Staatsstreich in Niger: Aufs falsche Pferd gesetzt
Der Westen hatte Niger immer als stabil und demokratisch gepriesen. Jetzt hat das Militär die Macht ergriffen und damit offenbart, wie falsch dieses Bild war.
N un hat es Niger getroffen, den in Europa gepriesenen „Stabilitätsanker“ im Sahel. Auch wenn Präsident Mohamed Bazoum seinen Rücktritt noch nicht offiziell bekannt gegeben hat, ist klar: Er wird sich nicht an der Staatsspitze halten können.
Daran werden auch geplante Vermittlungsgespräche im Rahmen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas nichts ändern. Westafrika muss sich auf ein weiteres Land ohne gewählte Regierung einstellen, aus dem schon jetzt deutliche Worte in Richtung Ausland kommen: Eine militärische Einmischung von außen könne desaströse Konsequenzen haben.
Damit hat gerade Europa wieder einmal aufs falsche Pferd gesetzt. Dass Bazoums Regierung seit dessen Amtsübernahme im Jahr 2021 die große Bedeutung des Antiterrorkampfs und der internationalen Zusammenarbeit regelmäßig betont hat, ist durchaus glaubwürdig. Was man aber in Europa nicht sehen wollte, war die Instabilität des Landes.
Seit Jahren verüben in der Region Tillabéri islamistische Gruppierungen regelmäßig Anschläge. Spätestens 2020, als bei einem Anschlag im Giraffenreservat, nur eine Autostunde von der Hauptstadt Niamey entfernt, acht Menschen ermordet wurden, hätte klar sein müssen, wie desaströs die Sicherheitslage bereits ist. Eine extrem junge Bevölkerung von durchschnittlich nicht einmal 15 Jahren verbunden mit großer Perspektivlosigkeit – Niger belegt im Entwicklungsranking der Vereinten Nationen Platz 189 von 191 – trägt nicht gerade zur Stabilisierung bei.
Desaströse Menschenrechtssituation
Dazu wurden die Rechte von Zivilgesellschaft, Journalist:innen und Stimmen der Opposition in den letzten Jahren immer mehr eingeschränkt. Da hilft es nicht, unermüdlich zu betonen, dass Bazoums Wahl der erste demokratische Wechsel an der Staatsspitze überhaupt war. Ohnehin hatte es im Rahmen der Wahlen zahlreiche Fälschungsvorwürfe gegeben.
Unterschätzt wurde auch die zunehmende Kritik an internationaler militärischer Präsenz – allen voran der französischen –, die durch bewusste Fehlinformationen in sozialen Netzwerken angeheizt wurde.
Wie beliebt oder unbeliebt Bazoum im eigenen Land zuletzt war, lässt sich nicht sagen, weil es dazu keine Umfragewerte gibt. Gut möglich, dass er vor allem das Opfer interner Machtkämpfe geworden ist und durchaus glaubwürdig zur Stabilität in der Region beitragen wollte.
Für die internationale Gemeinschaft gilt allerdings: Sie hat viele Realitäten nicht erkannt oder nicht sehen wollen und ein Land als stabil und demokratisch bejubelt, das es nie wirklich war.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott