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Sommerserie „Im Schatten“ (4)Die Suche nach dem Mölsch

Unterricht der anderen Art: In der Waldschule Spandau lernen Kinder auch in den Ferien. Allerdings geht es hier um die Faszination für die Natur.

Vor dem Schnitzen steht das Holz sammeln: Jan (l.) und Frederic im Spandauer Forst Foto: Dagmar Morath

Berlin taz | Eichhörnchen haben sie gesehen. Wenigstens an dem Punkt sind sich Jan, Frederic und Karl* einig. Beim „Mölsch“ wird es schwierig. Der neunjährige Karl besteht darauf, dass er einen „Mölsch“ entdeckt hat. „Das war kein Molch, das waren zwei Eidechsen“, widerspricht der achtjährige Frederic. „Aber ich habe einen Mölsch gefunden“, sagt Karl. „Eidechse“, sagt Frederic. „Und dann haben wir noch eine pinke Heuschrecke gesehen“, sagt Jan schließlich. Er ist schon 13. Die Mölsch-Debatte ist damit beendet.

Die drei Jungs sind Teil einer 15-köpfigen Kindergruppe, die in dieser brütend heißen Sommerwoche am Ferienprogramm der Waldschule Spandau teilnehmen. Frederic gehört zu den Jüngsten, Jan ist der Älteste. Die Jungen und Mädchen kommen allesamt aus Spandau, zum Teil aus Einfamilienhausgegenden wie Gatow, zum Teil aber auch aus den trostlosen Hochhaussiedlungen Heerstraße Nord und Falkenhagener Feld. Unterschiede, die aktuell keine Rolle spielen. Selbst bei der Klärung tierischer Detailfragen ist die Laune gut.

Es ist allerdings auch erst Tag zwei der fünftägigen Waldferienwoche im Spandauer Forst, die der Verein „Jugend in Berliner Wäldern“ in Kooperation mit der Landesforstverwaltung anbietet. Die Kinder lernen sich noch kennen. Erfahrungsgemäß könne es im Laufe der Woche hier und da kleinere Reibereien geben, das sei normal und nicht weiter dramatisch, sagt Elke Sobota-Baisch, eine der drei Mitarbeiterinnen der 1991 gegründeten Waldschule Spandau.

Die 60-Jährige ist eigentlich gelernte Landschaftsplanerin, vor bald 25 Jahren sattelte sie auf Waldpädagogik um. Ein Schritt, den sie bis heute nicht bereue. „Das ist nicht nur mein Beruf, die Waldschule ist auch mein zweites Zuhause.“

Der Wald als Zuhause

Das zweite Zuhause – das sind erst mal nur zwei unscheinbare Holzhüttchen zwischen der Havelbadestelle Bürgerablage und dem ehemaligen Mauerstreifen. Den eigentlichen Klassenraum bildet aber der Spandauer Forst – die Eichen und Buchen, das Unterholz, die Sandfläche hinter einem Hügel, die kleinen und großen Tiere. All das Drum und Dran also, das es für Stadtkinder zu entdecken gibt.

Wir sind im Grunde immer draußen, außer bei Sturm oder Gewitter oder wenn es aus Kübeln gießt

Elke Sobota-Baisch

„Wir sind im Grunde immer draußen, außer bei Sturm oder Gewitter oder wenn es aus Kübeln gießt“, sagt Sobota-Baisch. Dann geht es in eine der beiden Hütten. Bei richtig schweren Wetterlagen müssten die Veranstaltungen abgesagt werden. Das ist an diesem Hitzetag nicht in Sicht. Immerhin spenden die Bäume ausreichend Schatten.

Was die Wann-immer-es-geht-Freiluftschule im Spandauer Forst macht, nennt sich im Päd­ago­g:in­nen­deutsch „erlebnisgeprägte Umweltbildung in der Natur“. Die Einrichtung ist zwar die älteste, aber nur eine von neun Berliner Waldschulen. Deren gemeinsames Ziel ist es, insbesondere Kindern den Lebensraum Wald näherzubringen.

Und der Bedarf wachse, sagt Peter Harbauer von den Berliner Forsten. „Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Klimakrise ist es uns wichtig, dass jedes Grundschulkind mindestens einmal eine Walderfahrung macht.“ Nur was man kenne, werde man später auch schützen, ist sich der Förster sicher, der an diesem Vormittag die Feriengruppe begleitet.

Neue Erfahrungen

Das waldpädagogische Angebot für Kinder und Jugendliche reicht dabei von sogenannten Erlebnistagen und Projektwochen mit ganzen Schulklassen bis zu den Waldferien mit locker zusammengewürfelten Gruppen. Mit klassischem Unterricht hat die Waldschularbeit zwar herzlich wenig zu tun. Die Unterschiede zwischen Klassenausflug und Ferienwoche sind trotzdem groß.

Zu den Erlebnistagen kommen auch Klassen aus der Innenstadt, aus Neukölln, Kreuzberg oder Moabit in den hintersten Spandauer Winkel, zum Teil mit Schüler:innen, die noch nie in ihrem Leben einen Berliner Wald betreten haben. „Auch hier geht es darum, den Wald als einen schönen Ort erfahrbar zu machen“, sagt Waldpädagogin Elke Sobota-Baisch. „Aber es geht eben viel stärker um Wissensvermittlung.“ Zudem habe man weniger Zeit. In der Regel vier Stunden – dann ist das Programm schon wieder beendet.

In den seit 2005 angebotenen Spandauer Sommerwochen ist das deutlich anders, auch was die Preise angeht. Kostet ein Klassenausflugstag ab 2,50 Euro pro Kind, werden für die Fünftagewoche zwischen 120 und 140 Euro aufgerufen. Seit diesem Jahr gelte das Prinzip der Selbsteinschätzung, sagt Sobota-Baisch. Familien, die mehr haben, können mehr zahlen, und umgekehrt.

Dafür gibt es eine Art rundumbetreutes Kinderferienlager, obwohl die Teil­neh­me­r:in­nen nicht auf dem Gelände der Waldschule übernachten, sondern jeden Vormittag entweder selbstständig anreisen oder von ihren Eltern gebracht werden und nachmittags auf gleichem Weg wieder abreisen.

Ferien sind Ferien. Wer auf irgendetwas keine Lust hat, muss es nicht tun.

Elke Sobota-Baisch

Um 9 geht es los – und bis 16 Uhr ist zwar nicht alles, aber vieles möglich. Die Kids können durchs Unterholz pirschen, Waldhütten bauen, Löffel oder Schwerter oder Angeln aus Frischholz schnitzen. Aber, sagt Sobota-Baisch: „Ferien sind Ferien. Wer auf irgendetwas keine Lust hat, muss es nicht tun. Die Kinder sollen sich ja auch erholen.“

Zumindest beim Schnitzen unter dem kühlenden Kronendach der Hainbuchen und Eichen sind an diesem Vormittag alle mit an Bord. Vorab gibt es eine Einführung. Mit dem Messer immer weg vom Körper schnitzen, ausreichend Abstand zueinander halten, sich nicht ablenken lassen. Frederic ist nicht zufrieden. Er will mit seinem Messer ein Messer schnitzen. Aber das Messer – also das Werkzeug – will nicht, wie er will. „Mist“, sagt er.

Auswirkungen der Klimakrise

Frederic ist, wie fast alle anderen Jungen und Mädchen in dieser Woche, nicht das erste Mal in der Waldschule. Vor allem ist er aus freien Stücken da. Auch das ein Unterschied zu den Klassenausflugstagen. Wen man auch in der Feriengruppe fragt, sie finden den Wald wahlweise „cool“, „eigentlich gut“ oder „mit dem Grün ganz gut“. Was wohl das Gleiche bedeuten soll wie cool.

Tatsächlich scheint im Spandauer Forst in diesem Sommer alles cool und gut und grün. Ein Wohlfühlort, für die Kinder wie für erwachsene Erholungssuchende. „Generell“, sagt Förster Peter Harbauer, „geht es den Berliner Wäldern aber überhaupt nicht gut, sie leiden unter den Auswirkungen der Klimakrise wie der anhaltenden Trockenheit und den steigenden Temperaturen.“ Berlin sei zwar bislang in Sachen Niederschlagsmenge zufriedenstellend wegkommen in diesem Jahr. „Trotzdem war es kontinuierlich zu warm. Das bereitet uns Sorge.“

Auch in Spandau sei nicht alles im Klimalot, ergänzt Elke Sobota-Baisch. „Bei uns haben vor allem die Eichen massiv zu kämpfen.“ Seit den Dürrejahren 2018 und 2019 litten sie unter Trockenstress. Und sie bräuchten lange, um sich zu erholen. „Wir beobachten, dass die Eichen, die geschädigt sind, sehr schnell absterben“, sagt die Waldpädagogin. Auch dieses Wissen gilt es zu vermitteln.

Dann geht es schon wieder weiter. Wenn die Be­treue­r:in­nen an diesem Dienstag auch zu siebt sind – drei Waldschulmitarbeiterinnen, ein Jugendlicher, der sein Freiwilliges ökologisches Jahr im Spandauer Forst absolviert, und drei Ehrenamtler:innen: 15 Kinder wollen betreut und bespaßt, die nächsten Tage müssen geplant werden. Mittwoch ist Badetag, Donnerstag Radtour.

„Vor allem beim Wasser ist nichts mit Entspannung, da bin ich permanent am Aufpassen und Durchzählen“, sagt Sobota-Baisch. Aber auch hier gibt es für die Kinder keinen Zwang. Wer lieber auf Mölsch-Suche gehen will, kann das tun.

* Name geändert

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