Sondervermögen für die Bundeswehr: Teurer Aktionismus
Die Probleme der Bundeswehr sind vor allem systemischer Natur. Milliarden hineinzupumpen, ohne Grundlegendes zu ändern, ist Verschwendung.
D er Bundestag wird am Freitag die größte jemals getätigte Ausgabenerhöhung für die Bundeswehr beschließen. 100 Milliarden Euro sollen in den nächsten fünf Jahren vor allem in Aufrüstung fließen: Kampfflugzeuge, Kampfpanzer, Mehrzweckkampfboote. Eine gigantische Summe, die in erster Linie von politischem Aktionismus zeugt.
Es waren ja nicht die Verteidigungspolitiker:innen, die nach sorgfältiger Bedarfsanalyse eine Einkaufsliste vorgelegt haben, die sich zufällig auf 100 Milliarden Euro beläuft. Das ist eine politische Summe, die Bundeskanzler Olaf Scholz drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Bundestag mit der Botschaft verkündete: Wir handeln jetzt, nimm Dich in acht, Putin.
Aber rasches Handeln ist kein Selbstzweck. Keine Frage, es musste etwas passieren. Angesichts eines hochgerüsteten Russlands mit imperialen Großmachtfantasien sind Landes- und Bündnisverteidigung seit dem 24. Februar keine abstrakten Begriffe mehr, sondern bittere Notwendigkeit. Und ja, die Bundeswehr ist in einem schlechten Zustand.
Schimmelige Kasernen, Soldat*innen, die sich ihre Schutzwesten privat kaufen, Panzer, die nicht fahren. Aber das ist nicht in erster Linie das Resultat einer „kaputt gesparten“ Bundeswehr. Der Rüstungsetat ist seit 2014 kontinuierlich gestiegen und beträgt derzeit 50,3 Milliarden Euro. Damit könnte man übrigens alle Schulen in Deutschland top sanieren.
Die Probleme bei der Bundeswehr sind systemischer und nicht fiskalischer Natur. Ein verfilztes Beschaffungswesen, das dafür sorgt, dass zwischen Bestellung und Lieferung eines ballistischen Schutzhelms zehn Jahre vergehen. Eine Bestellpolitik, die vor allem die heimische Rüstungsindustrie pampert und nicht darauf schaut, was in Kooperation mit den europäischen Partner*innen nötig und sinnvoll wäre.
Wenn deutsche Soldat*innen mit Funkgeräten hantieren, die außer ihnen niemand nutzt, dann ist das vor allem Ausdruck von Geldverschwendung. Eine Greenpeace-Studie hat jüngst berechnet, das aufgrund der ineffizienten Strukturen bis zu 35 Milliarden Euro des Sondervermögens sinnlos verplempert werden könnten.
Das Beschaffungswesen durchlüften
Bevor man also weitere Milliarden in fragwürdige Kanäle pumpt, sollten diese erst mal durchlüftet werden. Eine Reform des Beschaffungswesens wäre vor der Grundgesetzänderung nötig gewesen. Denn, mal ehrlich: So sehr eilt es nun auch nicht. Bis die aus dem Sondertopf beschafften F-35-Jets fliegen und die ersten Schiffe schwimmen, werden Jahre vergehen.
Zwei Dinge sind nun entscheidend: Erstens eine tatsächliche Revision der Beschaffungsstrukturen in der Bundeswehr. Und zweitens eine Strategie, wie man aus dieser in Gang gesetzten Aufrüstungsspirale irgend wann wieder heraus kommt. Abrüstungsverträge und Rüstungskontrolle sind angesichts einer waffenstarrenden Welt nötiger denn je.
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