Stahlproduktion in Deutschland: „Eine neue industrielle Revolution“
Wirtschaftsminister Habeck ist nach Namibia aufgebrochen, um mehr grünen Wasserstoff für Deutschland zu beschaffen. Ist die Industrie schon bereit dafür? Ein Besuch in Deutschlands größtem Stahlwerk.
Auf dem gegenüberliegenden linken Ufer türmen sich ähnliche Mengen Steinkohle. Dahinter steht der schwarze Turm der Kokerei, die Kohle zu Koks veredelt – dem Brennstoff, ohne den die Stahlproduktion nicht funktioniert. Und doch sollen die Berge auf dieser Seite des Hafenbeckens in den kommenden Jahren verschwinden.
Aber wie schmilzt man Erz ohne Kohle? Das ist das Problem, das Thyssenkrupp lösen muss, wenn das größte Stahlwerk Europas in Duisburg überleben will. Wenn man statt Kohle Wasserstoff einsetzt, der mit Ökostrom gewonnen wurde, entsteht im Zuge der Stahlproduktion kein CO2 mehr, sondern am Ende nur noch Wasserdampf.
„Wasserstoff ist die neue Kohle“, sagt Bettina Hübschen, rötliche Haare, runde Brille. Seit 2007 ist sie bei Thyssenkrupp Steel. Etwa 50 Leute arbeiten unter ihrer Führung an der klimafreundlichen Transformation des Stahlwerks, dem Ersatz von Kohle durch Wasserstoff. „Wir haben eine hohe Dynamik“, nickt sie. Das ist eine Managerinnen-Formulierung für Zeitdruck und Stress.
Verhandlungen über staatliche Förderung
Um zum Hochofen zu kommen, dauert es auch im Auto ein bisschen. Das Industrieareal nördlich der Duisburger Innenstadt belegt eine Fläche fünfmal so groß wie der Kleinstaat Monaco – Kraftwerke, rauchende Schornsteine, kilometerlange Leitungen auf Trägern über und neben den Straßen, verrußte Hallen so groß, dass Schiffe reinpassen.
Das kantige Herz des Werks ragt Dutzende Meter in die Höhe, rötlich verkleidet, eingerahmt von einem Labyrinth aus Schloten, Röhren und Metallkonstruktionen. Hier wird das Eisenerz geschmolzen, die Lava des glühenden Stahls fließt heraus. Solche Höllenmaschinen müssen komplett ersetzt werden, damit die Schmelze mit Wasserstoff funktioniert.
Dass das passiert, hat der Konzern schon entschieden. 2026 soll der erste Ofen umgestellt sein. Das sind nur drei bis vier Jahre. Noch in diesem Jahr will man die Aufträge an die Anlagenbauer vergeben. „Da darf nichts dazwischenkommen“, sagt Bettina Hübschen.
Über 2 Milliarden Euro soll das Vorhaben kosten – allerdings nicht nur Geld von Thyssenkrupp, sondern auch vom Staat. „Anfangs rechnet sich die Produktion ohne Förderung nicht“, heißt es beim Unternehmen. Um welche Subventionen es geht, wird nicht verraten. Man kann jedoch vermuten, dass sich die Verhandlungen um etwa eine Milliarde Euro drehen, vielleicht die Hälfte der Investitionskosten. Eine vergleichbare Summe soll die Salzgitter AG für den ähnlichen Umbau ihres Stahlwerks bekommen.
Woher kommt der Wasserstoff?
Das Ganze ist ein gigantisches Experiment, nicht nur ein unternehmerisches, sondern auch ein gesellschaftliches. Denn die Lage sieht so aus: Die künftige Produktionskette für grünen Wasserstoff ist noch nicht geschlossen.
Nötig sind zusätzliche, sehr große Wind- und Solarkraftwerke; Entsalzungsanlagen, falls der Wasserstoff aus Meerwasser gewonnen wird; Elektrolyseure, die Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spalten; Fabriken zur Verflüssigung des Wasserstoffs, wenn er über große Entfernungen transportiert werden muss; Anlagen, um ihn in Gas zurückzuverwandeln. Problematisch ist dabei unter anderem, dass der Energieverlust zunimmt, je öfter man den Wasserstoff umwandelt. Auch die Kosten steigen damit erheblich.
Aber funktioniert Wasserstoff (H2) in der Stahlproduktion überhaupt? Die Technikerinnen und Techniker sind optimistisch, dass es klappt. Doch heute sei vieles noch Theorie, meint Hübschen. Denn nirgendwo auf der Welt gibt es bisher eine großtechnische Stahlproduktion auf H2-Basis. „Wir bauen erst mal eine Versuchsanlage“, erklärt die Thyssenkrupp-Managerin, „die soll 2024 fertig sein.“ Alles Mögliche kann auf dem Weg dorthin passieren.
Hinzu kommen weitere Fragen, die ebenfalls nicht unwichtig sind. Woher sollen die großen Mengen grünen Wasserstoffs kommen? Das Duisburger Unternehmen kooperiert unter anderem mit den Energiekonzernen RWE, BP und Shell. Der Stromerzeuger Steag prüft den Bau eines Elektrolyseurs in Duisburg.
Trotzdem ist klar, dass der größte Teil des hierzulande benötigten grünen Wasserstoffs importiert werden muss. Deutschland hat einfach nicht genug Platz für die vielen Wind- und Solarparks. Deshalb strebt die Bundesregierung eine Zusammenarbeit unter anderem mit Australien, Neuseeland, Kanada, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien an.
Am Sonntag ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu einem mehrtägigen Besuch in Namibia aufgebrochen, um mehr grünen Wasserstoff für Deutschland zu beschaffen. Begleitet wird er dabei von Industrievertretern. Eine Absichtserklärung für die Zusammenarbeit gibt es bereits, außerdem 30 Millionen Euro für Pilotprojekte.
Wenn die nötigen Mengen an Wasserstoff bestellt sind, stellt sich die nächste Frage: Wie gelangt der Energieträger beispielsweise zu Thyssenkrupp? Ideal wären Pipelines. Aber die existierenden Gasleitungen etwa zu niederländischen Häfen müssen erst umgebaut werden. Für eine Verbindung zum Hamburger Hafen fehlt ebenfalls noch ein gutes Stück. Werden diese Trassen rechtzeitig fertig angesichts der Dauer der hiesigen Genehmigungsverfahren?
Insgesamt geht es um nicht weniger als „eine neue industrielle Revolution“, sagt Bettina Hübschen. Der Zeitraum dafür beträgt fünf bis zehn Jahre, wenn ab 2026 allmählich grüner Wasserstoff in zunehmenden Mengen bei der Stahlproduktion eine Rolle spielen soll. Ist das nicht ein bisschen knapp für eine industrielle Revolution? Die erste dauerte ungefähr das ganze 19. Jahrhundert. Die digitale Revolution ist auch schon seit 50 Jahren unterwegs.
Erstmal grau statt grün beim Wasserstoff
Duisburg betreibt auch noch den größten Binnenhafen Europas. Und der hat dasselbe Problem wie Thyssenkrupp Steel, aber auch dieselbe Idee: grüner Wasserstoff.
Alexander Garbar, weißes Hemd ohne Krawatte, Strickjacke, leitet die Unternehmensentwicklung des Hafens. Ein paar Flusskilometer südlich des Stahlwerks taucht hinter ihm am Ufer nun ein Teil der Lösung auf: die Baustelle des neuen Containerterminals.
Oberhalb der senkrechten Uferbefestigung schütten Bagger weitläufige Abstellflächen auf. Ab 2024 werden sechs neue Kräne die Container von den Schiffen an Land heben. Der Clou: Perspektivisch will Garbars Firma die Kräne unter anderem mit Strom aus Brennstoffzellen speisen, die mit Wasserstoff laufen. Die Zellen fusionieren H2 und Sauerstoff zu Wasser, wobei Elektrizität entsteht.
Das ist der grobe Plan. Er ist im Fluss. „Vor zwei, drei Jahren ging plötzlich die Wasserstoff-Diskussion los“, erinnert sich Grabar, „niemand wusste etwas Genaues.“ Auch jetzt sind noch wesentliche Punkte offen. Etwa die Frage: Wann und wie kommt grüner Wasserstoff in den Hafen? Per Tanklaster, per Pipeline? Keine Ahnung. Also wollen Grabar und seine Leute die Brennstoffzellen erstmal mit grauem Wasserstoff versorgen. Dieser ist aber nicht klimaneutral, weil man ihn zum Beispiel aus Erdgas gewinnt – nicht so schön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid