2.Na,ja die einen sagen so......

    Im ersten Moment dachte ich, wat für'n großes Streichholz..



    (Schtritzi)

  • Na Servus

    Anders gewendet.



    Nehmenmer mal Mythen klassisch als Projektionen. Newahr.



    Denn ist auch klar - Es gibt keine Projektion - ohne daß auf der Projektionsfläche etwas ist.



    &Das - genderneutral -



    Wieder zum VXXLten mal.



    Normal - a gähn.

    unterm——- spannend



    images.app.goo.gl/bQS9LTQv7qvLJchG7 - Masel tov - 🤣 -

  • Das mit der Farbe in der Bindenwerbung hat mich schon als (männliches) Kind verwirrt.

    Aber einen Mythos habe ich auch noch:



    Fast alle Radfahrer*innen, die sich auf dem Radfahrstreifen bei roter Ampel nach vorne links drängeln, behindern dann bei grüner Ampel die nachfolgenden Radler, weil sie nicht im Entferntesten ein adäquates Tempo vorlegen können.



    Ich kann zwar diesen Mythos beschreiben, aber keine eigentliche Erklärung für die Ausrichtung dieser Erzählung liefern

    • @Berliner Berlin:

      Was ist denn ein adequates Tempo beim Ampelstart???

  • 0G
    03030 (Profil gelöscht)

    'Warum eigentlich hat sich weltweit eine Dominanz des Mannes über die Frau durchsetzen können?'



    irgend welcher mythen wegen wohl nicht.



    koennte es mit biologoschen gegebenheiten zu tun haben? war es gar der menschlichen sozialen evolution zutraeglich?you tell me.

    • @03030 (Profil gelöscht):

      Der Evolution zuträglich: Das hieße, Evolution ziele in irgendeiner Form auf Verbesserung im großen Maßstab. Sie findet aber immer nur in extrem begrenzten Kontexten und vor allem nicht gerichtet statt. Irgendwas überlebt halt. Und sie ist gewiss kein Argument für ein X-Archat, denn das isteine moralische Frage (naturalistischer Fehlschluss).

      www.youtube.com/watch?v=zTLflri1TRM

    • @03030 (Profil gelöscht):

      Hat es womöglich mit dem "guten" alten Naturgesetz des Stärkeren zu tun?

      • @Berliner Berlin:

        Eher nicht.

        Sobald konkurrierende Häuptlinge nicht mehr auskämpfen, wer der Stärkere ist und deshalb ein Anrecht auf die Vormachtstellung hat, verliert das Naturgesetz seine Bedeutung.

        Bereits die despotischen Herrscher früher Hochkulturen setzen ihren Machtanspruch nicht mehr im Zweikampf durch.

        Damit wäre der Palast für weibliches Herrscherpersonal eigentlich offen gewesen.

        Komischerweise kam es aber immer noch nirgends zu einem richtigen Matriarchat.

        Damit steht eine andere biologische Komponente im Raum.

        Wissenschaftlich untersucht ist, dass Frauen besser in Kommunikation sind.

        Möglicherweise sind Männer aber besser in Kooperation.

        Das wäre dann eigentlich genau das, was der Feminismus aktuell anprangert: männliche Kooperation. (Nur nutzt der Feminismus natürlich eine Framing mit negativ besetzten Begriffen.)

        Und bei Kooperation sind wir sehr wohl wieder bei den Mythen, den Kooperation findet sehr häufig auf der Grundlage von Erzählungen (Narrativen) statt - ob Gottesgnadentum, Nation, Volkswille, Rasse/race oder Menschenrechte.

        Dann hätte die männliche Dominanz sich durchaus auf Grundlage von Mythen durchgesetzt, allerdings anders das die Autorinnen von Buch und Artikel es beschreiben.

        Die dargestellten Mythen würden der Argumentationslinie folgen: "Lasst uns Männer herrschen, bevor es die unreinen Frauen tun."

        Keine langfristig effektive Strategie.

  • Toilettenpapier wird meistens auch sauber in Werbungen präsentiert. Taschentücher ebenfalls. Was man hier fordert, ist wohl eher die Vergötterung allen Weiblichen, selbst wenn es sich nur um banale Körperausscheidungen handelt. Nichts bääh, nichts juppie, einfach nur Körperfunktion.

  • Gebärneid von Seiten der Männer ist viel mächtiger als weiblicher Penisneid (der wahrscheinlich kaum existiert, höchstens als Neid auf ein abgefeiertes Symbol für Potenz und Macht).

    Männer haben über so vieles die Macht, aber sie bringen keinen neuen Menschen in diese Welt. Da patriarchale Macht mit Kontrolle aller Lebensbereiche zu tun hat, ist dieser Umstand ein riesiges Manko in der männlichen Beherrschbarkeit der Welt und Selbstwahrnehmung und damit eine massive Kränkung.

    An der Schwangerschaft und Geburt können sie nicht mitwirken - das wird als Schmach und Machtmanko wahrgenommen.

    Daher auch die Mythen über böse Frauen, schlangenhafte, gefräßige Vaginen ... es steht inzwischen nicht gut um das Selbstverständnis des Mannes in der Welt, aber damit kommen auch viele Frauen nicht klar, die sich tagtäglich ach so gern dem pfosteneinschlagenden Mann anpassen wollen, so wie sie es artig gelernt haben.

    Man wählt die widerwärtigsten Typen in die Ämter (Trump, Bolosnaro, Erdogan etc.), damit es mit dem Weltuntergang klappt.

    • @cazzimma:

      Also allesamt machtgeile Kontrollfreaks, die Männer. Und wo die Herren die Herrschaft nicht durchsetzen können ist die Reaktion Gewalt und Brutalität.



      Schon erstaunlich wie sehr im Kontext ausgerechnet der Studie „Mythos Geschlecht“ deren Ziel ja offenbar Nachzeichnung und Dekonstruktion eben jener Mythen ist, dann doch wieder die Regression in sterotype Zuschreibungen und Rollenklischees evoziert wird.

    • @cazzimma:

      Tiefenpsychologie mal andersherum. Bleibt trotzdem der gleiche konstruierte Blödsinn, wie Freuds Penisneid.

    • @cazzimma:

      "An der Schwangerschaft und Geburt können sie nicht mitwirken - "



      Wie genau nochmal werden Frauen ohne Männer schwanger? Durchs Feld laufen?