Stand der deutschen Einheit: Gleitende Annäherung

Das Gerede von einer neuen Ost-West-Mauer ist Unsinn. Unterschiede gibt es außerdem auch zwischen Stadt und Land, wie Nord und Süd.

Bushaltestelle auf dem Land in Vierkirchen, Bayern

Nix wie weg hier: Viele sehen ihre Chancen eher in der Stadt Foto: Florian Gaertner/imago

Ja, doch, wir haben eine deutsche Einheit. Nein, wir haben keine neue Mauer zwischen Ost und West, wie mitunter ventiliert wird. Auch wenn 35 Jahre nach dem Mauerfall die Kluft zwischen Menschen in Ost und West scheinbar wieder größer geworden ist. Weil der Osten, wie die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg gerade gezeigt haben, so offen rechts wie nie zuvor ist. Und der Westen sich darüber die Augen reibt.

Unabhängig davon, dass die ostdeutschen Verhältnisse auch im Westen ankommen werden, wie Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r:in­nen voraussagen. Spätestens dann ist die deutsche Einheit komplett vollzogen. So zynisch es klingen mag. Die vergangenen 35 Jahre zeigen aber vor allem eines: Die deutsche Einheit ist kein statischer Zustand, sondern ein zuweilen überraschender Prozess.

So waren die Unterschiede zwischen den alten und damals neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990 und in den ersten Jahren nach der DDR so groß wie noch nie: Einkommen, Eigentum, Eliten, Eigenverantwortung – von allem hatte der Westen Unmengen mehr. So konnte der Riss gar nicht anders verlaufen als zwischen Ost und West.

Aber die Ostdeutschen ackerten und ackerten, die Lebensverhältnisse glichen sich an, Ostdeutsche übernahmen westdeutsche Lebensstile und wussten das neue Leben wertzuschätzen. Doch es gab weiterhin Unterschiede, materiell, politisch, zu jener Zeit aber vor allem kulturell. Allerdings nicht mehr überaus stark zwischen Ost und West, sondern zwischen Nord und Süd. Was hatte eine Rostockerin mit einem Münchner gemein?

Nichts. Ebenso wenig, wie jemand aus Hamburg oder Bremen etwas mit Stuttgart anfangen konnte. In den vergangenen Jahren gab es eine weitere Verschiebung: Es entstand eine Lücke zwischen Stadt und Land. Städte und ihre Randregionen wachsen, die Peripherie dagegen schrumpft – in Ost wie West. In den Städten bieten sich Chancen, auf dem Land gehen sie verloren. Das ist kein Problem, das zwischen Ost und West geklärt werden muss, sondern einzig gesamtdeutsch.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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