Berlin ist Corona-Risikogebiet: Die Grenze ist überschritten
In Berlin steigt die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen über den kritischen Wert von 50. Jetzt greifen Reisebeschränkungen.
Schon seit geraumer Zeit steigen die Coronazahlen in Berlin. Am Donnerstag nun überschritt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage erstmals den wichtigen Warnwert 50. Sie stieg auf 52,8, wie aus dem Corona-Lagebericht der Gesundheitsverwaltung hervorgeht.
Berlin gilt nun nach den Kriterien des Robert-Koch-Instituts als Risikogebiet. Folge sind zunächst Reisebeschränkungen für Berliner in anderen Bundesländern. In mehreren Berliner Bezirken liegt die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz schon einige Tage teils weit über 50. Am Donnerstag meldete das Gesundheitsamt für Neukölln 114,3, was bundesweit ein Spitzenwert ist. Es folgen Mitte (78,3), Tempelhof-Schöneberg (72,4) und Friedrichshain-Kreuzberg (68,9).
Laut Lagebericht kamen am Donnerstag in Berlin 498 neue bestätigte Coronafälle hinzu. Das ist der stärkste Anstieg seit Beginn der Pandemie. Insgesamt erkrankten damit bislang nachgewiesen 17.112 Menschen in der Hauptstadt an Covid-19. 13 965 gelten als genesen – 178 mehr als am Vortag. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Corona stieg um einen auf 233.
Müller mit Appell an BerlinerInnen
„Diese Entwicklung bereitet mir große Sorge“, so Müller. „Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass wir im Senat weitere Einschränkungen diese Woche beschlossen haben.“ Müller appellierte an die Menschen, keine wilden Partys mehr draußen wie drinnen zu feiern, sich an Abstandsregeln zu halten und soziale Kontakte einzuschränken. „Wir sind in einer Situation, wo wir erneut aufeinander achten müssen.“
Am vergangenen Dienstag hatte der Berliner Senat bereits weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen: Diese zielen mit einer nächtlichen Sperrstunde von 23 Uhr bis 6 Uhr und strengeren Kontaktverboten für drinnen und draußen besonders auf das Nachtleben ab. Die Regeln gelten ab Samstag, den 10. Oktober, und sind zunächst bis Ende Oktober befristet.
Die Behörden führten den Fallzahlenanstieg in den vergangenen Wochen insbesondere auf private Feiern und illegale Partys zurück. Seit 3. Oktober gelten in Berlin bereits weitere Beschränkungen, darunter eine Maskenpflicht in Bürogebäuden. Bis sich solche Maßnahmen in den Infektionszahlen niederschlagen können, dauert es einige Zeit.
Die Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen Woche gilt als ein zentrales Kriterium: Bund und Länder hatten vereinbart, dass in besonders betroffenen Gebieten, die den Wert überschreiten, örtliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Für den Berliner Senat ist indes ein eigenes Frühwarnsystem entscheidend: die Corona-Ampel.
Dabei ist die Zahl der Neuinfektionen nur einer von drei Indikatoren. Berücksichtigt werden auch die sogenannte Reproduktionszahl, bei der die Ampel aktuell auf Gelb steht, und die Belegung von Intensivbetten mit Corona-Infizierten – hier steht die Ampel auf Grün.
Die stark steigenden Infektionszahlen dürften vielen Berlinern bei ihren Plänen für die Herbstferien endgültig einen Strich durch die Rechnung machen. In vielen deutschen Regionen können sie nicht mehr einfach ins Hotel oder in die Ferienwohnung.
Kalayci: Zu Hause bleiben
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci empfiehlt, zu Hause zu bleiben. „Pandemiezeit ist weder Partyzeit noch Reisezeit“, sagte die SPD-Politikerin und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz in der ARD. „Deswegen finde ich, auch wenn die Regelungen bundesweit unterschiedlich sind: Es ist jetzt einfach nicht die Reisezeit.“
Kalayci hält es nicht für sachgerecht, dass wegen Coronavorgaben bei innerdeutschen Urlaubsreisen nun möglicherweise viele Reisewillige getestet werden. „Wir dürfen die Testkapazitäten jetzt nicht für Reisewillige verschenken. Die Kapazitäten brauchen wir woanders.“
Die Länder hatten am Mittwoch mehrheitlich beschlossen, dass Reisende aus Gebieten mit sehr hohen Infektionszahlen nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Coronatest haben. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen. Einige Länder – auch Berlin – wollen das indes nicht umsetzen.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg, Wolfgang Kreischer, rief angesichts der Lage ebenfalls dazu auf, auf Reisen zu verzichten. Die Menschen sollten zu Hause bleiben und so die zweite Welle vermeiden, sagte er.
Wer für sein Urlaubsziel einen negativen Coronatest braucht, dürfte es ohnehin vielfach nicht leicht haben in Berlin: Nach Einschätzung des Amtsarztes im Bezirk Reinickendorf, Patrick Larscheid, dauert es oft mehr als 48 Stunden, bis das Ergebnis vorliegt. In Berlin seien die Testkapazitäten am Anschlag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe