Neuer Roman von Isabell Lehn: Überfordernde Körperlichkeit
Weiblicher Leib und weibliches Leid in einer klaren, oft urkomischen Sprache: „Frühlingserwachen“ thematisiert die Frage nach dem Mutterwerden.
Sie blutet und blutet. Das Blut, das sich schwallartig aus der Protagonistin ergießt, ist der eigentümliche Taktgeber für diesen Roman. Aber beginnen wir am Anfang: Da, wo in Isabelle Lehns Roman „Frühlingserwachen“ die Protagonistin namens Isabelle Lehn zu ihrem Therapeuten geht.
Der Frühling ist da, mit ihm gerät der Botenstoffhaushalt der Patientin aus dem Gleichgewicht. Nicht der Winter verzeichnet die meisten Suizide, nein, es ist der heimtückische Frühling, mit dem Erwachen allen Lebens, mit dem botenstoffbefeuerten Hirn, der die Depressive mit manischen Zügen an ihre Grenze bringt. Seelisch wie körperlich. Man kennt das von Faust, obwohl, ihn retten die Osterglocken. Aber dafür muss er vorher ja schließlich durch die Hölle, die seelische jedenfalls.
Nur noch eine Handvoll Sitzungen bleiben der Patientin, ihr Selbst zu stabilisieren und obendrein die große Gretchenfrage des Frauseins jenseits der Dreißig zu beantworten: Wie hältst du’s mit dem Kinderkriegen? Uff, eigentlich will sie, vielleicht. Ach doch, schon, Versuche gab es. Sie endeten in Aborten. Künstliche Befruchtung wäre vielleicht eine Lösung. Aber will man das? Will man, dass sie die Eierstöcke auf die Größe einer Orange aufblähen, auf dass sie punktiert werden? Eigentlich kann frau das nicht wollen.
Probebohrungen im Unterleib
Und trotzdem: Der Körper wird sondiert. Ganz konkret physisch werden Probebohrungen in den Unterleib unternommen. Sie sollen feststellen, ob Eizellen reifen, ob Gebärmutterzellen dorthin wandern, wo sie nichts zu suchen haben, ob sich in diesem Schoß Leben entwickeln könnte. Sondiert wird aber auch sprachlich: Der Leib und sein Leid werden in einer klaren, oft zynischen, manchmal urkomischen Sprache brutal auseinandergenommen.
Die so Sondierte reagiert darauf immer und immer wieder mit schwallartigen Blutungen. Auf inhaltlicher Ebene stellen sie die Tragik eines Körpers dar, der irgendwie nicht leisten kann, wofür er doch angeblich geschaffen sein soll: das Gebären. Auf textlicher Ebene strukturiert das Blut, das „suppt“, die Erzählung, die immer wieder mit dem Bluten einsetzt und mit dem Nachdenken über den Roman aufhört.
Ein zyklisches Erzählen. Nun muss man ganz vorsichtig sein, es nicht als weibliches Erzählen zu bezeichnen – oder muss man da vielleicht gerade doch nicht so vorsichtig sein? Zwischendrin jedenfalls fragt sich die begeistert lesende Rezensentin, ob ein Mann sich diesen Text zumuten würde. Allenthalben so viel überfordernde Körperlichkeit!
Dieser Roman, wenn man ihn denn so nennen will, diese Autofiktion, die allenthalben ausstellt, dass sie mit den Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit spielt, ist ungeheuer vielschichtig. Es geht um eine Manisch-Depressive, ja und nein. Um eine Frau mit Kinderwunsch und Nicht-Kinderwunsch (sicher ist sie sich nicht).
Bluten und Schreiben
Der eigentliche Inhalt dieses Romans ist seine Verfertigung: Man schaut der Schreibenden beim Schreiben des Textes zu. Eben noch reflektiert sie, dass ihr Partner im Text gerne ein Jazz-Saxofonist wäre (es ist doch schließlich Fiktion!), da ist er es auch schon. Eben noch erzählt Isabelle Lehn, die Erzählerin, vom Bluten und Schreiben, da fügt Isabelle Lehn, die Autorin, eine Passage über das Spiel Isabelle Lehns mit der Autofiktion in den Text ein.
Isabelle Lehn: „Frühlingserwachen“. Fischer, Frankfurt a. M. 2019, 256 Seiten, 21 Euro
Der Roman, der von einem Leib handelt, der nicht gebären kann oder will, schildert die Geburt eines Werks. Es heißt ja, es sei der männliche Gebärneid, der den Antrieb für das Erschaffen großer Kunst bilde. Die Frau nun kann, theoretisch jedenfalls, beides: gebären und schöpfen. Aber wer muss schon leibhaftige Kinder bekommen, wenn er Romane schreiben kann?
Und nun das Beste: Diese komplexe Struktur aus verschachtelten Rahmenerzählungen, die mal um den Leib, mal ums Schreiben kreisen, sowie die Sprünge zwischen Erzähl- und Reflexionsebene, zwischen Objekt- und Metaebene, lesen sich ganz und gar mühelos. Aufwendig konstruierte Texte kranken ja bisweilen daran, dass sie ihre Struktur allzu sehr ausstellen und diese sich zwischen Rezeption und Text schiebt. Nicht hier.
Kein Kitsch und Schwulst
Der elaborierten Struktur steht in diesem Roman zudem eine klare und zugleich poetische Sprache gegenüber. „Draußen stürmt es, und die Welt schmeißt mir ihr Zeug um die Ohren“, heißt es. Eine gewisse Härte gesellt sich den poetischen Bildern bei, so vermeidet Lehn jeden Anflug von Kitsch und Schwulst.
Man freut sich, dass Isabelle Lehn, geboren 1979, als Dozentin am Literaturinstitut in Leipzig tätig ist. Man kann schließlich nur hoffen, dass ihre Sprache in ihrer Reduziertheit, die gänzlich frei ist von gekünstelten Manierismen, stilbildend ist.
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