Straßenblockaden in Kanada: Diffamierung der Form
Nicht nur Konservative, auch die gesellschaftliche Linke misst bei den Straßenblockaden mit zweierlei Maß. Dabei geht man über die Inhalte hinweg.
W enn sie Brücken blockieren, tun sie es, um deren Funktion, die Aufrechterhaltung einer für alle offenen Gesellschaft, wiederherzustellen. Dieser Satz stand kürzlich in einem Kommentar der Welt. Kurz konnte man den Eindruck haben, das Autofahrerblatt würde die Autobahnblockierer:innen der „Letzten Generation“ anhimmeln. Doch es ging um querparkende Trucker in Kanada, denen die Impfpflicht nicht gefällt. Bei hiesigen Verkehrsverhinderern schimpft die Welt selbstverständlich über deren zivilen Ungehorsam.
Aber dies soll keine Belustigung über konservative Weltbilder werden. Im Gegenteil. Denn auch die gesellschaftliche Linke ist keineswegs gefeit davor, Protestformen zu geißeln, nur weil sie von anderen mit Inhalt gefüllt werden. Da werden etwa die Spaziergänge der „Querdenker“ als nicht zu akzeptierendes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei bezeichnet, gegen die nur eines helfe: ein härteres Durchgreifen.
Geht’s noch? Wer jemals auf einer Demo für oder gegen was auch immer war, weiß, dass der Regelbruch, das Katz-und-Maus-Spiel, eine politisierende Erfahrung ist. Das Umfließen von Polizeiketten haben linke Aktivist:innen mit der Fünf-Finger-Taktik gar zur Strategie erkoren.
Blockademeister, so viel Protestkunde muss sein, sind übrigens weder linke Klimaaktivisten noch rechtslastige Trucker. Man findet sie vielmehr in Bolivien oder Peru, wo es den dort Lebenden gelingt, per Blockade von Passstraßen in den Anden ganze Regionen lahmzulegen. Von den Regierenden egal welcher Couleur wird auch das stets als nicht akzeptabler Regelbruch abgetan.
Wer mit populistischer Argumentation auf Beifall schielt, mag sich damit begnügen, bei Protesten die Form zu diffamieren. Es ist ja auch schön einfach, weil man sich so die inhaltliche Auseinandersetzung erspart. Doch wer schnöde auf das Einhalten der „Regeln“ pocht, läuft schnell Gefahr, die für alle offene Gesellschaft infrage zu stellen. Dann bräuchte man nicht nur für eine Revolution eine Bahnsteigkarte, sondern für jeden Protest den Segen der Regierenden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten