Solikampagne für israelische Geisel: Eingekerkert ohne Doublebassdrums
Der Schlagzeuger Yotam Haim von der israelischen Metalcoreband Persephore ist Geisel der Hamas. Eine Soli-Kampagne macht darauf aufmerksam.
Die israelische Band Persephore spielt Metalcore zum Headbangen und zum Mitsingen: Beinharte Gitarrenriffe werden von Doublebassdrums im maschinellen Rhythmus durchstochen, bevor tiefe geröchelte Growls melodischem Gesang weichen. Im Juni erschien die neueste Single, „Creation“, eine emotionale Hymne, mit der die Band aus Tel Aviv bewies, dass sie mit den Größen des Genres spielend mithalten kann.
Seit dem 7. Oktober muss die Bandkarriere aber warten. Denn Schlagzeuger Yotam Haim wurde entführt. Hamas-Kommandos stürmten beim Angriff auf Israel auch den Kibbuz Kfar Aza, etwa drei Kilometer vom Grenzzaun zu Gaza entfernt, in dem Haim lebt. Sie drangen in sein Haus ein und setzten es in Brand, während er zunächst im Panikraum Zuflucht suchte. Vergeblich.
Um 10.45 Uhr schrieb Haim seiner Familie: „Falls ich nicht überlebe, ich habe euch lieb.“ Es war die letzte Nachricht, bevor die Verbindung abbrach. Eine Auswertung von Handydaten zeigt: Neun Minuten später war er schon im Gazastreifen, gekidnappt von den Schergen der Hamas.
Haim ist eine von rund 240 Geiseln, die sich in Gefangenschaft irgendwo im Gazastreifen befinden, größtenteils sind es Zivilist*innen, darunter auch Kinder, Frauen, Senior*innen. Mindestens 1.400 Menschen in Israel wurden von der Hamas ermordet.
„Yotam war schon immer ein besonderer Mensch, im besten Sinne“, sagt sein älterer Bruder Tuval der taz. „Er hatte es nicht immer leicht im Leben, hatte schon als Kind Probleme, auch mit seinem Selbstbewusstsein.“ Die Musik in der Band habe ihm geholfen: „Musik ist ein wichtiger Teil seines Lebens. Und Persephore ist für ihn wie eine Familie.“
Immer beim Schlagzeugspielen
Die Instagram-Seite des 28-jährigen rothaarigen Wuschelkopfs zeugt von seiner Leidenschaft: Unzählige Videos zeigen Haim im Studio, auf der Bühne oder zu Hause – immer beim Schlagzeugspielen. Haims Freunde und Familie haben nun eine Kampagne gestartet: „Bring Yotam Back“. Auf Instagram sollen Unterstützer*innen kurze Videoclips hochladen, mit Schlagzeug-Playbackversionen von Haims Lieblingsbands – wie Metallica, Megadeth oder Foo Fighters.
„Es bricht mir das Herz“, sagt Ishay Berger der taz über die Entführung von Haim. „Dass ich tot oder in einem gruseligen Tunnel in Gaza sein könnte, während keiner meiner Punkfreunde in aller Welt es wagen würde, darüber zu schreiben, weil es nicht hip ist, sich mit israelischen Zivilisten zu solidarisieren.“ Berger ist Gitarrist von Useless ID, einer der bekanntesten Punkbands Israels, die seit ihrer Gründung durch die ganze Welt getourt ist und auf US-Labels wie Fat Wreck Chords Musik veröffentlicht.
Die linksgerichtete und friedensbewegte Punkszene in Israel sei aktuell am Boden, so Berger. Dass Bands und Fans in der internationalen Community jetzt größtenteils schweigen, auch zu Geiseln wie Haim, findet er aber nicht überraschend. Er spricht von einem antiisraelischen Tenor im Punk.
Mangelnde Solidarität und haarsträubende Relativierungen
Auch Joshi, Sänger der Berliner Punkband ZSK, kritisiert das Schweigen zum Massaker der Hamas. „Da kommt leider ziemlich wenig“, sagt er der taz über die mangelnde Solidarität. „Und dann geschehen teils auch haarsträubende Relativierungen, die wir da von Bands lesen, die wir eigentlich total mögen. Das macht mich wirklich traurig.“
ZSK ruft ihre Fans dazu auf, Songs von Persephore zu streamen. Eine Solidaritätsaktion mit Erfolg: Aus 157 monatlichen Streams auf Spotify sind innerhalb weniger Tage mehr als 7.700 geworden. Die neueste Single „Creation“ wurde inzwischen fast 20.000-mal angehört. „Ich muss einfach daran denken, wie es wäre, wenn unser Schlagzeuger von Terroristen entführt werden würde“, erklärt Joshi. „Es ist doch das Mindeste, dass wir als Musiker aus der gleichen Szene jetzt solidarisch sind und fordern, dass Yotam so schnell wie möglich lebend nach Hause kommt.“
Bei den meisten ZSK-Fans kommt das gut an. „Viele haben sich bedankt, weil man sich gerade so ohnmächtig fühlt und jetzt wenigstens irgendwie eine Kleinigkeit tun kann.“ Auch Bela B von Die Ärzte, Egotronic und Useless ID haben Solidarität mit Haim und Persephore in den sozialen Medien gezeigt. Aber von BDS-Aktivist*innen kommt auch die übliche Kritik. „Das nervt, aber damit können wir leben“, so Joshi. „Wir sind ja Punks und machen, was wir wollen.“
Solidarität helfe der Band während dieser schwierigen Zeit sehr, erzählt Persephore-Gitarrist Lidor Kalai der taz: „Es bedeutet uns ganz viel.“ Fast täglich schreibe die Band sich mit ZSK. Schlagzeuger Haim habe sich immer auf Proben gefreut, das habe ihm psychisch geholfen. Momentan schaffe die Band es nicht, sich zu treffen, geschweige denn zusammen Musik zu machen.
Der andere Gitarrist sei aktuell als Soldat der israelischen Armee im Kampfeinsatz. „Ich vermisse Yotam so sehr“, sagt Kalai. „Ich will nur, dass er heil und gesund wieder zurückkommt. Und dass die Welt sieht, was hier passiert.“
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