Streit um Tarife in Spanien: Nachts waschen, tags Strom sparen
In Spanien gelten ab Juni zeitabhängige Stromtarife. Das bedeutet für einige hohe Mehrkosten. Kritik kommt auch von Verbraucherschützern.
Das Prinzip: Der Tag wird in sechs Zonen eingeteilt. Außerhalb der Hauptverbrauchszeiten (10–14 und 18–22 Uhr) werden die Gebühren um mindestens 3,4 Prozent sinken, nachts sogar bis zu 95 Prozent. In den Hauptverbrauchzeiten wird es dagegen teurer. Wer den eigenen Stromverbrauch nun gezielt steuert, so rechnet die spanische Presse vor, kann die Stromrechnung um bis zu 300 Euro im Jahr senken. Möglich ist das Ganze dank einer flächendeckenden Installation von intelligenten Stromzählern, sogenannten Smart Meter, in den vergangenen Jahren.
Wer den eigenen Tagesablauf nicht an die neuen, billigen Zeitzonen anpassen will, wird bis zu 10 Prozent mehr zahlen als bisher. Auch Kleinbetriebe sind davon betroffen. So rechnet etwa ein Verband von Landwirten vor, dass ihre Stromrechnungen um bis zu 30 Prozent steigen werden. Denn in heißen, trockenen Sommern sind sie auf Bewässerung angewiesen. Die Folge seien teurere Produkte.
„Die Regierung und die Nationale Marktaufsicht können nicht einfach versuchen, die Gewohnheiten der Menschen radikal zu ändern“, kritisiert Rubén Sánchez, Chef der Verbaucherschutzorganisation Facua. Die Verantwortung für die hohen Stromrechnungen würden auf die Verbraucher abgewälzt.
Hohe Stromkosten in Spanien
Mit dem neuen Tarifsystem solle eine effektivere Nutzung der Infrastruktur und ein bewussterer Umgang der Konsumenten mit der Energie erreicht werden, lautet die Begründung von Regierung und Aufsichtsbehörden für das neue Tarifsystem. Facua-Sprecher Sánchez hat einen anderen Vorschlag. Er verlangt seit Jahren, dass pro Kopf eine Grundversorgung zu günstigeren Preisen bereitgestellt wird, und der Mehrkonsum mit Zuschlägen verrechnet wird. „Im Koalitionsvertrag der regierenden Sozialisten und Linksalternativen steht dies“, sagt Sánchez, doch umgesetzt wird es nicht.
Die Verbraucherschützer beschweren sich seit Jahrzehnten darüber, dass die Stromkosten in Spanien so hoch seien wie in kaum einem anderen EU-Land. Das liegt nicht am Preis der Kilowattstunde, sondern an dem, was alles in die Grundgebühr gepackt wird.
Am meisten schlägt dabei das sogenannte Tarifdefizit zu Buche. Das sind zum Großteil Schulden des Stromversorgungssystems, die die mittlerweile privaten Betreiber aufnehmen und dann auf Kredite mit langen Laufzeiten umlegten durften. Es war einer der Finanztricks, mit denen die konservative Regierung unter José María Aznar einst die notwendigen Eckdaten bei der Staatsverschuldung und der Inflation für den Eurobeitritt erreichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin