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Solidarität mit Enissa AmaniDer öffentliche Kampf

Um junge Menschen vor rechter Ideologie zu schützen, müssen Idole solidarischen Protest vorleben. Enissa Amani tut das, verpasst aber eine Chance.

Enissa Amani in einer Fernsehtalkshow 2018 Foto: Georg Wendt/dpa/picture alliance

D rastische Zeiten erfordern drastische Maßnahmen. Während wir mit voller Wucht in der vierten Welle gelandet sind, viele von uns irgendwo zwischen Isolation, Überarbeitung und Todesangst festhängen, rennen da draußen seit gut zwei Jahren rechte Verschwörungstheoretiker herum und mobilisieren munter Leute dazu, sich gegen die „Coronadiktatur“ aufzulehnen. Nicht selten sind es verunsicherte junge Menschen, die vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das unentschlossene Hin und Her der Coronapolitik zu machen und bei Querdenkern ein­fache Antworten auf ihre Fragen erhalten.

Die Politisierung einer ganzen Generation Jugendlicher und junger Erwachsener fällt mit der Pandemie zusammen. Es ist eigentlich kaum verwunderlich, wenn einige von ihnen es als radikalen Akt des politischen Protests missverstehen, wenn selbst ernannte Freiheitskämpfer sich gegen das Impfen und Masketragen aussprechen. Weil sie sich trotz gesellschaftlicher Ächtung „gegen das System“ stellen (und dabei sämtliche Mitmenschen in Lebensgefahr bringen). Es müssen also dringend andere Möglichkeiten des politischen Widerstands sichtbar werden in populären und zugänglichen Räumen. Und zwar Protest­formen, die aus Solidarität entstehen und sich tatsächlich gegen systematische Unterdrückung richten.

In diese Stimmung platzt also die Nachricht von Enissa Amani wie eine Bombe. Die Komikerin und Aktivistin erklärte am Montag ihren eine Million Followern auf Instagram, dass in den nächsten Tagen ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt werde. Amani wurde wegen Beleidigung des bayerischen AfD-Politikers Andreas Winhart verurteilt und weigert sich, die Geldstrafe von 1.800 Euro zu bezahlen. In einem Video­statement erklärte Amani die Sachlage und bat ihre Fans, ihr ihre Gedanken und Meinungen zukommen zu lassen, ob sie es für richtig halten, dass Amani, statt zu bezahlen, für 40 Tage ins Gefängnis gehen wolle, um ein Zeichen zu setzen.

Niemand würde sich für eine Unbekannte aus prekären Verhältnissen interessieren, die in den Knast muss. Aber für Amani.

Was nach dem Erörterungsthema einer Klassenarbeit klingt, ist Amanis bitterer Ernst: Sie sehe es zwar ein, dass man für Beleidigungen rechtlich belangt und bestraft werden müsse (Amani hatte Winhart einen „Bastard“ genannt). Doch sei es ihr unbegreiflich, dass Winhart, der für seine rassistischen Aussagen in ­einer öffentlichen Rede, wo unter anderem das N-Wort fiel und Geflüchtete für HIV und Krätze verantwortlich gemacht wurden, trotz mehrerer Anzeigen wegen Volksverhetzung straffrei bleibe. Um gegen diese Entscheidung des Verfassungsgerichts zu protestieren, wolle Amani die für sie nach eigenen Angaben lächerlich geringe Geldstrafe nicht bezahlen.

Korrektester Move, bis hierhin: Die eigenen Privilegien nutzen für aktivistische Zwecke. Niemand würde sich für eine Unbekannte aus prekären Verhältnissen interessieren, die in den Knast muss. Für Amani aber interessiert man sich. Fans schreiben Kommentarspalten voll, die halbe Medienlandschaft diskutiert mit. Es ist ein mutiger und kluger Akt, der meinen größten Respekt verdient.

Aber es hätte auch ein enorm politisierender sein können für so viele Menschen, wenn Rassismus nicht auf schlimme Parolen reduziert würde: Amani erklärt auf Twitter das systematische Level dieser Geschichte, „das deutsche Rechtssystem“, zu einem der „besten der Welt“. Wozu? Warum misst man ein Rechtssystem an anderen und nicht an dem, was es vorgibt zu sein? Oury Jalloh wurde in einer deutschen Gefängniszelle ermordet. Achidi John und Laya-Alama Condé starben ebenfalls in Gewahrsam. Warum wurde niemand verurteilt? Damit verpasst Amani leider die Chance, Leuten begreiflich zu machen, dass das, womit sie sich gerade auseinandersetzen muss, kein Ausrutscher in einem sonst perfekten System ist.

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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11 Kommentare

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  • "Doch sei es ihr unbegreiflich, dass Winhart, der für seine rassistischen Aussagen in ­einer öffentlichen Rede, wo unter anderem das N-Wort fiel und Geflüchtete für HIV und Krätze verantwortlich gemacht wurden, trotz mehrerer Anzeigen wegen Volksverhetzung straffrei bleibe"

    Ihr Grund, ist genau darauf aufmerksam zu machen. Und das ist auch richtig so, denn sonst gehen solche Fakten in der Masse der Meldungen unter. Und damit meine ich nicht nur die wenig überraschende rechte Gesinnung des AfD-Politikers, sonders vor allem die Reaktion des Gerichts, die "Bastard" strafwürdig findet, seine Volksverhetzung aber nicht.

    • @Jalella:

      Meinen Sie etwa, dass "Bastard" nicht strafwürdig ist?

      Die meisten Menschen wissen anscheinend nicht, dass dieser Begriff rassistisch ist.

  • "Bastard" schlimmer als Volkverhetzung? Das verdient Aufsehen!



    Aber welche Gerichte sind in die Urteile involviert? Ich lese nur 1 x Verfassungsgerichtsurteil ggn. Amani (Echt? Verfassungsgericht wg. "Bastard"?) ...

    • 1G
      14390 (Profil gelöscht)
      @Christian Lange:

      Das Bundesverfassungsgericht war in dem konkreten Fall von Frau Amani nicht involviert. Sie bezieht sich in einem Interview relativ mißverständlich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in einem anderen Fall, in dem für Äußerungen im Wahlkampf die Verwirklichung des Tatbestandes der Volksverhetzung verneint wurde, da speziell in dieser Situation rhetorische Schärfe, Übertreibungen und überspitzte Formulierungen in einem Maße charakteristisch für die Auseinandersetzung seien, das im Rahmen eines alltäglichen Gespräches nicht hingenommen werden müßte.

    • 1G
      14390 (Profil gelöscht)
      @Christian Lange:

      Laut Meinung der Staatsanwaltschaft Traunstein handelte es sich eben NICHT um Volksverhetzung, weswegen das Ermittlungsverfahren gegen Winhart eingestellt wurde.

    • @Christian Lange:

      No

      es gibt weder ein Urteil des Verfassungsgericht weder auf der einen noch auf einen anderen Seite.

      Die Staatsanwaltschaft Traunstein hat die ermittlungen gegen Winhart eingestellt. Man kann sicherlich diese Entscheidung als falsch empfinden aber sich selber in Unrecht setzen ist sicherlich der falsche Weg

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Es gibt bisher nur einen Menschen der als Idol taugt, weil man weiß, was er wirklich getan hat: Nelson Mandela .

    • @4813 (Profil gelöscht):

      mahatma gandhi, geschwister scholl, einstein, schweizer, galilei?



      bart??

    • @4813 (Profil gelöscht):

      100 % Zustimmung, ansonsten viel vorbildliches bei sehr vielen anderen Menschen, aber Mandela ist definitiv der Größte, der auf diesem Planeten wirkte!

  • Eine kleine Differenzierung tut vielleicht Not: Das Rechtssystem (Gesamtheit der Gesetze, richterliche Rechtsfortschreibung) ist etwas anderes als das Justizsystem (Institutionen zur Wahrung des Rechts). Beim letzteren hapert es sicherlich von einfachen Polizisten als Vollzugsbeamten der Justiz bis hin auf Regierungsebene (deren nicht immer rechtsstaatlichen Praktiken durchs Verfassungsgericht korrigiert werden, aber auch nicht immer). Es bräuchte eine Art zentrale Disziplinarkammer für Justiz-/Polizeibeamte, die wert- und vorurteilsfrei über deren Rechtstreue wacht, und an die man sich bei Mißbrauch wenden kann. Flickenteppich-Lösungen, wie einzelne Beschwerdestellen, sind sicherlich nicht das Gelbe vom Ei (wenn auch ein Anfang), sondern es braucht eben eine zentrale Institution.

    • @Alkibraut:

      Danke für die gar nicht so kleine Differenzierung & es wäre schön für Zukünftiges - wenn nicht nur diese Autorin entsprechend differenziert argumentieren & schreiben würde.



      Dank im Voraus - …immer gern - wa!

      (ps zum übrigen - da liegts in der Tat im Argen - zuvörderst gedeckt durch “…ich habe keine Polizeigewalt gesehen!“



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