Staatsrechtler über AfD-Richter Maier: „Dann ist der Rechtsstaat am Ende“
Der Jurist Fischer-Lescano kritisiert Sachsens Landesregierung, weil Rechtsextremist Jens Maier wieder Richter werden darf. Das wäre ein Dammbruch.
taz: Herr Fischer-Lescano, so wie sehr viele Menschen empören Sie sich derzeit ziemlich über die sächsische Justiz. Warum?
Andreas Fischer-Lescano: Weil ich fassungslos bin. Dass der rechtsextreme AfD-Funktionär Jens Maier in Sachsen wieder als Richter tätig werden soll, war dem sächsischen Justizministerium nur eine beiläufige Mitteilung wert. Als sei das eine Selbstverständlichkeit.
Das von der Grünen-Politikerin Katja Meier geführte Ministerium argumentiert, dass es rechtlich nicht anders ginge.
Es scheinen in diesem ja lange CDU-geführten Ministerium offenbar schützende Hände über Jens Maier zu liegen. Die Behörde bezieht sich in ihrer Begründung nur auf das Abgeordnetengesetz, in dem tatsächlich ein Rückkehranspruch formuliert ist. Das lässt aber völlig außer Acht, dass angesichts der politischen Verstrickung Maiers in verfassungsfeindliche Bestrebungen die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für eine Rückkehr dienstrechtlich nicht gegeben sind.
Maier gehört zur völkischen Strömung der AfD und ist vom Verfassungsschutz eingestufter Rechtsextremist – seine Gesinnung hat er durch Äußerungen vielfach dokumentiert.
Genau deswegen fehlen substantielle Voraussetzungen für die Wiedereingliederung Maiers in die Justiz. Und seine mögliche Rückkehr fügt sich ein in eine Reihe von Nachrichten aus Sachsen, die enorm beunruhigen und zeigen, dass der Marsch der völkisch-nationalen Kräfte durch die juristischen Institutionen dort schon weit fortgeschritten ist. Vor wenigen Wochen hat der sächsische Landesverfassungsgerichtshof entschieden, dass die Klage eines Kaders des rechtsextremen III. Weges erfolgreich ist. Der Mann darf jetzt Rechtsreferendar werden. Nun die Rückkehr Maiers – das wäre endgültig der Dammbruch.
Wie lässt sich das noch verhindern?
Jemand muss die Verantwortung übernehmen, und zuständig ist hier das sächsische Justizministerium. Es muss ein disziplinarisches Verfahren eröffnen, die vorläufige Dienstenthebung und die Entlassung Maiers aus dem Justizdienst einleiten. Da gibt es angesichts der dienstrelevanten Verfehlungen von Maier nicht einmal mehr ein Ermessen.
Allerdings ruht das für Maier und Beamt*innen geltende Mäßigungsgebot zumindest in Teilen, während er wie die vergangenen Jahre einer Abgeordnetentätigkeit nachgeht, oder?
Ja, das ist so. Der Richter Maier war als Abgeordneter nicht dazu verpflichtet, alle Anforderungen des Mäßigungsgebotes zu wahren. Es ruhen in der Abgeordnetenzeit aber nicht alle Pflichten. So gibt es durchaus eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die die Fortgeltung dienstrechtlicher Pflichten während eines Mandatsverhältnisses bejaht. Und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten die Fortgeltung der Treuepflicht bei verbeamteten Abgeordneten bejaht.
Und müsste man nicht auch vor einer Rückkehr prüfen, was Maier zwischenzeitlich so getrieben hat?
Ja, spätestens zum Zeitpunkt der Rückkehr ins Amt muss Jens Maier Gewähr für die Einhaltung der beamtenrechtlichen Treuepflicht bieten. Das zu prüfen ist Aufgabe des Ministeriums. Es kann sich dabei nicht einfach auf ein Ruhen der Pflichten während des Abgeordnetenverhältnisses zurückziehen, denn es geht um eine zum Zeitpunkt der Rückführung sich stellende Frage: Ein Kader der AfD, der sich aktiv im verfassungsfeindlichen Flügel oder dessen scheinaufgelösten Nachfolgenetzwerken engagiert, der für den völkisch-nationalen Kurs, den Rassismus, die Hetze und Menschenfeindlichkeit der Partei Mitverantwortung trägt, ist als Richter untragbar.
Die Landesregierung sieht das offenbar anders.
Wenn das Justizministerium vor dieser Tatsache die Augen verschließt und stur aufs Abgeordnetengesetz und die Bundeszuständigkeit verweist, dann ist das alarmierend. Das Ministerium selbst scheint Teil des Rechtsextremismusproblems in Sachsen zu sein. Ihre vollmundige Ankündigung, den Rechtsextremismus in Sachsen bekämpfen zu wollen, kann die Ministerin offenbar nicht einmal im eigenen Haus umsetzen.
Gibt es denn Präzedenzfälle für die Entlassung bei Treuepflichtverletzungen?
Die Gerichte haben seit den 80er Jahren immer wieder entschieden, dass aktive Kader rechtsextremer Parteien allein schon durch aktive Mitgliedschaft und parteiliche Funktionen in Konflikt mit der Treuepflicht geraten, wenn die Partei die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzt. In diesem Fall ist die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zwingende Folge.
Maier war sächsischer Obmann des extrem rechten Flügels, hat die Dresdner Erklärung der Völkischen unterzeichnet, zudem sind rassistische Äußerungen bekannt. Der sächsische Verfassungsschutzbericht 2020 sieht ihn als weiterhin tragende Figur im veränderten Flügelnetzwerk. Reicht das?
Die Entlassung ist die einzig mögliche Folge aus diesen Aktivitäten, ja. Ob man einen Rechtsextremen als Richter wiedereinstellt, ist keine Frage von ruhenden Pflichten, einzelnen Reden oder der Meinungsfreiheit. Es geht vielmehr darum, ob sich Vorgesetzte und Allgemeinheit bei der Person individuell auf die Einhaltung der Treuepflicht verlassen können oder nicht.
49, Rechtswissenschaftler mit Professur an der Uni Bremen. Er schreibt zu Rechtspolitik für das Portal Verfassungsblog. Seine Schwerpunkte sind öffentliches Recht, Rechtspolitik, Völkerrecht und Rechtstheorie.
Wie sieht Ihre Bewertung mit Blick auf Maier aus?
Im Fall von Jens Maier fällt sie eindeutig negativ aus. Maier war im formal aufgelösten Flügel organisiert, ist weiterhin zentrale Figur des Flügelnetzwerkes innerhalb der AfD. Dessen Politikkonzept zielt laut sächsischem Verfassungsschutz auf die Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und auf die Verächtlichmachung und Rechtlosstellung von Migrantinnen und Migranten, also auf rassistisch motivierte Verstöße gegen die Menschenwürdegarantie. Ja, dann kommt es nicht mal darauf an, ob Maier konkrete Äußerungen in dieser Richtung getätigt hat. Selbst wenn er sich innerhalb der AfD für verfassungskonforme Politik eingesetzt hätte – was er aber nicht getan hat – spielte das keine Rolle, denn er muss sich wegen seiner aktiven Mitgliedschaft die verfassungsfeindlichen Positionen seiner Partei und seines Netzwerkes zurechnen lassen.
Zumal es keine Distanzierung gibt.
Genau. Auch wenn Maier sich plötzlich distanzieren würde, wäre das unglaubhaft angesichts dessen, was vorliegt. Bei Maier geht es nicht um eine Routinerückführung eines verdienten Abgeordneten nach seiner Zeit im Parlament, sondern um einen Verfassungsfeind, dessen Aufgabe als Richter es dann wäre, die Verfassung zu schützen. Absurd. Die Justizministerin Meier, aber auch Ministerpräsident Kretschmer sind hier dringend gefordert, diesem Spuk ein Ende zu setzen. Wenn es nicht gelingt, Maiers Rückkehr in die sächsische Justiz zu verhindern, dann ist der Rechtsstaat in Sachsen am Ende. Das muss dann auch personelle Konsequenzen in der Sächsischen Staatsregierung haben, denn da hat diese Staatsregierung vollkommen versagt.
Die Neue Richtervereinigung meint, man könnte durch eine Richteranklage Klarheit über Maiers Eignung gewinnen. Was halten Sie davon?
Die Richteranklage ist ein Verfahren, das neben die disziplinarrechtlichen Möglichkeiten tritt. Das eine schließt das andere nicht aus. Darum ist es richtig: Alles muss versucht werden, um die Rückkehr von Jens Maier in die Justiz zu verhindern. Allerdings sind die Hürden bei der Richteranklage extrem hoch. Daher hat es diese Anklage unter dem Grundgesetz noch nie gegeben. So müsste unter anderem der Sächsische Landtag bei Erhebung der Anklage mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Dort stellt die AfD 36 von 119 Abgeordneten, das würde eine sehr knappe Sache, die man aber durchaus zusätzlich zu einem Disziplinarverfahren in Angriff nehmen sollte.
Das sächsische Justizministerium hat wohl Angst, einen möglichen Prozess zu verlieren.
Klar gibt es juristischen Streit, zumal man nicht sicher sein kann, wie das Gericht besetzt ist, das über Dienstenthebung und Entfernung aus dem Amt zu entscheiden hätte. Es muss aber jetzt jemand die Verantwortung übernehmen. Der Fall darf nicht wie eine heiße Kartoffel nach unten auf die Dienststelle durchgereicht werden. Das Ministerium sucht derzeit nicht nach einer Lösung, sondern nach Nichtlösungen, indem es immer neue Einwände erfindet, um nicht tätig zu werden. Selbst wenn die Frage der Zuständigkeit nicht ganz geklärt ist, spricht für die Ministeriumszuständigkeit ein Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem das Ministerium in Ausnahmefällen das Disziplinarverfahren selbst einleiten kann.
Was würde passieren, wenn das scheitert?
Für den – unwahrscheinlichen – Fall, dass ein Verfahren beim Dienstgericht tatsächlich an der Tatsache scheitern würde, dass das Ministerium nicht zuständig ist, kann man jederzeit neu ansetzen und das Verfahren von der jeweiligen Dienststelle durchführen lassen. Man hätte dann auch schon einmal alle inhaltlichen Argumente beisammen, um die Nichterfüllung der Treuepflicht zu belegen. Das ist, was mich sprachlos macht: Das müsste eigentlich längst alles vorbereitet sein. Es kommt doch nicht überraschend, dass Jens Maier jetzt auf eine Versorgungsstelle zurückkehren möchte, nachdem er es nicht in den Bundestag geschafft hat.
Das Ministerium argumentiert, dass es für disziplinarrechtliche Dinge nur subsidiär zuständig ist – also eine untergeordnete Rolle spielt.
Ja, das stimmt in der Regel auch. Aber die entsprechende BGH-Entscheidung, die das Ministerium hier zur Begründung heranzieht, sagt das Gegenteil von dem, was das Ministerium behauptet. Denn der BGH sagt: In Ausnahmefällen ist das Ministerium zuständig. Und das hier ist eine Ausnahme! Der Fall Maier ist nicht typisch. Es ist ja nicht so, dass Maier ein normaler Richter wäre, der sich im Dienst einer geringfügigen Verfehlung schuldig gemacht hätte und nun der Dienstvorgesetzte ein Disziplinarverfahren einleiten müsste. Der Fall ist doch ganz anders: Maier war fünf Jahre lang keiner Richterstelle und keinem Gericht zugeordnet und kommt nun aus der aktiven Politik zurück. Natürlich ist ein solcher Fall nicht durchjudiziert. Komplett sichere Verfahren gibt es nicht. Aber jetzt ist die Courage gefragt, ein Zeichen gegen Rechts zu setzen – auch auf die Gefahr hin, dass man verliert. Es kann nicht der Weg sein, das einfach zu ignorieren und die Verantwortung nach unten weiterzureichen.
Wie würde es mit Maier weitergehen, wenn er tatsächlich im März wieder anfängt? Zuletzt hatte er sich als Richter um Verkehrssachen gekümmert.
Selbst wenn man Jens Maier wieder die Zuständigkeit für Verkehrssachen gibt: Wie soll man sicherstellen, dass er hier unbefangen und unvoreingenommen entscheidet? Es gibt keinen Rechtsbereich, in dem ein völkisch-nationaler Hintergrund nicht auch entsprechende Entscheidungen nach sich zieht. Auch im Verkehrsrecht stünden ihm Unfallbeteiligte gegenüber, die in seiner Weltsicht keinen Platz haben. Sie haben Namen, die anders klingen als seiner; sind People of Color; verhalten sich unsächsisch und fahren ausländische Autos. Es gibt weder hier noch im Versicherungsrecht, Handelsrecht oder Insolvenzrecht einen Fall, in dem völkisch-nationale Einstellungen keine Rolle spielen. Immer wird der Richter Maier es mit Menschen zu tun haben und immer wird seine rassistische Weltanschauung problematisch sein. Wie sollen Rechtssuchende Vertrauen in eine Justiz haben können, die ihnen in der Gestalt eines Jens Maier entgegentritt?
Kommen wir noch einmal auf den anderen Fall zurück: Der III. Weg bezieht sich offen auf den Nationalsozialismus. Wie kann es sein, dass ein Kader dieser rechtsextremen Splitterpartei Rechtsreferendar werden darf – abgesegnet vom sächsischen Landesverfassungsgerichtshof? Und das, obwohl eine ähnlich gelagerte Beschwerde des Mannes vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte?
Das Bundesverfassungsgericht war hier sensibler für die Gefahr von Rechts, als es das Landesverfassungsgericht in Sachsen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Beschwerde als nicht hinreichend fundiert abgewiesen. Man hätte sich gewünscht, dass das Landesverfassungsgericht es ebenso gehalten hätte. Es hat aber die Gelegenheit zu schweigen verpasst und eine Entscheidung gefällt, aus der aus meiner Sicht ein falsches Freiheitsverständnis spricht. Der Preis für diese Art von Liberalität im Umgang mit rechtsextremen Verfassungsfeinden ist aber hoch, denn durch sie ist der Rechtsstaat ist in akute Gefahr geraten.
Sachsen hat gerade versucht, mit der Verschärfung der Ausbildungsverordnung eine Art Radikalenerlass gegen Rechtsextreme zu schaffen – als Reaktion darauf, dass ein wegen Landfriedensbruchs nach Neonazi-Randalen verurteilter Mann Volljurist werden durfte.
Mit der Folge, dass sich der rechtsextreme III.-Weg-Kader doch einklagt. Die Verschärfung hätte man sich auch sparen können. Radikalenerlasse sind nicht die Lösung. Wir müssen aber die bestehenden Instrumentarien entschiedener anwenden. Es ist gerichtlich geklärt, dass die aktive Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen, völkisch-nationalen, rassistischen Partei unvereinbar ist mit den beamtenrechtlichen Dienstpflichten. Jetzt muss die sächsische Staatsregierung ihrer Aufgabe nachkommen, das geltende Recht durchsetzen und die Entfernung von Jens Maier aus dem Beamtenverhältnis einleiten.
Inwiefern würde sich die Lage für Beamt*innen und Staatsbedienstete in der AfD verändern, wenn sich die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz im März bestätigen sollte?
Das würde bei Maier keinen Unterschied ums Ganze machen, weil wir über Flügelzugehörigkeit und deren personelle Kontinuitäten schon jetzt Verfassungsschutzerkenntnisse haben, die seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zwingend zur Folge haben. Das Urteil wird daher Konsequenzen vor allem für diejenigen haben, die nicht zum Flügel gehören. Aber wenn Sachsen den Kampf gegen Rechtsextremismus weiter so führt wie im Fall Maier bisher, werden die AfD-Mitglieder dort freilich nicht viel zu befürchten haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen