Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur: Die Verunsicherung
Olaf Scholz will SPD-Kanzlerkandidat werden. Verteidigungsminister Pistorius schließt nichts aus. SPD-Chef Klingbeil will nun eine zügige Entscheidung.
Der Plan der Parteizentrale: Man will jene 32 Prozent mobilisieren, die sich vorstellen können, bei der SPD ihr Kreuz zu machen. „Klare Führerschaft im Mitte-links-Lager entscheidend für direkte Konfrontation mit Merz“ so die Direktive. Das läuft auf Olaf Scholz hinaus, den erfahrenen Krisenmanager, der „Deutschland zusammenhält“.
Merz gibt in der SPD-Ideenwelt den idealen Konterpart ab: keine Erfahrung im Regieren oder mit internationaler Politik, plus BlackRock und Politik für Besserverdiener. Das Willy-Brandt-Haus zielt auf „Merkel-Wähler“ und „Frauen“, die sich für den forsch-arroganten Merz nicht erwärmen können.
Ob diese Kampagne realisiert wird, ist derzeit ungewiss. Die Zweifel, ob Scholz, der gescheiterte Kanzler der unbeliebten Ampel, eine Chance gegen Merz hat, wachsen in der Partei. Viele glauben mittlerweile, dass die SPD mit dem kantigen Verteidigungsminister Boris Pistorius besser fahren würde, der anders als der kühle Scholz über ein Kumpel-Image verfügt. Pistorius selbst betont, zackig militärisch, ein loyaler „Parteisoldat“ zu sein – schließt aber andererseits listig nichts aus.
„Gemeinsam mit der SPD“
Scholz hat diesen Machtkampf lange nicht ernst genommen. Das änderte sich am Dienstagabend, als sich ein einflussreiches Duo – die Parteilinke Wiebke Esdar und der Parteirechte Dirk Wiese – öffentlich mehr oder weniger deutlich zu Pistorius bekannten. Der Kanzler hörte die Signale und antwortete aus Rio vom G20 Gipfel – wo er mit Ukraine, globaler Armut, Termin bei Chinas Xi Jinping eigentlich ausgelastet war – mit gleich vier TV-Interviews.
In allen wiederholte er mantraartig, dass er „gemeinsam mit der SPD“ die Wahl gewinnen werde. Damit ist gemeint: Er wird antreten. Das Wort Kanzlerkandidat kam Scholz aber nicht über die Lippen. Er will sich nicht selbst ausrufen, wirbt aber auch nicht für sich. Er rechnet offenbar fest damit, dass ihm der Parteivorstand die Kandidatur antragen wird. So redet niemand, der auf dem Rückzug ist.
Die Parteispitze tagte am Dienstagabend – eine Krisensitzung. Denn klar ist: Die jetzige Lage, in der immer mehr GenossInnen öffentlich an Scholz zweifeln, reduziert die nicht gerade rosigen Aussichten der SPD noch weiter. Die ParteichefInnen Lars Klingbeil und Saskia Esken, Generalsekretär Matthias Miersch und Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger trafen sich – und schwiegen danach erst mal. Alle im erweiterten Führungskreis der SPD haben sich zu Olaf Scholz als nächstem Kanzlerkandidat bekannt. Niemand aus der Partei- oder Fraktionsspitze hat sich für Boris Pistorius ausgesprochen. Insofern müsste eigentlich alles klar sein. Müsste.
Zeitplan: unklar
Die Frage lautet: Warum gibt es noch keine amtliche Bestätigung der Kandidatur, wenn es doch in den zuständigen Gremien eine überwältigende Mehrheit für den Kanzler gibt? Warum gibt es keine verbindliche Ankündigung der Parteispitze, wann diese Entscheidung getroffen wird, um die Debatte in den Griff zu bekommen? Das schürt den Verdacht, dass die Parteinahme für Scholz in der Parteispitze vielleicht doch nicht so klar ist wie beteuert.
Terminfragen sind Machtfragen. Scholz-Unterstützer fordern, dass der 34-köpfige Parteivorstand am Montag ein Votum für den Kanzler abgibt. Spätestens soll am 30. November bei einer „Wahlsiegkonferenz“ klar sein, wer antritt. Die formale Kür soll beim Bundesparteitag am 11. Januar erfolgen.
SPD-Chef Lars Klingbeil kündigte Mittwoch dann doch eine „zügige Entscheidung“ über die Kanzlerkandidatur an. Wobei unklar blieb, was das genau bedeutet. In der SPD gebe es unterschiedliche Auffassungen, wer es machen soll. Den Vorwurf, erst sein Zögern habe die Debatte ermöglicht, wies Klingbeil zurück. „Mein Fokus liegt darauf, eine Geschlossenheit herzustellen“. Das hat bis jetzt nicht so gut funktioniert.
Wahrscheinlich wird das Willy-Brandt-Haus seine angedachte Wahlkampagne mit den Scholz-Fotos umsetzen können. Denn Pistorius fehlen Fürsprecher in den entscheidenden Gremien. Wenn aber nicht, wäre erst recht Eile geboten. In den Schubladen der Parteizentrale liegt keine fertige Kampagne für Pistorius. Der schneidet in Umfragen viel besser ab als Scholz. Aber für was der Niedersachse politisch steht, außer Kriegstüchtigkeit und mehr Waffen für die Ukraine, ist vage. Für Kampagnenstrategen in der Parteizentrale wäre es eine Herausforderung.
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