Straftaten auf Coronaprotesten: Schluss mit friedlich
Der Coronaprotest wird gewalttätiger. Die Länder zählen zahlreiche Straftaten. Der bayrische Verfassungsschutz nimmt die Bewegung ins Visier.
Erst am Wochenende aber war es in Dresden zu wüsten Szenen gekommen. Auch dort setzten sich Coronaprotestierer über ein Demoverbot hinweg, durchbrachen Polizeisperren, rangen Beamte zu Boden. 915 Platzverweise verhängte die Polizei am Ende, zählte 47 Straftaten und 12 verletzte PolizistInnen. Am gleichen Tag wurde auch in Stuttgart bei Coronaprotesten ein Fernsehteam und Polizist:innen bedrängt.
Nach einer Winterpause ist die „Querdenken“-Bewegung – ein Jahr nach Beginn der Proteste – damit wieder auf der Straße. Mit der anfangs postulierten Friedfertigkeit ist aber nicht mehr soweit her. Denn eine taz-Umfrage in den Bundesländern zeigt: Die jetzigen Übergriffe sind keine Einzelfälle mehr.
Allein in Berlin 1.233 Delikte
Allein in Berlin zählt die Polizei seit März 2020 insgesamt 1.233 Delikte im Zusammenhang mit den Coronaprotesten. Darunter fallen 160 tätliche Angriffe auf Polizeibeamte, 265 Widerstandshandlungen, 17 gefährliche Körperverletzungen, 115 Beleidigungen oder auch 24 Gefangenenbefreiungen. In 194 Fällen erfolgten Landfriedensbrüche, dazu kamen 119 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.
Wie die Straftaten erfasst und den Protesten zugerechnet werden, differiert stark von Land zu Land. Einige Bundesländer haben dazu gar keine Zahlen, andere tragen sie momentan noch zusammen. Auch in Hessen zählt das Innenministerium aber bislang 98 Straftaten mit Coronabezug. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 84, in Thüringen 76, in Rheinland-Pfalz 42, in Hamburg 30.
Baden-Württemberg kommt auf 98 Straftaten, darunter 16 Gewaltdelikte. Dort allerdings betont das Innenministerium, dass 53 der Fälle linken Straftätern zugerechnet werden, nur 6 rechten, 39 seien nicht zuzuordnen. So wurden etwa im Mai 2020 drei Coronademonstrierende, die zuvor auch in rechtsextremen Kontexten auftauchten, von mutmaßlich Linken angegriffen und schwer verletzt.
Andernorts werden die Zahlen nicht weiter aufgeschlüsselt – oder liegen genau andersrum. In Hessen etwa wird hinter den 98 festgestellten Straftaten in 25 Fällen ein rechtes Motiv gesehen, bei 11 ein linkes und bei einem eine „ausländische Ideologie“. Der große Rest bleibt uneingeordnet – auch weil sich die Behörden bis heute schwertun, den Coronaprotest politisch einzusortieren.
Die Behörden beunruhigen aber auch schwere Straftaten. So durchsuchte die Polizei im Februar einen 36-Jährigen in Bad Kissingen (Bayern), der verdächtigt wird, aus Coronaprotest einen ICE mit einer Plane zu einer Schnellbremsung genötigt zu haben. Auch wird weiter zu einem Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut in Berlin und einem gezündeten Sprengsatz nahe der Leibniz-Gemeinschaft ermittelt. Aufgefundene Schreiben forderten ein Ende der Coronamaßnahmen. Zudem kommt es immer wieder zu massiven Bedrohungen von Politikern wie Karl Lauterbach wegen ihrer Positionen zur Coronapolitik.
Bayerns Verfassungsschutz stuft Protest ein
Inzwischen reagieren die Behörden. Am Mittwoch verkündete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), dass der dortige Verfassungsschutz den Coronaprotest unter Beobachtung nimmt – mit einem Sammelbeobachtungsobjekt namens „sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen“. Das erfasse Einzelpersonen und Gruppen, die zu gewaltsamen Aktionen aufriefen oder sich daran beteiligten.
Es gehe um Personen, die den Staat und seine Repräsentanten als Teil eines Unrechtsregimes und einer weltweiten Verschwörung sehen und den Einsatz von Gewalt daher als als gerechtfertigt, heißt es aus dem bayrischen Verfassungsschutz. Dies könne Qanon-Anhänger:innen, Autobahnblockierer oder Menschen betreffen, die zum Mord an Politiker:innen aufriefen. Nicht jeder Kritiker werde beobachtet, betonte Herrmann. Aber „einige wenige Personen, die zu gewalttätigem Widerstand aufrufen“.
Bereits seit Dezember wird die Stuttgarter „Querdenken“-Gruppe samt Ablegern vom Verfassungsschutz beobachtet. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und die Unions-Innenminister der Länder bekräftigen Ende Februar in einer Erklärung: Der Coronaprotest habe ‚Reichsbürger-typische Narrative‘ entwickelt, ihn prägten inzwischen „ein hohes Maß an Demokratie- und Staatsfeindlichkeit“, die Verschwörungsmythen „vergiften das Zusammenleben“. All dies sie „hoch gefährlich“ und benötige „repressive Signale der wehrhaften Demokratie“.
Seehofer und die Minister beklagten zudem schon da die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte – und forderten eine satte Straferhöhung. Statt einer Höchstfreiheitsstrafe von 5 Jahren für besonders schwere Angriffe auf Einsatzkräfte solle es künftig bis zu 10 Jahren Haft geben. Hier brauche es „null Toleranz“.
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