Musikvideo von Egotronic: Die Extremisten der „Mitte“
Die Junge Union Bremen kämpft gegen die Band Egotronic. Damit zeigt sie, dass die Band recht hat mit ihrer Kritik der bürgerlichen Extremismustheorie.
Ein ominöser Ort, diese „Mitte der Gesellschaft“. Die Mitte ist da, wo die Extremisten nicht sind. So lautet die Definition der Extremismustheorie, bei der es sich also nicht um eine qualitative Bestimmung, sondern um eine recht bequeme Tautologie handelt: Extremisten sind immer die anderen, einen Extremismus der Mitte kann es in der Logik dieser Theorie nicht geben.
Hier nun kommen Egotronic ins Spiel, bekannte Kritiker der Extremismustheorie. Schon auf ihrem Debütalbum von 2005 hatten die Ravepunks das Mitteproblem polemisch aufgegriffen: „Mit der Mitte in die Zukunft heißt Tradition pur/ der Exportschlager aus Deutschland heißt für immer Leitkultur.“
Seit Kurzem ist auf YouTube das Video zum Egotronic-Song „Linksradikale“ zu sehen, den die Band auch bei einem Konzert in Weyhe zum besten gab, was wiederum die Junge Alternative Bremen zum Anlass nahm, auf Facebook zu wettern: „Egotronic und Publikum offenbaren ihren antideutschen Linksextremismus!“
Zum Beweis wurden die ersten Zeilen des Egotronic-Stücks herangezogen, in denen es heißt: „Wo sind all die Linksradikalen mit dem Schießgewehr? Und wann schießen sie auf Nazis?“ Was die rechten Herrschaften aus Bremen offenkundig als Aufforderung lesen wollten, ist in Wahrheit nicht nur eine ironische rhetorische Volte, sondern auch eine korrekte soziologische Beschreibung: Linksradikale, die mit Schießgewehr auf Nazis zielen und abdrücken, gibt es praktisch nicht.
Realsatire: Die Verhältnisse sind irre genug
Wohl aber gibt es rassistischen Alltagsterror und politische Morde durch Rechtsextremisten, weswegen die ohnehin fragwürdige Hufeisenlehre der Extremismustheorie tagtäglich durch die Wirklichkeit widerlegt wird. Sie hat also Egotronic-Sänger Torsun auf seiner Seite, wenn er sagt: „Links gleich rechts ist dummes Geschwätz.“
Der Clip zu „Linksradikale“ ist von Matthias Matusseks Geburtstagsparty inspiriert, auf der Topjournalisten mit Erika Steinbach und dem rechtskräftig wegen Körperverletzung verurteilten Neonazi Mario Müller feierten, der heute einer der Köpfe der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ ist. Ihn bezeichnete Matussek, der sich auch nicht zu schade ist, „Lügenpresse“ zu skandieren, als „meinen identitären Freund Mario“.
Egotronic müssen sich also nicht besonders anstrengen, in ihrem Text die extremismustheoretische Realsatire zu überspitzen, die Verhältnisse sind ja irre genug: „Es steht ständig in der Zeitung, Nazis horten Waffen, / umso wichtiger ist, im Blick zu behalten, / was die Linken machen. / NSU, Nazimorde, Übergriffe jeden Tag. / Machen wir uns nichts vor, / die Linken ziehen sicher nach. / Spezialeinheiten, Bullen, Richter planen den Tag X. / Eine gut vernetzte Prepper-Szene, zu befürchten haben sie nichts. / Die Konferenz der Innenminister spart das Thema aus. / Denn was ist schon ein Staat im Staat / gegen ein besetztes Haus.“
Nachdem Egotronic in Weyhe gespielt hatten, sekundierte die Junge Union Bremen extremismustheoretisch den Kollegen von der Jungen Alternative Bremen: „Keine öffentlichen Gelder für extrem deutschlandfeindliche Konzerte!“ Die „bürgerliche Mitte“ müsse „unser freies und demokratisches Land gegen die Extremisten von rechts und links verteidigen“.
Vielleicht sollte Ruprecht Polenz seinen jungen Parteifreunden aus Bremen und allen anderen Konservativen, die es immer noch nicht verstanden haben, bei Gelegenheit erläutern, warum er dies getwittert hat: „Antifaschismus ist nicht links, sondern eine Haltung, die alle Demokraten einnehmen sollten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen