Sportverbot mit russischen Athleten: Schmerzhafte Entscheidung
Kyjiw verbietet seinen Athleten die Teilnahme an Wettbewerben mit Russen oder Belarussen. Einige der Betroffenen kritisieren das Verbot.
Dieser Tage ist in der ostukrainischen Stadt Bachmut der ukrainische Radprofi Konstantin Deneko zu Tode gekommen. Der 40-jährige Sportler diente in einer Spezialeinheit des Nachrichtendienst. In seinem Urlaub nahm Deneko an Wettkämpfen teil. Im September 2022 fuhr er nach Butscha, um die Teilnehmer eines Radrennens zu unterstützen. Deneko starb am 31. März. Er ist der 200. ukrainische Athlet, der seit Beginn der russischen Invasion dem Krieg zum Opfer fiel.
Zum Zeitpunkt seines Todes beschäftigten sich die Verantwortlichen des ukrainischen Sports mit der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Athlet*innen aus Russland und Belarus bei Wettkämpfen begrenzt zuzulassen. Sie sollen als neutrale Sportler*innen antreten können, sofern sie nicht mit dem Militär oder Sicherheitsbehörden in Verbindung stehen. Unmittelbar nach der IOC-Empfehlung verbot das Ministerium für Jugend und Sport der Ukraine mit dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) ukrainischen Athlet*innen die Teilnahme an Wettkämpfen mit Russ*innen und Belaruss*innen.
Der Sportminister der Ukraine und Leiter des NOK, Wadim Gutzeit, zeigte sich zufrieden, dass das IOC die Frage einer Teilnahme von Russ*innen und Belaruss*innen an den Olympischen Spielen 2024 erst einmal aufgeschoben hatte. Und er erklärte, dass von einem Boykott der Ukraine der Olympischen Spielen 2024 noch keine Rede sein könne. Die Hauptsache sei, dass Russ*innen und Belaruss*innen nicht in die internationalen Verbände zurückkehrten.
Die Erwähnung eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele schockierte ukrainische Athlet*innen. Sie kritisierten, die Sportbehörden hätten statt dem Verbot für die eigenen Athlet*innen Druck auf das IOC ausüben und mit den Verbänden zusammenarbeiten sollen. Besonders empört waren Tennisspieler*innen, Ringer*innen und Schwimmer*innen, von denen viele Chancen auf eine Medaille in Paris haben.
„Zerstörung“ des ukrainischen Sports
„Dieses Verbot für ukrainische Athlet*innen ist genauso wie das Verbot für unser Militär auf der Krim, zu den Waffen zu greifen, als Russland die Halbinsel 2014 eroberte“, sagt der Sportmanager Juri Schapowalow. Der ukrainische Skeletonist Wladislaw Geraskewitsch spricht von einer „Zerstörung“ des ukrainischen Sports. Russ*innen und Belaruss*innen wären in Abwesenheit von Vertreter*innen der Ukraine in der Lage, „ihre Narrative und Propaganda zu verbreiten“. Geraskewitsch setzt sich aktiv gegen den Krieg ein – auch bei Wettbewerben.
Das IOC reagierte umgehend auf die Entscheidung Kyjiws. Der Boykott nütze dem ukrainischen Sport nichts und schade den Athlet*innen, hieß es. Zudem kündigte das Büro von Thomas Bach an, vom Boykott betroffene ukrainische Athlet*innen zu „schützen“. „Diejenigen, die gegen den Boykott sind, können sich auf eine direkte Unterstützung durch den Solidaritätsfonds der Olympischen Bewegung und das Athleten-Unterstützungsprogramm verlassen.“ In diesem Fall gerate die Ukraine in eine schmerzhafte Zerreißprobe, glaubt Schapowalow. Das IOC erkaufe sich die Loyalität jener Ukrainer*innen, die die Boykottentscheidung nicht mittragen wollen.
Der Hochspringer Andrei Protsenko lebte vor einem Jahr 40 Tage in der Nähe von Cherson unter russischer Besatzung und trainierte im Garten. Die Entscheidung, Russ*innen mit Einschränkungen zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen, empört Protsenko, weil er weiß, dass russische Athlet*innen Wladimir Putin und den Krieg unterstützen. „Ukrainische Athlet*innen haben von den Russen keinerlei Unterstützung bekommen. Vielen von uns haben sie Nachrichten mit Todeswünschen geschickt. Athlet*innen aus Russland und Belarus können nur unter den Bedingungen an Wettbewerben teilnehmen: dem Ende des Kriegs in der Ukraine und unseren Sieg.“
Mehrheit für Boykott
Protsenko, der während des Kriegs drei Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften gewonnen hat, findet, die Ukraine solle Wettkämpfe mit Russ*innen und Belaruss*innen boykottieren: „Meine Kollegin, die Hochspringerin Katerina Tabaschnik, hat ihre Mutter verloren. Sie wurde bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw getötet. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, mit ihnen bei einem Wettbewerb anzutreten.“ Bei einer Abstimmung im Leichtathletikverband der Ukraine unterstützte die Mehrheit den Boykott. Die kompromisslose Position des Weltverbands, der ein vollständiges Verbot der Teilnahme von Russ*innen und Belaruss*innen befürwortet, wirkte gewiss bestärkend.
Der Olympiasieger im Ringen, Schan Belenjuk, arbeitet als Abgeordneter für die Partei „Diener des Volks“ von Präsident Wolodimir Selenski im Parlament. Er hat angeregt, vom IOC eine Überarbeitung der Zulassungskriterien für russische und belarussische Athlet*innen zu fordern, weil das Wichtigste – die Verurteilung des Kriegs gegen die Ukraine – nicht darunter fällt.
Er will eine staatliche Datenbank von Athlet*innen und Trainer*innen aufbauen, die auch nach den IOC-Kriterien nicht antreten dürfen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Druck auf die Organisatoren der Olympischen Spiele und ihre Sponsoren auszuüben. Der einzige Weg, das IOC dazu zu bringen, die Teilnahme von Russ*innen und Belaruss*innen abzulehnen, besteht darin, solche Entscheidungen wirtschaftlich so unrentabel wie möglich zu machen.
Übersetzung: Barbara Oertel
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