piwik no script img

Sol­da­t:in­nen-Einsatz in PflegeheimenOpa was vom Krieg erzählen

Seit über einem Jahr leisten Sol­da­t:in­nen „Amtshilfe“ bei der Betreuung von Pflegebedürftigen. In Bremen sind damit keineswegs alle glücklich.

Sicher ist es gut, wenn mal jemand zuhört. Ob es aber ein Soldat im Kampfanzug sein muss? Foto: Jonas Güttler/dpa

Bremen taz | Brote schmieren, Betten machen und zwischendurch auch mal ein offenes Ohr für die Sorgen der Alten oder Menschen mit Behinderung haben: Wer ein solches Aufgabenfeld in einer Jobausschreibung finden würde, denkt vermutlich nicht unmittelbar an Mitarbeiter, die eigentlich für den Krieg ausgebildet wurden. Und doch finden sich seit Beginn der Coronapandemie in Deutschland vermehrt Sol­da­t:in­nen an Orten, an denen sie früher, in Zeiten von Wehrpflicht und Zivildienst, noch undenkbar gewesen wären: in Pflegeeinrichtungen nämlich.

„Für mich ist das makaber“, sagt Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum. „Denn Pflege und Sozialarbeit hat ja ganz viel mit Empathie zu tun.“ Lentz war früher selbst mal in der Pflege tätig – und kann nicht nachvollziehen, warum in Alten- und Pflegeheimen nun Sol­da­t:in­nen präsent sein sollten, die eigentlich an der Waffe ausgebildet sind.

Der inländische Einsatz der Bundeswehr ist seit jeher ein ausgesprochen kontroverses Thema. Doch plötzlich scheinen die früher kleinteiligen Diskussionen über konkrete Aufgaben und Längen eines Bundeswehreinsatzes im Inland wie verstummt. Ging es früher um unmittelbare und kurzfristige Unterstützung (bei Hochwasser etwa), steckt die Bundeswehr gerade weitgehend unproblematisiert in ihrem bislang längsten und umfangreichsten Amtshilfeeinsatz überhaupt.

Seit Corona wendet sich das Militär vermehrt auch dem Bereich der zivilen Hilfe zu: So ist die Armee in Deutschland derzeit mit bis zu 25.000 Sol­da­t:in­nen in verschiedenen zivilen Institutionen im Einsatz, die meisten davon im Rahmen der im Grundgesetz verankerten Amtshilfe.

Kritik auch von der Kirche

Diese Sol­da­t:in­nen sind als sogenannte „helfende Hände“ im Einsatz, so etwa in Impfzentren und Gesundheitsämtern. Doch auch in Alten- und Pflegeheimen sind sie präsent. Und das teilweise in sehr kleiner Gruppenstärke: Im Land Bremen etwa arbeiten laut Landeskommando derzeit 16 Sol­da­t:in­nen in der Pflege. Für Ekkehard Lentz vom Friedensforum sind das schon 16 zu viel. „Ich halte den Einsatz für einen gefährlichen Trend“, so der Friedensaktivist. „Für mich zeigt das den fortschreitenden Trend der Militarisierung in der Gesellschaft.“

Es darf nicht normal werden, dass die Bundeswehr im Inland eingesetzt wird

Jasper von Legat, Friedens­­beauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche

Grundsätzlich sind solche unterstützenden Einsätze der Bundeswehr im Grundgesetz genau beschrieben und begrenzt: Demnach darf erst dann Amtshilfe geleistet werden, wenn die Ressourcen ziviler Organisationen und Behörden erschöpft sind. Doch Lentz bezweifle, „dass das Grundgesetz hier auch den Bundeswehreinsatz in Pflegeheimen vorsieht“.

Auch der Friedensbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche sieht Sol­da­t:in­nen in der Pflege kritisch. „Die Bundeswehr gehört einfach nicht in die pflegerische Tätigkeit – das muss professionelles Personal übernehmen“, so Pastor Jasper von Legat. Sol­da­t:in­nen seien in erster Linie für den Krieg ausgebildet – warum diese nun Betten in Pflegeeinrichtungen machen sollten, erschließe sich ihm nicht.

Neben der Frage nach dem Sinn thematisiert von Legat auch Gefahren eines solchen Amtshilfeeinsatzes: In Pflegeheimen seien oft ältere Menschen, die in ihrem Leben selbst Krieg miterlebt hätten. „Und diesen Menschen tut es seelisch oft nicht gut, plötzlich wieder jemanden in Uniform vor sich zu sehen“, so der Pastor.

Ihm bereitet die vermehrte Präsenz von Sol­da­t:in­nen in der Mitte der Gesellschaft Sorge – insbesondere auch die Tatsache, dass die Amtshilfeeinsätze der Bundeswehr bereits ein Jahr andauern. „Es darf nicht normal werden, dass die Bundeswehr im Inland eingesetzt wird“, sagt von Legat.

Sozialbehörde und Bundeswehr finden Einsätze gut

Bremer Politik und Bundeswehr sehen dagegen kein Problem mit diesen Einsätzen. „Wir waren selbst überrascht, wie gut es läuft“, heißt es aus dem Sozialressort von Anja Stahmann. Dass eine Grünen-Senatorin einmal einen Bundeswehreinsatz im Inneren begrüßen würde, hätte zwar viele verwundert, hieß es, doch die Rückmeldung sei sowohl von Seiten der Be­woh­ne­r:in­nen als auch von Seiten der Sol­da­t:in­nen „ganz positiv“.

Die Bundeswehr sieht’s ähnlich: Die Amtshilfe in den Pflegeeinrichtungen sei für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation, teilt ­Andrea Hilscher vom Bremer Landeskommando auf Anfrage der taz mit. Die Sol­da­t:in­nen würden besonders den engen Kontakt zur Zivilbevölkerung genießen, so Hilscher.

In der Zivilbevölkerung wiederum ist die Begeisterung nicht ganz so ungeteilt: Uniformierte Sol­da­t:innen in Pflegeeinrichtungen würden niemandem etwas nützen, sagt eine Pflegekraft, die an dieser Stelle anonym bleiben möchte. Sie arbeitet bei der Lebenshilfe, einem Selbsthilfeverband für Menschen mit geistiger Behinderung.

Hilfe, die nicht hilft

In ihrer Abteilung sei auch ein Soldat eingesetzt, den die Lebenshilfe angefordert habe. „Die Amtshilfe ist uns überhaupt keine Hilfe“, sagt die Frau: „Der Soldat ist überhaupt nicht nützlich. Er kann vielleicht den Müll rausbringen. Im besten Fall kann er mit den Be­woh­ne­r:in­nen Karten spielen.“ Doch all das seien keine Aufgaben, die eine militärische Uniform in Pflegeeinrichtungen legitimierten. „Ich finde es im Alltag einfach extrem gruselig“, sagt sie. „Ich finde, Soldaten haben in einer Pflegeeinrichtung nichts zu suchen.“

Tobias Liersch von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist auch nicht begeistert von dem Modell. Problematisch ist für ihn vor allem das Bild von Pflegeberufen, das in einem solchen Bundeswehreinsatz mitschwingt. „Strukturell bringt es einfach nichts für die Pflege – das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, so der Gewerkschaftssekretär. Auch wundere er sich über die ausgeübten Tätigkeiten der Sol­da­t:in­nen in der Pflege – schließlich bräuchte es „auch für Hilfsarbeiten mehr als eine militärische Grundausbildung“, so Liersch.

Grundsätzlich fände er es gut, wenn die Soldaten etwas Sinnvolles tun und die Waffe beiseite legen. „Aber wirklich sinnvoll wäre es, wenn sie stattdessen eine qualifizierte Ausbildung in der Pflege machen würden, um dem Pflegenotstand entgegenzutreten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • "Ihm bereitet die vermehrte Präsenz von Sol­dafen in der Mitte der Gesellschaft Sorge" - warum eigentlich? Die Bundeswehr soll ja gerade Teil der Gesellschaft sein, die Soldaten Staatsbürger in Uniform, und das aus gutem Grund, weil wir eben keine Diktatur mit einer abgeschotteten Armee sind.

    Es wäre sinnvoll, das ohne antimilitärische Ideologie ganz pragmatisch zu sehen. Wenn wir kurzfristig irgendwo Hilfe brauchen, ist es besser die Soldaten, die gerade nicht im Einsatz sind, werden dort verwendet, wo sie gerade gebraucht werden, statt auf Kosten der Steuerzahler in Kasernen rumzugammeln. "Brote schmieren, Betten machen und zwischendurch auch mal ein offenes Ohr für die Sorgen der Alten oder Menschen mit Behinderung habe" erfordert keine Pflegeausbildung und auch die Bundeswehr hat ausgebildete Pflegekräfte.

    Ob die nun Uniform tragen oder irgendeine Schwesterntracht ist doch völlig egal. Ein fescher Soldat in schicker Uniform ist vielleicht für die Patienten zwischen lauter alten Diakonissen eine nette Abwechslung.

  • "„Für mich ist das makaber“, sagt Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum. „Denn Pflege und Sozialarbeit hat ja ganz viel mit Empathie zu tun.“ "

    Empathie ist eine grundsätzliche Fähigkeit von Menschen.



    Für mich ist es makaber, dass ausgerechnet Friedensbewegte anderen Menschen die Fähigkeit zur Empathie absprechen.

  • Für mich - als Kriegsdienstverweigerer - ist es äusserst kritisch, dass Soldaten in der Pflege eingesetzt werden. Erstens hat eine solche Uniform, die ja für eine Ausbildung zum Töten steht (und das ist der originäre Job eine Soldaten!), in einer Pflegeeinrichtung - in der es ja genau darum nicht geht - nichts zu suchen.



    Und wenn sie schon helfen sollen - dann auch mir entsprechender Ausbildung, sonst ist es das, was es sowieso ist:



    Augenwischerei



    ("so schwer kann die Pflege ja dann wohl auch nicht sein...)



    und Propaganda



    (schaut her wir brauchen die Bundeswehr unbedingt...)

  • Ich mag ja naiv sein, aber gibt es bei der Bundeswehr nicht auch Sanitäter und Pflegepersonal für Lazarette im Kampfeinsatz?



    Und müssen die nicht eigentlich genauso gut ausgebildet sein wie Pflegepersonal in Heimen?



    ich hätte jetzt erwartet, dass die Bundeswehr jeweils geeignet ausgebildete Soldat*innen schicken würde...



    Ich sähe dann kein Problem, wenn die Bundeswehr einspringt in Pflegeeinrichtungen in denen gerade akut Menschen fehlen, weil sie sich angesteckt haben bzw. in Quarantäne sind.



    Es scheinen immer noch nicht alle begriffen zu haben, dass eine Pandemie nicht der Normalzustand ist...

  • Zitat: „Lentz war früher selbst mal in der Pflege tätig – und kann nicht nachvollziehen, warum in Alten- und Pflegeheimen nun Sol­da­t:in­nen präsent sein sollten, die eigentlich an der Waffe ausgebildet sind.“

    Echt nicht? Nanu? Ich meine: „Die Wirtschaft“ wähnt sich doch schon länger im Krieg. Und dass „die Pflege“ mittlerweile Teil „der Wirtschaft“ ist, kann Herrn Lentz unmöglich entgangen sein, wenn er da mal gearbeitet hat. Zumal der „Kampf gegen Corona“ ja zuletzt im gesamten Staat für eine Art Kriegs-Recht gesorgt hat, nicht nur im Gesundheitswesen.

    Ist eben immer die Frage, wie man mit seinen Gegnern umgeht. Mit Viren kann selbst der kompetenteste Mensch schlecht verhandeln. Für Konkurrenten im Kampf um Maximalprofite gilt dasselbe. „Ganz viel [...] Empathie“ ist da eher nicht zielführende. So wenig, wie in jedem anderen Existenzkampf. Der Einsatz drastischer Mittel schon eher.

    Und die Pflegebedürftigen? Die können unter den gegebenen Bedingungen wohl froh sein, wenn sich demnächst überhaupt noch jemand um sie kümmert, der nicht völlig aus Stahl oder Carbon ist. Wegen der Kosten. Die nicht der private Pflege-„Dienstleister“ zu tragen hat, wenn seine Leute Uniform anhaben, sondern der Staat. Die Rentner also unter anderem, die neuerdings Steuern zahlen müssen auf ihre eigentlich bereits versteuerte Rente, damit man sie im Pflegefall betreuen kann, wenn grade nicht wieder irgendwo Krieg ist.

    Fürs Geschäft ist diese „Lösung“ jedenfalls super. Sowohl für das der Pflege-Unternehmer, als auch für das der (Möchtegern-)Krieger, die ihr Dasein auch dann rechtfertigen müssen, wenn ausnahmsweise mal kein junger, dummer Bürger dieses Landes am Hindukusch oder anderswo weit weg vom Bundeskanzleramt Öllieferungen privater Multimillionäre... äh: Europas Freiheit natürlich (!) mit dem Leben zu verteidigen hat, damit deutsche Spitzenpolitiker sich endlich wieder Weltmarkt... äh: Weltmachtfähig fühlen können. 🤷

  • Die Kritiker argumentieren mir hier deutlich zu undifferenziert. Das Eine ist die Unterstützung durch das Militär in einer extremen Ausnahme- und Krisensituation, denn genau die haben wir immer noch. Die Pflegekräfte sind jenseits ihres Limits, die Intensivstationen voll und die Impfkampagne veläuft schleppend, soll man nun ernsthaft auch noch die Unterstützung der BW in Pfelgeeinrichtungen und Impfzentren streichen? Zumal die dort eingesetzten Kräfte wohl überwiegend aus dem Sanitätsbereich stammen dürften, die nicht ausschließlich für das Kämpfen und Töten ausgebildet sind.



    "[D]en fortschreitenden Trend der Militarisierung in der Gesellschaft" zu kritisieren bleibt natürlich dennoch richtig, nur macht der sich eben nicht an der Unterstützung durch 16 Soldat*innen fest, sondern vor Allem an Entwicklungen wie den inzwischen allgegenwärtigen und zunehmend paramilitärisch auftretenden privaten "Sicherheits"diensten oder der Aufrüstung der Polizei mit Panzerwagen, Handgranaten und Maschinengeweheren.



    www.spiegel.de/pan...-0000-000002402107



    taz.de/Polizei-Pan...rvivor-R/!5468262/

    • @Ingo Bernable:

      Pflege ist ein nicht zu unterschätzender Beruf. und erfordert umfangreiche Kompetenzen, nicht nur fachlich, sondern auch sozial und personal. Die Löcher in der Personaldecke sind entstanden durch schlechte Bezahlung und Gewinnstreben im Zuge der Privatisierung der Heime. Der Versuch, diese Löcher durch berufsfremde, nicht dafür ausgebildete Soldaten zu stopfen ist löblich, aber viel zu kurz gegriffen. Durch mangelnden Nachwuchs verschärft sich das Problem. Wehe, wenn die aktiven in größeren Kohorten in Rente gehen.



      Siehe hier: medizin-aspekte.de...zubildende-121696/

      • @Erika:

        Es geht aber doch gar nicht darum, dass die aktuelle Amtshilfe durch die BW darauf angelegt wäre auf Dauer die zu dünne Personaldecke in der Pflege zu kompensieren. Vielmehr ist das Ziel in der konkreten Extremsituation der Pandemie vorübergehend Entlastung zu schaffen, weil durch die Infektionsgefahr Abläufe aufwändiger werden, gleichzeitig aber auch das ohnehin knappe Personal durch eigene Ansteckungen ausfällt.



        "Pflege ist ein nicht zu unterschätzender Beruf. und erfordert umfangreiche Kompetenzen"



        Ja richtig. Und trotzdem übernehmen diese höchstqualifizierten Fachkräfte eben auch regulär jede Menge nachgeordnete Aufgaben von denen sie nun vom Militär für die Dauer der Pandemie entlastet werden um sich ganz ihren Kernkompetenzen widmen zu können. Soweit berichtet wird geht es etwa in Bremen eben nicht um unmittelbare Pflege sondern darum "Helfende Hände" im hauswirtschaftlichen Bereich bereitzustellen, also etwa Tische ein und abdecken, Betten machen, Botengänge oder Schnelltests bei Besuchern machen.



        www.butenunbinnen....tenheimen-100.html



        www.weser-kurier.d..._arid,1963484.html



        www.weser-kurier.d..._arid,1971249.html