Solidarität mit Enissa Amani: Der öffentliche Kampf
Um junge Menschen vor rechter Ideologie zu schützen, müssen Idole solidarischen Protest vorleben. Enissa Amani tut das, verpasst aber eine Chance.
D rastische Zeiten erfordern drastische Maßnahmen. Während wir mit voller Wucht in der vierten Welle gelandet sind, viele von uns irgendwo zwischen Isolation, Überarbeitung und Todesangst festhängen, rennen da draußen seit gut zwei Jahren rechte Verschwörungstheoretiker herum und mobilisieren munter Leute dazu, sich gegen die „Coronadiktatur“ aufzulehnen. Nicht selten sind es verunsicherte junge Menschen, die vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das unentschlossene Hin und Her der Coronapolitik zu machen und bei Querdenkern einfache Antworten auf ihre Fragen erhalten.
Die Politisierung einer ganzen Generation Jugendlicher und junger Erwachsener fällt mit der Pandemie zusammen. Es ist eigentlich kaum verwunderlich, wenn einige von ihnen es als radikalen Akt des politischen Protests missverstehen, wenn selbst ernannte Freiheitskämpfer sich gegen das Impfen und Masketragen aussprechen. Weil sie sich trotz gesellschaftlicher Ächtung „gegen das System“ stellen (und dabei sämtliche Mitmenschen in Lebensgefahr bringen). Es müssen also dringend andere Möglichkeiten des politischen Widerstands sichtbar werden in populären und zugänglichen Räumen. Und zwar Protestformen, die aus Solidarität entstehen und sich tatsächlich gegen systematische Unterdrückung richten.
In diese Stimmung platzt also die Nachricht von Enissa Amani wie eine Bombe. Die Komikerin und Aktivistin erklärte am Montag ihren eine Million Followern auf Instagram, dass in den nächsten Tagen ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt werde. Amani wurde wegen Beleidigung des bayerischen AfD-Politikers Andreas Winhart verurteilt und weigert sich, die Geldstrafe von 1.800 Euro zu bezahlen. In einem Videostatement erklärte Amani die Sachlage und bat ihre Fans, ihr ihre Gedanken und Meinungen zukommen zu lassen, ob sie es für richtig halten, dass Amani, statt zu bezahlen, für 40 Tage ins Gefängnis gehen wolle, um ein Zeichen zu setzen.
Was nach dem Erörterungsthema einer Klassenarbeit klingt, ist Amanis bitterer Ernst: Sie sehe es zwar ein, dass man für Beleidigungen rechtlich belangt und bestraft werden müsse (Amani hatte Winhart einen „Bastard“ genannt). Doch sei es ihr unbegreiflich, dass Winhart, der für seine rassistischen Aussagen in einer öffentlichen Rede, wo unter anderem das N-Wort fiel und Geflüchtete für HIV und Krätze verantwortlich gemacht wurden, trotz mehrerer Anzeigen wegen Volksverhetzung straffrei bleibe. Um gegen diese Entscheidung des Verfassungsgerichts zu protestieren, wolle Amani die für sie nach eigenen Angaben lächerlich geringe Geldstrafe nicht bezahlen.
Korrektester Move, bis hierhin: Die eigenen Privilegien nutzen für aktivistische Zwecke. Niemand würde sich für eine Unbekannte aus prekären Verhältnissen interessieren, die in den Knast muss. Für Amani aber interessiert man sich. Fans schreiben Kommentarspalten voll, die halbe Medienlandschaft diskutiert mit. Es ist ein mutiger und kluger Akt, der meinen größten Respekt verdient.
Aber es hätte auch ein enorm politisierender sein können für so viele Menschen, wenn Rassismus nicht auf schlimme Parolen reduziert würde: Amani erklärt auf Twitter das systematische Level dieser Geschichte, „das deutsche Rechtssystem“, zu einem der „besten der Welt“. Wozu? Warum misst man ein Rechtssystem an anderen und nicht an dem, was es vorgibt zu sein? Oury Jalloh wurde in einer deutschen Gefängniszelle ermordet. Achidi John und Laya-Alama Condé starben ebenfalls in Gewahrsam. Warum wurde niemand verurteilt? Damit verpasst Amani leider die Chance, Leuten begreiflich zu machen, dass das, womit sie sich gerade auseinandersetzen muss, kein Ausrutscher in einem sonst perfekten System ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist