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Staatsstreich in der ältesten DemokratieTrump schüttelt die Welt

Der US-Präsident wütet sich durch seine ersten Amtswochen. Er greift nach Grönland und Gaza und gibt Elon Musk Zugang zu hochsensiblen Daten.

Ein Kind hört zu, als Trump ein Dekret unterschreibt, das trans Personen vom Frauensport ausschließt Foto: Foto: Alex Brandon/picture alliance

Berlin taz | Meint er das wirklich ernst? Oder muss man das, womit Donald Trump tagtäglich die Welt vor sich hertreibt, weniger ernst nehmen, als es zunächst klingt? Seit dem 20. Januar stellen sich Regierungen, Politikerinnen und politische Beobachter weltweit diese eine große und für die Zukunft von Hunderten Millionen von Menschen entscheidende Frage. Faktisch rede Trump „Bullshit“, sagt die kanadische Journalistin und Buchautorin Laura-Julie Perreault etwa über die Diskussion zu Zöllen und Grenzsicherung in Kanada.

Und trotzdem ist es Trump bitterernst. Er verfolgt ein Ziel, er hat es gesagt, die Einverleibung Kanadas. Nicht als 51. Bundesstaat, vermutet Perreault: „Nein, das wären ja 40 Millionen Menschen, die größtenteils progressiv sind, wie ein zweites Kalifornien, für ihn ein politischer Alptraum.“ Die Kanadierin glaubt, dass es Trump um Unterwerfung geht: „Erst will er uns ökonomisch in die Knie zwingen und dann behandeln wie Puerto Rico“, als fügsames assoziiertes Land.

Seit weniger als einem Monat regiert Donald Trump nun, er feuert in einer Geschwindigkeit Dekrete ab, mit der keine politische Opposition Schritt halten kann, keine Öffentlichkeit und keine Gerichtsbarkeit. Er zertrümmert per Unterschrift staatliche Behörden und zeigt, wie unkaschierter Neo-Imperialismus aussieht. Grönland? Annektieren, die USA um eine Nord-West-Atlantik-Passage erweitern und natürlich um wertvolle Bodenschätze. Panama? Den USA eine südliche Ost-West-Handelsroute sichern und die Chinesen kontrollieren. Der Golf von Mexiko? Hat Google auf Trumps Forderung hin für US-Nutzer und -Nutzerinnen bereits in Golf von Amerika umbenannt. Und schließlich Gaza, das bald die USA besitzen werde.

Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Washington neben ihm stand, hat Trump zuletzt ein vielversprechendes Immobilien-Entwicklungsprojekt vorgestellt: die „Riviera des Nahen Ostens“. Man müsse nur zwei Millionen Menschen, die ohnehin nicht in ihre zerbombten Häuser zurückkehren können, in neue Wohnungen anderswo umsiedeln. Die USA würden den Gazastreifen übernehmen und die Menschen aus Gaza würden sich darüber freuen. „Man sollte wirklich hochwertige Wohnungen bauen, eine schöne Stadt, einen Ort, an dem sie leben können und nicht sterben müssen, denn Gaza ist eine Garantie dafür, dass sie sterben werden.“

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Es begann mit einem Clown

Der Vorschlag ist so irrsinnig, dass man ihn einfach nicht ernst nehmen kann. Oder doch? Trump verändert die Spielregeln, innerhalb von Tagen hat er die internationale Gemeinschaft unter einen Handlungsdruck gesetzt wie kein Politiker vor ihm. Wie bisher im Modus des Abwartens zu verharren, ist für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) jetzt keine Option mehr. Das Westjordan­land könnte das nächste Immobilienprojekt werden. Die PA, die in Gaza dominierende Hamas, aber auch die arabischen Staaten, in die Trump die Menschen aus Gaza immerhin vertreiben möchte, werden Angebote machen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Unter diesem Druck könnten sie den Plan, einen palästinensischen Staat neben Israel zu errichten, (bis auf Weiteres) aufgeben. Das wäre das Ende der Zwei-Staaten-Lösung. Doch in der Welt der Evangelikalen Christen in den USA und der radikalen Rechten in Israel entsteht am Horizont schon die Vision eines Groß-Israels, ganz ohne Palästinenser, samt „Riviera des Nahen Ostens“.

Mittlerweile formt sich eine Sicht auf Trump, die man wohl als Nicht-wörtlich-aber-ernst-nehmen bezeichnen könnte. „Dieser Mann ist ein Schauspieler in einem globalen Theater“, kommentierte Shlomo Ben-Ami, früherer israelischer Außenminister und Historiker im US-Rundfunk NPR, „und das ist seine Taktik: er spielt groß auf, lenkt die Aufmerksamkeit der Welt auf das, was er sagt, bringt seine Rivalen aus dem Gleichgewicht, und am Ende wird etwas passieren, das in seinem Sinne ist.“

Die Betrachtung des US-Präsidenten hat über die Jahre seit 2015 verschiedene Phasen durchlaufen. Erst war da Trump, der Clown. Man konnte über ihn lachen, seine Aussagen nahm niemand so recht ernst. In der zweiten Phase war es mit dem Spaß vorbei. Man sah den rücksichtslosen Geschäftsmann, der zu viel fordert, um den Gegenüber vor sich her zu treiben. Bei Phase drei ist jetzt Shlomo Ben-Ami angelangt: Er sieht einen Staatsmann, der die Welt schüttelt, um zu sehen, welche Früchte er ernten kann. Die Frage ist, ob es bald eine vierte Phase gibt, in der es auch global gesehen keine Partner, sondern nur noch unterworfene Nationen gibt.

Von der Ukraine forderte Trump vor wenigen Tagen eine Vereinbarung zur Lieferung Seltener Erden im Tausch gegen US-Hilfen im Krieg gegen Russland. Seltene Erden, die für Smartphones und andere Elektronik gebraucht und bisher vor allem in China gefördert werden. Früher hätte man darüber vielleicht gelacht. Bis vor Kurzem hätte man sich Gedanken gemacht, was Trump damit eigentlich erreichen will. Jetzt scheint klar: Trump will Seltene Erden. Und er ist bereit, das um jeden Preis durchzusetzen.

Er meint es ernst

In den USA stehen zwischen Trump und der Umsetzung seiner verrückten, ernsten Forderungen nur noch ein paar Gerichte. Am Donnerstagabend lief eine Frist aus, die das Weiße Haus gesetzt hatte. Bis dahin sollten sich zwei Millionen Angestellte, alle Bundesbediensteten jenseits von Pentagon, Post und Polizei, entscheiden, ob sie eine Abfindung annehmen wollten. Es wurde schnell dagegen geklagt. Doch einer Mail entnahmen die Angestellten, wie es künftig an ihren Arbeitsplätzen zugehen sollte. „Verschärfte Verhaltensstandards“ würden angewandt, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer „zuverlässig, loyal und vertrauenswürdig“ seien. Ja, Donald Trump zerschlägt den unter Liberalismusverdacht stehenden Beamtenapparat, ganz wie es in der Regierungsblaupause „Project 2025“ vorgesehen war. Jeder, der in Washington arbeitet, soll nach Hause gehen.

Die US-Entwicklungshilfeagentur USAID wird nach Ansicht des US-Präsidenten von „radikalen Verrückten“ geführt, Elon Musk nennt die Behörde ein „Schlangennest von linksradikalen Marxisten, die Amerika hassen“. Deshalb werden auch Zuverlässigkeit, Loyalität und Vertrauenswürdigkeit den 10.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von USAID nicht helfen. Trump hat gerade alle Gelder temporär gestoppt und die Mitarbeitenden im Ausland mit einer Frist von 30 Tagen zurück in die USA beordert. Künftig sollen nur noch 300 Menschen für USAID arbeiten.

Natürlich ist das ein Staatsstreich, so Historiker Timothy Snyder. Wenn man ihn nicht zügig als solchen erkenne, werde er auch gelingen

Donald Trump hat das Staatsbürgerschaftsrecht geändert. Er hat gerade Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof angeordnet. Er ist wieder aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten und erneut aus dem Pariser Klimaabkommen. Trump ließ 30 Staatsanwälte feuern, weil sie an den Ermittlungen zum Umsturzversuch am Kapitol beteiligt waren. Tausende von FBI-Beamten mussten in langen Fragebögen ihre Rolle bei den Ermittlungen offenlegen. Und einem temporären Angestellten der Regierung, so ist Musks offizieller Status, hat Trump vollen Zugriff auf das Auszahlungssystem des Finanzministeriums gewährt. Damit hat Musk, der reichste und vielleicht auch gefährlichste Mann der Welt, Zugriff auf ein System, das sensible persönliche Daten von Millionen Menschen enthält.

Er meint es also ernst. Aber wie ernst steht es um die älteste Demokratie der Welt? „Natürlich ist das ein Staatsstreich“, schreibt der Historiker Timothy Snyder. Und wenn man ihn nicht zügig als solchen erkenne, warnt er, werde dieser auch gelingen.

Der erste Tag ist angebrochen

Historisch hätten Staatsstreiche so ausgesehen: „Das Zentrum der Macht war ein physischer Ort. Es zu besetzen und die Amtsinhaber zu vertreiben, bedeutete, die Kontrolle zu übernehmen.“ Wenn heute eine Gruppe bewaffneter Männer mit merkwürdigen Symbolen – etwa „zehn Tesla-Cybertrucks in Tarnfarben und mit einem riesigen X auf jedem Dach“ – Regierungsgebäude stürmten, würden die Amerikaner dies als Putschversuch erkennen. Aber wenn nun ein paar Dutzend junge Männer von Regierungsbüro zu Regierungsbüro gingen, in Zivil gekleidet und nur mit Festplatten bewaffnet, sich mit vagen Hinweisen auf Befehle von oben Zugang zu den Computersystemen verschafften, „ihrem Obersten Führer“ Zugang zu Informationen und Zugriff auf alle staatlichen Zahlungen ermöglichten, dann sei dies ein moderner Staatsstreich, der möglicherweise nicht erkannt würde.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, macht es vielleicht Sinn, Donald Trump selbst sprechen zu lassen. Im Dezember 2023 war er zu Gast bei seinem Buddy, dem Fox-News-Moderator Sean Hannity. „Du willst kein Diktator sein, oder“, fragte ihn Hannity. „Nein, nein, nein“, erwiderte Trump. „Außer am ersten Tag“.

Der erste Tag ist angebrochen. Noch ist nicht absehbar, wann er endet.

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2 Kommentare

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  • Ich möchte einfach nur einmal wissen, was die Republikaner selbst dazu sagen. Führen sie jetzt Freudentänze auf oder fehlt ihnen der Mut, dem Fiasko ins Auge zu sehen, das sie zu verantworten haben?

  • Es gab ja immer noch Leute die gesagt haben so schlimm wird es nicht. Die Welt wie wir sie kannten löst sich gerade auf und wir stehen erst am Anfang, wir begreifen auch noch nicht wirklich



    was da passiert und welche Konsequenzen das für uns hat.