Stromkrise auf dem Balkan: Den Saft abgedreht
Wegen der Energiekrise verbietet Kosovo das Schürfen von Kryptogeld. Klingt nach Science-Fiction? Stimmt. Ist aber Realität.
![Strommasten stehen vor der untergehenden Sonne Strommasten stehen vor der untergehenden Sonne](https://taz.de/picture/5321537/14/1688504-1.jpeg)
M anchmal raschelt es in den Nachrichten. Und zwar dann, wenn der gewohnte Meldungsfluss aus Inzidenzwerten, Mord und Totschlag im Ausland, ominösen Bewegungen an Börsen, im ewigen Eis oder unter Spaziergängern unterbrochen wird. Plötzlich rutscht dann eine verstörende Meldung dazwischen, die klingt, als wäre sie nicht der Wirklichkeit, sondern einem Roman entsprungen.
Oder hatten Sie nicht das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film zu sein, als es diese Woche hieß: „Kosovo verbietet das Schürfen von Kryptogeld wegen der Energiekrise“?
Freilich war es, wie so oft bei Geraschel, eine Meldung, deren Leuchtzeit die eines Meteorschauers noch unterbot: Kaum jemand verschwendete größere Energie darauf, die Hintergründe dieser Meldung zu erklären, obwohl die doch fast so bedrohlich klingt wie „Ominöse Lungenkrankheit in China entdeckt“.
Vielleicht, weil man Geraschel vom Balkan lieber überhört, weil da sowieso nichts Gutes dahintersteckt. Vielleicht, weil seit den aufgeflogenen Fake-News-Fabriken in Montenegro die ganze Region schon als Sweatshop für ominöse Internetaktivitäten gilt. Vielleicht waren diese Woche aber auch wegen des „mutmaßlich ungeimpften Tennisspielers aus Serbien“ sämtliche Energiereserven von anderen Balkanthemen abgezogen.
Zwei Stunden ohne Strom
Es ist jedenfalls so, dass sich das Kosovo den größtenteils importierten Strom nicht leisten kann, weil er infolge der Pandemie zu teuer geworden ist. Schon vor Weihnachten wurde ein Energienotstand ausgerufen, private Haushalte werden seitdem täglich zwei Stunden vom Netz genommen. Das aber reichte nicht, und deswegen wurde nun den Minenarbeitern des Internets der Saft abgedreht. Denn für das „Schürfen“ von Internetwährungen werden gigantische Strommengen verbraucht, Schätzungen der Universität Cambridge zufolge nutzte 2021 alleine der Bitcoin über 300 Terawattstunden Strom und damit mehr als ganz Holland.
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Der Strom wird für Trilliarden von Rechenaufgaben benötigt, die die Schürfer bzw. ihre Rechner ausführen müssen, um einen Coin freizulegen, also ihn zu verdienen. Wie aus einer Rechenaufgabe eine Münze wird, die was wert ist – fragen Sie mich nicht.
Fragen sollte man die kosovarische Regierung, warum sie dem „Mining“ nicht schon früher den Stecker gezogen hat, also bevor sie ihren Bürgern mitten im Winter den Strom zum Heizen abgestellt hat. Hielt sie Kryptoschürfen bisher auch nur für Geraschel?
Fragen kann man auch die deutsche Ministerin für Klima-Außenpolitik, ob sie fürs Kryptoschürfen schon den im Koalitionsvertrag stehenden Klima-Check gemacht hat. Zumal gerade in einem anderen ihrer Zuständigkeitsgebiete ordentlich Aufruhr wegen Energiepreisen herrscht: in Kasachstan, wo sich der zweitgrößte Kryptoschürfplatz der Welt befindet.
Anders als durch die ursprüngliche Kapitalakkumulation, bei der die Hände vom Buddeln nach Gold, Öl und anderen Bodenschätzen (wegen denen Serbien das Kosovo nicht hergeben will) schmutzig wurden, bleiben Kryptoschürfer- und andere Internetnutzerhände sauber. Das weltweite Im-Internet-Rumhängen stößt aber jährlich so viel CO2 aus wie der Flugverkehr. Die Zeit ist reif für ökologischen Tastaturabdruck und Internetscham. Aber das läuft noch unter Geraschel.
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