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Steigende Corona-InfektionszahlenVernunft ist wichtiger als Verbote

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Neue Einschränkungen sind die logische Folgerung der steigenden Zahl von Corona-Infektionsfällen. Wichtig ist, dass die Maßnahmen einleuchten.

Mitarbeiter der Deutschen Bahn verteilen Einwegmasken an Fahrgäste Foto: Axel Heimken/dpa

D ie jüngsten Zahlen sind erschreckend: Über 2.400 bestätigte Corona-Infektionen pro Tag sind in der letzten Woche in Deutschland im Durchschnitt gemeldet worden – etwa 7-mal so viele wie noch vor drei Monaten. Und in Regionen wie Hamm in Westfalen oder Neukölln in Berlin liegt die Zahl der Neuinfektio­nen mit rund 90 Fällen pro 100.000 Einwohner und Woche zuletzt fast doppelt so hoch wie der offizielle Alarmwert.

Zudem sind auch wieder mehr ältere Menschen betroffen, was zu einem Anstieg von schweren Verläufen führt. Dass die Politik da gegensteuern will, ist verständlich. Sinnvoll sind die beschlossenen Maßnahmen aber nur zum Teil. So ist es sicher hilfreich, Kneipen früher zu schließen und Großveranstaltungen weiterhin zu untersagen.

Denn jede Zusammenkunft von vielen Menschen auf engem Raum ist ein Risiko, das man nur eingehen sollte, wenn es wirklich nötig ist – was bei Kneipengängen eindeutig weniger der Fall ist als etwa beim Schulbesuch. Wenig überzeugend sind dagegen die Reisebeschränkungen für Menschen aus deutschen Gebieten mit hohen Fallzahlen, die in einzelnen Bundesländern schon gelten und die nun wohl ausgeweitet werden sollen.

Denn gefährlich ist man nicht allein, weil man in Hamm oder in Neukölln lebt – sondern wenn man, wie in Westfalen geschehen, ohne jeden Abstand mit Hunderten anderen eine Hochzeit feiert oder, wie in Berlin verbreitet, trotz Corona zu Partys geht. Beschränkungen von innerdeutschen Reisen sind nicht nur schwer zu kontrollieren; sie können auch kontraproduktiv sein.

Denn Vorschriften, die viele Menschen zu Recht als unsinnig oder ungerecht empfinden, können dazu führen, dass auch die sinnvollen Regeln nicht mehr ernst genommen werden. Und das wäre gefährlich, denn zur Eindämmung von Corona ist die Vernunft der Menschen am Ende wichtiger als Verbote. Menschenmengen meiden, wo immer möglich Abstand halten und konsequent Maske tragen (und zwar im Zweifel lieber die teureren und unangenehmeren, aber wesentlich sichereren FFP2-Modelle):

Das ist weiterhin der sicherste Weg, eine Infektion zu verhindern. Auf diese Maßnahmen sollte sich die Politik darum konzentrieren – vor allem durch Aufklärung. Zwar ist es im öffentlichen Raum sicher nötig, die Regeln auch mit Kontrollen durchzusetzen. Aber flächendeckend und auch in privaten Gebäuden ist das – zum Glück! – nicht möglich. Ohne echte Einsicht wird es darum nicht gehen. Doch die lebt von Regeln, die jedem einleuchten. Die innerdeutschen Reisebeschränkungen gehören nicht dazu.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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16 Kommentare

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  • "Denn jede Zusammenkunft von vielen Menschen auf engem Raum ist ein Risiko, das man nur eingehen sollte, wenn es wirklich nötig ist – was bei Kneipengängen eindeutig weniger der Fall ist als etwa beim Schulbesuch."

    Leben wir jetzt in einer Arbeits-Gesundheitsdiktatur die Absolut setzt, was im Leben notwendig aka Systemrelevant ist ? Lieber Autor, ihr Artikel spricht von "vernünftigen" Maßnahmen, verhält sich aber ebenso eindimensional wie paternalistisch. Systemrelevanz ist eine verhandelbare Größe, genauso was man(m/w/d) als Notwendigkeiten akzeptiert. Ich kenne viele Leute, die sich auch in Kneipen sehr verantwortungsvoll verhalten , zumal sie meist draussen sitzen, warum soll da ein Schulbesuch oder die Fahrt zur Arbeit in einer vollen U-Bahn mit höherem Risiko mehr von einer Notwendigkeit getragen sein, als ein Kneipenbesuch, wie sie hier suggerieren? Mit Verlaub aber das sind Meinungen wie Ihre, die sie hier geschickt in Fakten und Handlungsempfehlungen verpacken. Derart unreflektierte heimliche Handlungsempfehlungen werden zu noch mehr Covidioten und noch weniger Akzeptanz führen. Wir leben glücklicherweise in einer Pluralistischen Gesellschaft aber seit Covid stelle ich immer mehr fest, dass wir durch die Hintertür zu Lebensweisen gezwungen werden, die gerade in der Taz eigentlich verhandelt werden sollten. Das ist keine Unvernunft oder Gefahrenleugnung, im Gegenteil !

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @püppi von Wegen:

      Ein Kneipenbesuch hält eine Wirtschaft am Laufen, Arbeit und auch die Fahrt zur Arbeit die Wirtschaft.



      Was meinen sie, wie das Bier in die Kneipe kommt. Arbeit ..

  • Verbote an sich nützen gar nichts. Nur das Durchsetzen derselben bringt den gewünschten Effekt.



    Appelle an die menschliche Vernunft sind in der Regel vergeudete Lebenszeit.

  • Das Maskentragen (doch eher symbolisch-theatralischer denn medizinisch belegter Nutzen?) verdrängt im öffentlichen Diskurs nun schon geradezu symptomatisch das Händewaschen.

    Die deutschen Bundesländer (und auch die Mitgliedstaaten der EU) müssen eigentlich nur einen Blick auf Australien werfen, um ihre Zukunft abzulesen: einschneidende Sanktionen auf Bewegungsraum, Ausgangssperre, Schließung d. öffentlichen Lebens, monatelanges Modelling und Monitoring der Infektionstrends, u.a. (Beispiel Victoria)

    Was man hier nun besser machen könnte als es in Australien geschah:



    *typische Infektionszentren (Arbeitsplätze wie Schlachthaus, Fleischverarbeitung, Altenpflege) durch Maßnahmen u. Kontrollen begleiten.



    *Übernahme von bewährten contact tracing Methoden



    *Aufklärung anstatt Policing

    • @non payclick:

      Der Haupt-Übertragungsweg der Viren sind die Tröpfcheninfektion und die Übertragung über Aerosole.



      Diese wird durch die Maske verringert.



      Demgegenüber spielt die sog. Schmier-Infektion, auf welche das Händewaschen einen Einfluß hat, eine sehr viel kleinere, bis vernachlässigbare Rolle.

  • Aufgeklärt sind die Menschen nach 6 Monaten Corona ausreichend.



    Apelle an die Vernunft reichen für 90% wohl aus die restlichen 10 % sind leider unbelehbar oder rational nicht zu erreichen. Da wird die Vernunft nicht helfen.

    • @Opossum:

      Dass Problem ist, dass die von ihnen benannte unvernünftige und irreale Minderheit ganz gezielt von Geschäfte-Machern und auch der neuen Rechten angesprochen und in ihren Ansichten extrem bestärkt wird.



      Das Haupt- Geschäfts-Moment der Neuen Rechten, besteht darin, wie es der US-Amerikanische Präsident Trump auch macht, Lügen und irrationale Welterklärungs-Muster ganz bewusst zu kultivieren.



      Das war schon bei den antisemitischen "Montags-Mahnwachen für den Frieden" und ist aktuell bei den Großdemos der "Quark-Denker" sehr auffällig zu beobachten.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Auch wenn einem das nicht einleuchtet, so kann man sich dennoch daran halten. Tut eigentlich nicht weh; und zeigt mittlerweile gar gewisse Einsichten nebst monetärer Vorteile jenseits schnöden Konsums.

    Solange Wasser und Abwasser funktionieren, Strom, Heizung und Kommunikation (Internet) ebenso, solange am Monatsende die Apanage auf dem Konto erscheint, solange können zumindest Ruheständler nicht wirklich böse sein.

    Und der neue Lockdown kommt nicht mit Trara, sondern schleichend; so what ...

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Vernunft?



    Um nur ein Beispiel zu nennen.



    Vor dem Urbankrankenhaus treffen sich hunderte Jugendlilche/junge Erwachsene um eine Schlauchbootparty mit Techno"musik" zu feiern oder was der Schwachsinn auch immer ausdrücken sollte.



    Vernunft und Rücksichtnahme - FEHLANZEIGE

    Deshalb hart durchgreifen.

  • Idioten leuchtet nichts ein, denen kann man nur mit Verboten kommen. Gleiches gilt für sorglose Egoisten. Es gibt überhaupt keine Hoffnung solchen Menschen anders beizukommen als durch Verbote. Die deutliche Mehrheit der Menschen hingegen hat die Einschränkungen von Anfang an unterstützt und in Wirklichkeit ist die einzig relevante Gefahr, diese Menschen zu demotivieren indem man die Regeln nicht durchsetzt, indem man Rücksicht auf uneinsichtige Ignoranten nimmt oder dies fordert. Es ist auch übrigens die wirkliche Ungerechtigkeit, wenn man das Bedürfnis nach Freizeitvergnügen der Jungen angesichts der Bedrohung für die Sicherheit der Allgemeinheit und der besonders Gefährdeten überhaupt für irgendwie schützenswert erklärt. Daran ist nichts gleichrangiges, da kann man noch so oft "Freiheit" rufen. Richtig ist das genaue Gegenteil dessen was der Autor hier schreibt.

  • Mir leuchten die sehr wohl ein, und mit Vernunft brauchen Sie dem normalen Menschen sowieso nicht zu kommen. Ein Blick auf den Zustand des Planeten und der menschlichen Gesellschaften reicht, um zu diesem Schluß zu kommen.

    Ganz einleuchtend formuliert? Warum sollen wir in Schleswig-Holstein, die wir ja offenbar der Partystrand der Nation sind, mit eurem rücksichtslosen Benehmen leben müssen? Zieht euch gefälligst die Schuhe aus, wenn ihr bei uns ins Wohnzimmer kommt.

    Das gleiche gilt für Skiorte und so weiter.

    Aber keine Bange, das viele Mi-mi-mi wird schon den gewünschten Effekt haben und diese Beschränkungen werden bald fallen...

    • @kditd:

      Ich versteh ja nicht,warum man überhaupt zu "euch" nach Süddänemark fährt. Strand gibt es auch in Mecklenburg ,ist näher an Berlin und an der Ostsee benimmt sich das Meer auch besser! Badesaison ist eh vorbei.

  • Wegen der steigenden Infektionszahlen ist das faktische Verbot innerdeutscher Reisen in den Berliner Herbstferien absehbar, selbst wenn man coronasicher zB mit Auto anreist und in Brandenburg oder MV ein Appartement mit Selbstversorgung mietet. Innerdeutsches Reisen, gerade erst letzte Woche noch propagiert worden.

    Das Reiseverbot verantwortet im Ergebnis der Berliner Senat, da es in der Risikoregion Berlin immer noch keine verlässliche Möglichkeit gibt, auch als Selbstzahler den zum Verreisen nötigen zeitnahen Test zu erhalten. Obwohl lange absehbar war, dass andere Länder und Staaten solche Tests fordern werden.

  • Innerdeutsche Reisebeschränkungen leuchten nicht mehr und nicht weniger ein als innereuropäische oder sonst irgendwelche. Denn wie war das noch gleich? Ach ja: „...gefährlich ist man nicht [...], weil man in Hamm oder in Neukölln lebt – sondern wenn man [...] ohne jeden Abstand mit Hunderten anderen eine Hochzeit feiert oder [...] trotz Corona zu Partys geht.“ Und wer will schon Franzosen oder Iren pauschal unterstellen, sie wären Partysüchtig und Italienern oder Griechen, sie würden ohne Abstand mit fünfhundert Gästen Hochzeit feiern? Doch höchstens Nationalisten, Chauvinisten und Rassisten, oder?

    • @mowgli:

      Danke!

      Es ist schon erstaunlich, wie pikiert reagiert wird, wenn die internationalen Regeln nun auch innerdeutsch angewendet werden. Dabei kennt das Virus keine Grenzen. u



      Und es ist völlig gleich, ob man aus Brüssel, Utrecht oder Berlin, Hamm kommt.



      Vielleicht hat die Diskussion ja was Gutes, dass man diese Unterscheidung komplett ad acta legt.

  • Ohne Verbote geht es nicht!

    Und die müssen auch sofort durchgesetzt werden. Sonst erleben wir ein bitteres Fiasko.



    Das sagt schon die Lebenserfrahrung.