Solidarität mit der Glaubensgemeinschaft: Meine Kirche, deine Kirche
Man kann starke Kritik an der Kirche üben und trotzdem mit ihr solidarisch sein. Für viele Menschen sind Gemeinden Orte der Geborgenheit.
S obald Menschen erfahren, dass ich evangelisch bin, stellen sie mir viele Fragen. Oft fällt folgender Satz: „Alleine wegen der Kirchensteuer würde ich austreten.“ Ich nutze diese Gespräche, um meine eigene Stellung zur christlichen Institution immer wieder zu reflektieren. Meine Position ist ziemlich kompliziert: Ich habe schon immer an Gott geglaubt.
Für meine Eltern ist Religion etwas sehr Privates, in die Kirche gingen wir nur sehr selten. Mich faszinierte besonders die komplexe Geschichte und letztendlich auch die Frauenfiguren: Jeanne d’Arc, Maria Magdalena oder auch Esther weckten mein Interesse schon sehr früh.
Zudem hat es nicht geschadet, dass ich das seltene Glück hatte, eine ausgezeichnete Religionslehrerin zu haben. Trotzdem baute ich erst mit meiner Konfirmation eine Verbindung zur Kirche auf. Selbst diese besuchte ich weniger aus Überzeugung, ich wollte dort eigentlich nur mehr Zeit mit meiner besten Freundin verbringen.
Mit der Zeit fand ich jedoch Interesse am Gespräch mit dem Pfarrer, der sich gerne meinen kritischen Fragen stellte und mich ermutigte, diese Einstellung zu behalten. Er reagierte stets verständnisvoll und interessiert. Wider meine Erwartungen wurde ich für meine kritische Position nicht verurteilt. Die folgenden Jahre verbrachte ich damit, eine passende Gemeinde zu finden.
Viele einsame ältere Menschen
Ich besuchte verschiedene evangelische Gemeinden und stellte fest, dass keine zu mir passte. Nach der Schule studierte ich aus Zufall Evangelische Theologie (für gerade mal zwei Semester, die Sprachkurse brachen mir beinahe das Genick. Chapeau an alle Theolog*innen!) Dort lernte ich, dass Glaube sehr komplex ist und man auf bestimmte Fragen nie die richtige Antwort findet. Letztendlich sagt das Wort „Glaube“ schon aus, dass es keine Sicherheit für die Existenz einer höheren Macht gibt, uns bleibt deshalb nur, nach bestem Gewissen eine eigene Position zur Religion zu finden.
Eine meiner Positionen ist, dass ich persönlich keinen Bezug zur kirchlichen Institution habe, da ich mit einem starken Familien- und Freundeskreis gesegnet bin. Ich habe meine eigene kleine Gemeinde, die mich auffängt und unterstützt. Leider haben viele Menschen in Deutschland diese Gemeinde nicht: In Süd-Neukölln, wo ich geboren und aufgewachsen bin, gibt es viele einsame ältere Menschen.
Die Kirche bietet ihnen einen Ort, an dem sie Geborgenheit finden und soziale Beziehungen pflegen können. Hinzu kommt, dass viele gemeinnützige Organisationen, Kindergärten und Jugendräume von der Kirche gestellt werden. Diese Einrichtungen sind unentbehrlich und trotzdem zu knapp. Solange unsere Regierung keine Strukturen aufbaut, in der die Kirche nicht mehr für ein sicheres soziales Netzwerk notwendig ist, bleibe ich solidarisch und unterstütze sie. Bei aller Kritik, die durchaus berechtigt ist, dürfen wir nicht vergessen, was viele lokale Mitarbeiter*innen der Kirche jeden Tag für unsere Gesellschaft leisten.
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