Streit bei den Wirtschaftsweisen: Expertin beschädigt sich selbst
Manche wittern hinter dem Streit eine Intrige gegen die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Tatsächlich geht es um etwas anderes.
D arf Veronika Grimm als eine von fünf Wirtschaftsweisen ein Mandat als Aufsichtsrätin in einem großen Industrieunternehmen annehmen? Ja, sie darf, formal ist dagegen nichts einzuwenden. Das Sachverständigenratsgesetz von 1963 schließt die Wahl eines Ratsmitglieds in einen Aufsichtsrat nicht aus.
Die Frage beim mittlerweile nicht mehr internen Streit des wichtigsten ökonomischen Beratergremiums der Bundesregierung ist aber eine andere: Ist eine solche Doppelrolle legitim? Das ist eine moralische und keine juristische Frage. Und die ist klar mit Nein zu beantworten.
Nicht nur, weil die Interessenüberschneidung klar auf der Hand liegt. Die Professorin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ist Energieexpertin, Siemens Energy, wo Grimm das Mandat bekommen soll, ist ein Konzern im Bereich der konventionellen und erneuerbaren Energien.
Das Nein zum Mandat ergibt sich auch aus einem gesellschaftlichen Wandel: Früher wurden solche Personalien gern hinter verschlossenen Türen verhandelt, die Bevölkerung wurde mit dem Ergebnis überrascht und musste es schlucken. So einfach geht das heute nicht mehr, vielmehr müssen Compliance-Regeln eingehalten werden, Kontrollgremien überwachen Vorgänge wie diese und können Einspruch erheben. Das ist Demokratie. Und das soll Korruption verhindern. Auch werden solche Vorgänge heute viel schneller öffentlich, der „Brandbrief“ der vier anderen Wirtschaftsweisen, die sich gegen die Annahme des Mandats ihrer Kollegin aussprechen, ist im Internet nachzulesen.
Manche wittern hinter dem Streit eine Intrige gegen Grimm. So kann man das sehen. Man kann aber auch anerkennen, dass Grimm mit ihrem ökonomischen Konservatismus, der zuweilen ins Neoliberale abgleitet, vor allem die Interessen der Unternehmen im Blick hat. Insofern wundert es nicht, dass Siemens sich sie als Aufsichtsrätin wünscht. Und dass Grimm jetzt vor allem von Konservativen unterstützt wird. Ihrer eigenen Reputation hat Grimm trotzdem keinen Gefallen getan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“