Streit um Russland in der AfD: Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Laut AfD-Chef Chrupalla hat Russland den Ukraine-Krieg bereits gewonnen. Die deutsche Nato-Mitgliedschaft stellt er infrage. Teile der AfD sind empört.
Ein Verteidigungsbündnis müsse die Interessen aller europäischen Länder akzeptieren, auch die von Russland, sagte Chrupalla in der Welt. Wenn die Nato das nicht sicherstellen könne, müsse „sich Deutschland überlegen, inwieweit dieses Bündnis für uns noch nutzbringend ist“. In der Vergangenheit hatte Chrupalla bereits häufiger im Reichsbürger-Sound geraunt, dass Deutschland nicht souverän sei. Im Interview argumentierte er ähnlich: „Bislang ist Europa gezwungen, die Interessen Amerikas umzusetzen, das lehnen wir ab.“
Kritik über Parteigrenzen hinweg war Chrupalla danach sicher. Der CDU-Abgeordnete Carsten Müller nannte ihn einen „Putin-Jünger“ und die AfD „vaterlandslose Gesellen“. Der SPD-Politiker Andreas Schwarz sagte: „Die AfD ist ein Sicherheitsrisiko für Deutschland“. Der Politikwissenschaftler und Experte für Sicherheitspolitik, Joachim Krause, bekundete, Chrupalla verhalte sich „wie ein russischer Einflussagent“.
Aber es gab auch intern heftige Kritik: Aus der AfD-Fraktion war von unterschiedlichen Stellen zu hören, dass sich viele Abgeordnete in einer eineinhalbstündigen Diskussion über die strittigen Zitate Chrupallas kritisch geäußert und dabei den Fraktions- und Parteivorsitzenden ungewöhnlich scharf angegriffen hätten. Kritisiert worden sei er dabei vorrangig von Bundeswehrsoldaten in der Fraktion wie Joachim Wundrak, Rüdiger Lucassen, Jan Nolte, aber auch vom JA-Chef Hannes Gnauck. Auf die Tagesordnung hatte der Generalleutnant a.D. Wundrak den Punkt gesetzt.
Interne Mail zeugt von 90-minütigem Streit
Nur wenige der üblichen Putin-Versteher hätten Chrupalla während der Fraktionssitzung in Schutz genommen: Etwa Rainer Rothfuß, der sich erst kürzlich zu einer Konferenz in russische Sotchi einladen ließ, um dort den russischen Ex-Präsidenten und bellizistischen Scharfmacher Dimitri Medwedew zu treffen, der unter anderem schon Atomschläge gegen Berlin gefordert hatte.
Ebenso habe Jürgen Pohl den Fraktionschef Chrupalla in Schutz genommen. Pohl hatte zuletzt auch für Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Vertrauensfrage gestimmt, weil er ihn in der Russlandfrage für das geringere Übel hielte, als Friedrich Merz (CDU) – dieser wolle schließlich Taurus-Raketen in die Ukraine liefern.
Der Streit in der Fraktionssitzung war offenbar so heftig, dass sich der stellvertretende Bundessprecher und Abgeordnete Peter Boehringer danach am Dienstagnachmittag noch einmal mit einer Mail an alle AfD-Abgeordneten wendete. Darin nahm er Chrupalla in Schutz. Die Mail liegt der taz vor.
Darin kritisiert Boehringer, dass sich die in Teilen „faktenfern geführte Debatte“ in „90 Minuten nicht ein einziges Mal“ an den konkreten Formulierungen Chrupallas aufgehängt habe. In seinem vollen Wortlaut sei das „inkriminierte Interview“ gar nicht so schlimm, findet Boehringer, kritisiert dafür aber „geframte Überschriften“ der Welt – die aber enthielt nur das wörtliche Zitat Chrupallas: „Russland hat diesen Krieg gewonnen“.
Darüber hinaus bestätigt Boehringer in der Mail, dass die Positionen des Parteichefs für viel Kritik auch in der Anhängerschaft gesorgt haben: „Auch ich habe wie wir alle dazu kritische Zuschriften von Bürgern bekommen.“ Dennoch halte er die Aussagen Chrupallas im Kontext für wenig verwerflich. „Niemand muss sich deswegen ‚die Freundschaft aufkündigen‘ lassen. Oder gar sich als ‚Vaterlandsverräter‘ beschimpfen lassen“, so Boehringer.
Kritik an der Nato sei auch AfD-Politikern erlaubt – „sofern sie nicht (was tatsächlich programmwidrig wäre) mit einer Austrittsforderung aus der Nato verbunden wird“. Letzteres habe Chrupalla aber nicht getan, so Boehringer. Auf taz-Anfrage bekräftigte Boehringer, wer Chrupalla „Kreml-Propaganda“ unterstelle, disqualifiziere sich selbst.
Nun ja: Chrupallas jüngste Aussagen fügen sich in ein Gesamtbild ein. Er besuchte auch zu Kriegszeiten die russische Botschaft und ließ sich am Tag der Befreiung am 8. Mai bei einer Kranzniederlegung für russische Propaganda einspannen. 2022 verglich er kurz vor dem Überfall auf die Ukraine bei einer Rede in Russland ernsthaft Hitlers Propaganda mit der Entnazifizierung der Alliierten in Deutschland – die ‚Reeducation‘ habe „nachhaltige Auswirkungen auf unsere nationale Identität und Kultur“ gehabt.
Zudem beschäftigt Chrupalla als Grundsatzreferenten Dimitrios Kisoudis, einen Verfechter eines antiamerikanischen Kurses gemäß dem russisch-faschistischen Vordenker Alexander Dugin.
Weidel schweigt zu Russland
Die AfD-Kanzlerkandidatin und Co-Vorsitzende Alice Weidel wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern. In einem Statement im Bundestag im Beisein von Chrupalla dementierte sie aber wahrheitswidrig, dass dieser den Nato-Austritt ins Spiel gebracht habe. Ihr sei es wichtig, den „europäischen Arm in der Nato zu stärken“.
Auch Chrupalla selbst ruderte ein wenig zurück und wollte vom Nato-Austritt nichts mehr wissen: „Bis zum Aufbau eines europäischen Militärbündnisses … bleibe die Nato ein zentrales Element der Sicherheitsstrategie“, zitierte er aus dem Wahlprogramm.
Stefan Keuter aus dem Arbeitskreis Außen, bekannts für Pseudo-Wahlbeobachtung in Russland, wiegelte ebenfalls nach der Fraktionssitzung ab: Die Fraktion habe sich lediglich „ausgesprochen“, das Ergebnis sei Rückendeckung für Chrupalla gewesen, so Keuter: „Was Chrupalla gesagt hat, spricht der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder aus dem Herzen.“
Nicht wenige Parteifreunde sehen das deutlich anders. Aus Parteikreisen heißt es, die von Chrupalla angestoßene Debatte zu Russland und der Nato komme zu Unzeiten, weil man mit demonstrativer Russlandnähe in Westdeutschland keine Sympathien gewinnen könne – und dort werde schließlich die Wahl entschieden.
Zuletzt hatte bereits der Abgeordnete und Berufsmusiker Matthias Moosdorf für erhebliche Unruhe gesorgt, weil er laut einer t-online-Recherche eine Honorarprofessur in Moskau angenommen hat und außerdem aus russischer Staatsgeldern für ein Konzert bezahlt worden sein soll. Ernste Sanktionen innerhalb der Fraktion gab es dafür keine.
Chrupalla selbst wollte sich im Nachgang der Fraktionssitzung nicht äußern. Auf taz-Anfrage sagte er: „Fraktionssitzungen sind interne Sitzungen, dazu gebe ich keine Auskunft.“
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