Streit um Habersaathstraße: Das ist ihr Haus
Die rund 60 Obdachlosen aus der Habersaathstraße wehren sich gegen die drohende Räumung. Mittes Bürgermeister gerät zunehmend unter Druck.
Die ehemaligen Obdachlosen sind nicht gut zu sprechen auf Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Vor zwei Wochen hat der Grünen-Politiker ihnen einen Brief geschrieben, dass sie ihr neues Zuhause voraussichtlich Ende nächster Woche verlassen müssen. „Ich befürchte, dass die Eigentümer Ihren Aufenthalt nicht über den 30. Juni hinaus billigen werden“, heißt es darin.
Der Bezirk, der nach einer Besetzung des jahrelang leerstehenden Gebäudes vor einem halben Jahr eine Zwischennutzung mit dem Eigentümer ausgehandelt hatte, sieht sich gegen dessen Auszugsforderung machtlos. Eine Vereinbarung mit der Arcadia Estates GmbH sei bislang nicht zustande gekommen und man könne nicht einfach über die Wohnungen verfügen, teilt der Bezirksbürgermeister bedauernd mit. Der Vertrag mit dem Sozialträger „Neue Chance“, der im Erdgeschoss einen Anlaufpunkt für die Obdachlosen eingerichtet hat, sei daher zu Ende des Monats gekündigt worden.
Sven, Bewohner der Habersaatzhstraße und ehemaliger Obdachloser
„Uns wurde gesagt, dass wir bis zum Abriss bleiben können“, empört sich Sven. Er war einer der Ersten, die in das ehemalige Schwesternwohnheim der Charité mit seinen knapp 120 Wohnungen eingezogen waren. Ohne seine Wohnung in der Habersaathstraße würde er, wie viele andere auch, wieder auf der Straße landen, sagt Sven. Eine Massenunterkunft komme für ihn nicht infrage, dort fühle er sich nicht sicher.
Abriss laut Bezirk nicht zu verhindern
Dem Bezirk sei bewusst, wie „verstörend und frustrierend“ die Situation sei, schreibt der Bürgermeister in seinem Brief an die Bewohner*innen. Man tue alles dafür, dass die ehemaligen Obdachlosen bleiben können, ihren Verbleib bis zu einem Abriss des Gebäudes könne man aus rechtlichen Gründen jedoch nicht an eine Vereinbarung mit dem Eigentümer knüpfen.
Seit Jahren will die Arcadia Estates das Haus abreißen lassen, um dort neu und teuer zu bauen. Nach dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz müsste sie bei einem Abriss eigentlich Ersatzwohnraum zu maximal 7,92 Euro netto kalt pro Quadratmeter schaffen. Da sie das nicht zusagen will, verweigert der Bezirk bislang die Genehmigung für den Abriss. Den laufenden Rechtsstreit darüber befürchtet der Bezirk jedoch offenbar zu verlieren. Man sehe „keine Möglichkeit, den Abriss des Gebäudes zu verhindern“, und werde aller Voraussicht nach in Kürze eine Abrissgenehmigung erteilen müssen, so von Dassel.
Der Bezirk will daher einen Deal mit der Arcadia abschließen: Abrissgenehmigung gegen die Zusage, dass danach 30 Prozent der Wohnungen zu „bezahlbaren“ Mieten vermietet werden: 9,15 Euro veranschlagt der Bezirk als „bezahlbar“. Das Bezirksamt soll ein Vorschlagsrecht für diese Mieter*innen bekommen und verspricht den Obdachlosen, wieder einziehen zu können. Die verbliebenen 12 Altmieter*innen in dem Gebäude haben die Wahl: Entweder sie erhalten eine Abfindung über 1.000 Euro pro Quadratmeter oder sie ziehen nach Fertigstellung des Neubaus in eine gleichartige Wohnung zu denselben Mietkonditionen wie zuvor – jedoch nur für 10 Jahre.
Kritik an geplantem Deal mit Eigentümer
„Das ist ein gesetzeswidriger Kompromiss, den wir nicht hinnehmen werden“, schimpft Daniel Diekmann. Der 54-Jährige ist Vorsitzender des Mieterrats und kämpft seit 15 Jahren gegen die Vernachlässigung und den Leerstand des Plattenbaus. Schon einmal seien ihm 30.000 Euro für seinen Auszug geboten worden. Diese habe er ebenso abgelehnt wie das neue Angebot.
„Das ist eine Mogelpackung“, sagt der auch der stellvertretende Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, zur taz. Die Abfindung sei angesichts der hohen Mietpreise zu niedrig, die 10-Jahres-Garantie zu kurz und die 30 Prozent günstige Wohnungen zu wenig. „Der Bezirk hat schlecht verhandelt“, findet Barthels. In seinen Augen müsste der Anteil mietpreisgebundener Wohnungen bei mindestens zwei Dritteln liegen, um einen Abriss überhaupt in Betracht zu ziehen.
Den hält der Mieterverein ohnehin für ein „ökologische Katastrophe“. Schließlich wurde das Gebäude aus den 1980er Jahren erst 2008 mit einer Wärmedämmung, neuen Fenstern und einer Photovoltaikanlage ausgestattet.
Senat hat sich eingeschaltet
Mittlerweile wird der Druck auf den Bezirksbürgermeister immer größer. „Die Duldung der Obdachlosen muss auf jeden Fall verlängert werden“, fordert der mietenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schenker. Immerhin sei die Habersaathstraße „ein Modellprojekt in Sachen Housing First“. Eine Vereinbarung mit dem Eigentümer müsse daher an den Verbleib der Bewohner*innen geknüpft werden.
Der Bezirk sei auch nicht so machtlos, wie er sich gebe. Verliere er das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, gehe der Rechtsstreit in die nächste Instanz. Und selbst mit Abrissgenehmigung müsse der Eigentümer die Mieter*innen erst einmal rausklagen. Das alles könne Jahre dauern: Jahre, in denen die Obdachlosen nicht auf der Straße leben müssen.
Nun hat sich auch der Senat eingeschaltet. In einem Brief an den Geschäftsführer von Arcadia Estates, Andreas Pichotta, bittet Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) darum, den Bewohner*innen „eine langfristig abgesicherte Perspektive in der Habersaathstraße“ zu geben.
Rekommunalisierung gefordert
Die Initiative „Leerstand Hab ich Saath“ fordert, dass der Senat das Gebäude, das er 2006 für gerade einmal 2 Millionen Euro verkauft und das die Arcadia 2017 für 10 Millionen Euro erworben hat, rekommunalisiert. „Um Obdachlosigkeit wie geplant bis 2030 abzuschaffen, braucht es mehr Projekte wie unseres, nicht weniger“, sagt Sprecherin Valentina Hauser im Gespräch mit der taz. Eine Nachbarin läuft vorbei und erkundigt sich, ob es schon einen Räumungstermin gibt. „Wir sind auf jeden Fall solidarisch“, sagt die junge Frau und geht weiter.
Der Rückhalt durch Nachbar*innen und Initiativen sei groß, sagt Valentina Hauser. Jetzt gelte es, Druck zu machen, um die Räumung der Obdachlosen und den Abriss ihres neuen Zuhauses noch zu verhindern. Unterstützung bekommen die Bewohner*innen dabei von der Künstler*innen-Gruppe Lauratibor-Protestoper, die an diesem Sonntag das Berliner Drama von Verdrängung und Ausverkauf vor ihrem Haus aufführt.
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