Studie über Dämonisierung von Frauen: Das mordende Weib
Mineke Schipper hat weltweit den Geschichten und Mythen nachgespürt, die Frauen zu Frauen machen. Sie dienen der Ausübung von Kontrolle.
Deutlich zeichnet sich eine weibliche Wölbung auf seiner Brust ab: Es ist Jesus, der mit einer wohlgeformten Brust die Christenheit nährt. Das kollektive christliche Gedächtnis scheint diese Jesus-Darstellungen verdrängt zu haben. Sie ist keine Ausnahme, auch Shiva wird mit weiblicher Körperhälfte dargestellt. Weiblich und männlich, in einem Körper vereint, mythische Transsexualität. Fast scheint es, als wollten einige Mythen die Existenz des weiblichen Geschlechts, seine Macht und Ohnmacht, verschleiern.
Solchen Mythen widmet sich Mineke Schipper in ihrem Buch „Mythos Geschlecht“. Die Autorin war unter anderem Professorin für interkulturelle Literaturwissenschaft und lehrte in den 60er Jahren an der Universität Kongo. Kenntnisreich und fundiert erzählt Schipper von den Mythen, die das weibliche Geschlecht umranken.
Wer hätte gedacht, dass die Vorstellung, in der Vagina könnten Schlangen hausen, nicht nur historisch weit verbreitet war, sondern bis heute anhält? So groß ist die Angst vor der vaginalen Schlangengrube, dass manche Kulturen Männer bestimmten, die die gefährliche Arbeit der Entjungferung von Frauen übernahmen. Sigmund Freud übrigens mutmaßte, dass man so den Bräutigam davor bewahren wollte, den Hass der Braut über die (gewaltvolle) Entjungferung auf sich zu ziehen.
Viele Mythen über die Entstehung der Welt erzählen von der Aneignung weiblicher Attribute durch männliche Schöpfergottheiten. Beinahe scheint es so, als sei der wichtigste männliche Beitrag zur Mythenbildung derjenige gewesen, die Gebärfähigkeit der Frau aus dem kollektiven Bewusstsein zu tilgen. Spricht daraus Gebärneid? Oder die schreckliche Angst vor der ungeheuren Macht des Uterus, Leben heranwachsen zu lassen?
Mineke Schipper: „Mythos Geschlecht“. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020, 351 Seiten, 24 Euro
Nicht nur in Mythen können Kinder aus männlichen Kniekehlen oder dem Penis schlüpfen. Auch Naturwissenschaftler des 18. Jahrhunderts wollten im Sperma winzig kleine Menschlein erkennen, die nur noch in ein Gefäß, einen weiblichen Uterus, verpflanzt werden mussten.
Vulven schlagen Krieger in die Flucht
Gemein haben die aufgezeigten Mythen, dass sie der Frau, ihrem Geschlecht, besondere Schwächen zuschreiben, die seine Beherrschung erklären sollen, ihm zugleich aber ungeheure Macht unterstellen. Oder wie sonst könnten entblößte Vulven Kriegerstämme in die Flucht schlagen?
Unreinheit, Unkeuschheit, alles Schlechte der Welt scheint im Weiblichen zu wurzeln. Warum eigentlich hat sich weltweit eine Dominanz des Mannes über die Frau durchsetzen können?
Schipper kann zwar die Mythen, die die Unterwerfung „rechtfertigen“, beschreiben, aber keine eigentliche Erklärung für die Ausrichtung dieser Erzählungen liefern. Die Vorstellung, es habe möglicherweise matriarchale Kulturen in ferner Vergangenheit gegeben, weist sie zurück: keine Beweise, nirgends. Aber wenn schon keine weibliche Vorherrschaft – warum erscheint ein Geschlechterequilibrium im Mythos unmöglich?
Handfeste Machtinteressen
Weil Mythen eine Rechtfertigung dafür liefern, warum die Welt so ist, wie sie ist; weil sie das Politische, die handfesten Machtinteressen überdecken und sie in heitere Erzählungen kleiden, ist ihre Wirkung so nachhaltig. Mythen mag man belächeln, aber der Kern der symbolischen Darstellung bleibt unbewusst bestehen.
Oder warum werden Periodenprodukte im TV mit blauer Flüssigkeit beschmiert? Das Tabu des Periodenbluts wirkt nach, auch wenn die Rechtfertigungsgründe heute „rationaler“ erscheinen. Blut ist doch unhygienisch, wer will das sehen?
Mythisches Denken ist nachhaltig
Die Reise durch die Welt der Mythen, die so wenig mit „unserer“ aufgeklärten Kultur zu tun zu haben scheint, lehrt uns deutlich, wie nachhaltig mythisches Denken uns bestimmt.
Nun wäre all das eventuell eine faszinierende, amüsante, manchmal erschütternde Fußnote, hätten diese Mythen nicht bis heute handfeste, bisweilen brutale Folgen. In der weiblichen Genitalverstümmelung, von der Millionen von Frauen weltweit betroffen sind, spiegelt sich vielleicht am deutlichsten das unheilvolle Nachwirken des Mythos vom unreinen weiblichen Geschlecht wider.
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