Solarwirtschaft in Deutschland: Solar Valley reloaded
Gegen die Übermacht Chinas: In Ostdeutschland wird die Produktion von Solarzellen unter schwierigen Bedingungen wieder angekurbelt. Ein Ortsbesuch.
D as Tor zum Tal der Sonne steht offen. Die Schranken sind hochgeklappt. Niemand ist zu sehen – man kann einfach durchfahren auf der Straße zur Fabrik von Meyer Burger in Bitterfeld. Vor etwa einem Jahrzehnt war das anders. Da sorgte das Schild „Solar Valley“ an der nahen Autobahnabfahrt nicht für Belustigung wie heute. Damals herrschte hier in Sachsen-Anhalt Hochbetrieb.
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Hunderte Beschäftigte produzierten Solarzellen in riesigen Werkhallen. Wer rein wollte, stand erst mal an der geschlossenen Schranke und wurde kontrolliert. Vom damaligen Boom künden heute nur noch Überbleibsel, etwa der Name Q-Cells an einer Bürofassade. Das war mal eine große deutsche Firma, die jedoch zusammengebrochen ist. Die Gebäude stehen zum guten Teil leer.
Bei Meyer Burger aber, dem hiesigen Ableger eines Schweizer Unternehmen, wollen sie es nochmal wissen. Es handelt sich um den zweiten Versuch, eine deutsche und europäische Solarindustrie aufzubauen. Auch die Bundesregierung und die Europäische Kommission planen einen neuen Boom.
„Wir haben die einzige industrielle Massenfertigung von Solarzellen außerhalb Asiens“, wird hier in Bitterfeld immer wieder erklärt – was ein bisschen nach Beschwörung klingt. Denn manches, wie etwa das Preisdumping, das China betreibt, erinnert derzeit doch wieder an den Crash von damals.
Die Halle von Meyer Burger war acht Jahre mehr oder weniger verwaist. Mal diente sie als Lager, mal wurden Szenen für Filme gedreht. Vom Foyer mit hoher Glasfassade und Empfangstresen geht es in einen Gang von der Länge eines Flughafengebäudes. Öffnet sich eine der Türen zur Werkhalle, betritt man die nahezu komplett automatisierte Produktion. Die Fabrik kommt weitgehend ohne Menschen aus. Ein metallisches Silber ist die dominierende Farbe.
Einer der wenigen Beschäftigten, die ab und zu aus den Korridoren zwischen den Fertigungsstraßen auftauchen, heißt Andreas Waltinger. Die Haare hat er zu kleinem Pferdeschwanz gebunden. Beim Rundgang erklärt der vollbärtige Ingenieur in grauer Arbeitshose und schwarzem T-Shirt, was in den Hunderte Meter langen, verglasten Maschinen so alles passiert.
Eingespeist werden die später dunkelblau schimmernden Solarzellen als sogenannte Wafer – hauchdünne Siliziumscheiben. Während sie durch die Maschinen fahren, werden sie chemisch behandelt, mit Elektroden bedruckt, die den Strom leiten, getrocknet, geprüft und verpackt.
Waltinger arbeitet seit 2008 in der Solarforschung. Er findet heraus, wie sich aus den Scheiben mehr Strom herausholen lässt, wie die Elektroden angeordnet sein müssen, wie man die industrielle Produktion optimieren kann. Nun macht er vor einer vielleicht zehn Meter langen, schulterhohen, weiß-grauen Blechkiste halt, die mit den Leitungen an der Hallendecke über silberne Rohre verbunden ist. Darin steckt ein Ofen, zugleich Beleg dafür, was Meyer Burger kann. Denn die Firma entwickelt und fertigt alle wesentlichen Maschinen für die Herstellung von Solarzellen selbst.
Neustart in Europa wagen
„Diese Anlage braucht nur noch eine Temperatur von ungefähr 200 Grad, um die Elektroden auf den Solarzellen zu befestigen“, erklärt Waltinger. Die Konkurrenzfirmen von Meyer Burger in China würden dagegen noch mit 800 Grad arbeiten, was mehr Energie und Ausgaben erfordere. Solche Entwicklungen haben das Schweizer Unternehmen veranlasst, den Neustart der Solarzellenproduktion in Europa zu wagen. Denn die hiesige Produktion sei grundsätzlich kostengünstig und wettbewerbsfähig, betont die Firma.
Und dieser Roboter hier ist Waltingers Lieblingsmaschine. Durch die Glasscheiben kann man einem aufrecht montierten, dank mehrerer Gelenke höchst beweglichen Arm beim Arbeiten zuschauen. Von rechts holt sich das Werkzeug einen Stapel der blauen Zellen und bewegt sie hin und her, als würde es sie betrachten. Tatsächlich hält der Roboter den Stapel vor, neben, unter verschiedene Instrumente, die die Abmessungen kontrollieren. Fasziniert von der Unbeirrbarkeit und Eleganz seines Apparats mag Waltinger sich gar nicht lösen.
Etwa 25 Leute arbeiten hier pro Schicht. Es sei ein bisschen wie bei einem Klassentreffen, sagt einer der Arbeiter. Viele kennen sich noch vom ersten Solarboom. Damals arbeiteten sie für Q-Cells, Solarworld und weitere deutsche Firmen, die große Nummern waren. Und oft kommen sie aus den Regionen, in denen sich die Solarfabriken damals ansiedelten, und es heute wieder tun – Bitterfeld oder Freiberg in Sachsen.
Waltinger etwa stammt aus dem sächsischen Ort Werdau und studierte Elektrotechnik an der Fachhochschule Zwickau. Manche der Beschäftigte fürchten aber auch, dass ihr neuer Arbeitgeber wieder einen ähnlichen Weg nimmt wie damals.
„Der Solarindustrie geht es gerade nicht so gut“, sagt einer, „das muss man der Politik klarmachen.“ Nicht nur Meyer Burger funktioniert nach dem Prinzip: viel Platz, wenig Leute. Gute Teile des Stadtgebietes von Bitterfeld-Wolfen machen einen eher leeren Eindruck. Zu DDR-Zeiten standen hier riesige Industriekombinate mit Zehntausenden Beschäftigten. Die Gegend war ein Zentrum der Chemieproduktion, krasse Umweltprobleme wie das Abwasserloch Silbersee inklusive.
In den vergangenen 30 Jahren wurde jedoch viel abgerissen. Es blieben große Brachflächen, mitunter parkähnliche Gelände, auf denen hier und da ein Arbeitsamt oder ein Gründerzentrum in renovierten Industriegebäuden untergekommen ist. Einige neue Ansiedlungen wie der Chemiepark gesellten sich hinzu.
Die Renaissance der Industriestadt wurde durch den Solarcrash vor gut zehn Jahren massiv gestört. Einerseits sah es für die Solar- und Windenergie damals gut aus. Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erhielten Betreiber von Ökokraftwerken eine lukrative Förderung. Diese sollte die Energiewende voranbringen, was auch gelang. Aber unter anderem der CDU/CSU-FDP-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel erschienen die Kosten zulasten der Privathaushalte zu hoch.
Einstieg Chinas in den globalen Solarmarkt
Also kürzten sie die Förderung. Außerdem stieg China in den globalen Solarmarkt ein. Um Fuß zu fassen, boten die dortigen Unternehmen zu niedrigen Preisen an, was ihnen unter anderem aus Deutschland den Vorwurf einbrachte, mit staatlichen Subventionen Dumping zu betreiben.
Besonders Frank Asbeck, damaliger Chef des Unternehmens Solarworld, forderte deshalb immer wieder Importzölle der EU. Als diese schließlich eingeführt worden waren, retteten sie seine Firma aber auch nicht. Die Kombination aus Kürzung der Förderung und der chinesischen Konkurrenz führte dazu, das ein wesentlicher Teil der hiesigen Solarproduktionskette verschwand, mitsamt den Arbeitsplätzen.
Angesichts dieser Geschichte mag die aktuelle Situation wie ein Déjà-vu erscheinen. „Mit Preisen von etwa 15 Cent pro Watt bieten chinesische Hersteller momentan nach unseren Rechnungen unter den Selbstkosten an“, sagt Jochen Rentsch vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im baden-württembergischen Freiburg. „Der Vorwurf des unfairen Wettbewerbs scheint daher gerechtfertigt.“ Die Produktionskosten bei Meyer Burger liegen nach Informationen der taz dagegen über 30 Cent pro Watt.
Hintergrund des Handelskonfliktes ist die komplizierte internationale Lage. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden will strategische Industriezweige in den USA entwickeln oder stärken, wozu auch die Fertigung von Solaranlagen gehört. Mit einem riesigen Förderprogramm, dem sogenannten Inflation Reduction Act (IRA, Gesetz zur Senkung der Inflation) werden deshalb in Nordamerika produzierte Solarzellen begünstigt und chinesische Importe benachteiligt. Weil die asiatischen Hersteller nun weniger als erwartet in den USA verkaufen können, leiten sie die Schiffe nach Europa um. Um ihr Überangebot hier in den Markt zu drücken, senken sie die Preise.
Und wie hat Meyer Burger darauf reagiert? Der geplante Ausbau der Solarzellenproduktion in Bitterfeld wurde erst mal abgesagt. Stattdessen bereitet das Unternehmen den Bau zweier neuer Werke in den USA vor. Denn dort sind einige Hundert Millionen Dollar staatlicher Subventionen zu erwarten. Das scheint dem Management der Solarfirma aussichtsreicher als die Fabrik in Deutschland zu erweitern, die sich dem Druck der chinesischen Billigimporte erwehren muss.
Entwicklung von Prototypen
Ein Ort, wo diese Entscheidung getroffen wurde, liegt anderthalb Autobahnstunden südlich Bitterfelds im sächsischen Ort Hohenstein-Ernstthal unweit von Chemnitz. Dort steht in einem Gewerbegebiet mit Blick über bewaldete Hügel die Deutschland-Zentrale von Meyer Burger. Vor dem Eingang parkt ein E-Auto an einer Stromzapfsäule. In der weitläufigen Kantine geht es gemächlich zu. Durch ein großes Fenster hinter dem Tresen kann man in die benachbarte Werkhalle blicken. Hier werden die Prototypen der Maschinen entwickelt und ausprobiert, die in Bitterfeld später einmal die Produktion übernehmen sollen.
Gunter Erfurt, der Vorstandsvorsitzende, holt sich ein Tablett mit gebackenem Fisch und Salat, nun setzt er sich. Er ist ein jugendlich wirkender Typ von 50 Jahren, trägt ein blaues Hemd ohne Jackett. Er stammt aus Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, hat nicht weit davon entfernt in Zwickau und Freiberg studiert und in Physik promoviert. Wie viele seiner Beschäftigten war auch Erfurt früher bei Solarworld, wo er Anfang und Ende des ersten Solarbooms mitgestaltete und miterlitt.
Die Botschaft des Managers heute: Ohne neue Subventionen der Bundesregierung und der EU-Kommission hat Meyer Burger ein Problem. „Wir plädieren unter anderem für die Einführung einer Resilienz-Prämie, um die hiesige Solarindustrie zu stärken“, sagt Erfurt. Diese Prämie in Höhe einiger Cent pro Kilowattstunde würden die Hausbesitzer und Unternehmen erhalten, die Solarzellen aus einheimischer Fertigung installieren lassen – und keine chinesischen.
Außerdem hat Erfurt Hoffnung, zusätzliche Zuschüsse der Bundesregierung zu erhalten, wenn er hier investiert. Und drittens macht er sich dafür stark, dass die EU Importzölle für bestimmte Vorprodukte abschafft, die Meyer Burger und andere Solarzellenproduzenten brauchen.
Der Bundesverband der Solarwirtschaft (BSW) unterstützt diese Forderungen. Jochen Rentsch vom Fraunhofer-Institut ebenfalls: „Subventionen für Investitions- und Produktionskosten erscheinen plausibel. Dabei ist Eile geboten – sonst stellen einheimische Hersteller ihre Produktion ein.“ Eine Vorentscheidung über weitere Fördermittel werde „voraussichtlich“ im November fallen, teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit.
Aber sind die Forderungen wirklich gerechtfertigt? Wickelt hier nicht wieder einmal eine Branche die Politik um den Finger? Warum sollen wir nicht die günstigen chinesischen Zellen kaufen, wenn die deutschen doch einfach teurer sind?
Die Antwort liegt ebenfalls in den neuen Konflikten der globalen Machtverteilung. Um in der politischen und ökonomischen Auseinandersetzung mit China und teilweise den USA bestehen zu können, hat die Europäische Kommission unter anderem das Ziel ausgegeben, dass 40 Prozent der in Europa benötigten Solarzellen und Module auch hier hergestellt werden sollen. Heute dagegen ist die Abhängigkeit von der chinesischen Solarindustrie extrem groß.
Zahlen des Fraunhofer-Instituts zufolge liefert China 90 Prozent allen Poly-Siliziums weltweit, des Ausgangsstoffes der Solarzellenfertigung. Oft kommt er aus Xingjiang, wo die Bevölkerung unterdrückt wird. Beim Zwischenschritt unter anderem der Wafer, die auch die Meyer Burger-Fabrik in Bitterfeld benötigt, sind es 99 Prozent. Schließlich kommen 91 Prozent der Solarzellen und 85 Prozent der Module, der Konstruktionen für Dächer und Freiflächen, ebenfalls aus China (siehe Grafik).
Man muss sich also die Frage stellen: Was passiert, wenn die chinesische Regierung den Export der Solartechnik drosselt, um Druck auszuüben und politische Ziele durchzusetzen? Was würde das für die Klimaneutralität bedeuten, die Deutschland und Europa anpeilen? Wie steht es dann um die wirtschaftliche und politische Selbstbestimmung der europäischen Demokratien?
Weniger Abhängigkeit von China bedeutet: Mehr Solaranlagen und ihre Komponenten müssen in Europa produziert werden. Im Hinblick auf das EU-Ziel sagt Fraunhofer-Experte Rentsch: „Um 40 Prozent des europäischen Bedarfs an Solarzellen in 2026 aus eigener Produktion zu bedienen, bräuchten wir gemäß derzeitiger Marktprognosen eine Herstellungskapazität von mindestens 40 Gigawatt pro Jahr – und zwar über die gesamte Produktionskette, einschließlich der Wafer.“
Zum Vergleich: Meyer Burger hat derzeit eine Kapazität von maximal 1,4 Gigawatt Leistung pro Jahr. Daneben betreibt das italienische Unternehmen Enel eine kleine Produktion in Sizilien. Das ist alles. Alles andere sind Ankündigungen. Man kann auf die Idee kommen, dass dringend etwas passieren muss.
Unternehmerisch-rationale Haltung
Die Haltung von Meyer Burger in dieser Lage ist unternehmerisch-rational. Man produziert da, wo es sich rechnet. Das kann in Deutschland sein. Oder in Nordamerika. Wenn die Situation so ist wie sie ist – Marktbeherrschung und Preisdumping durch China, Subventionen in den USA – muss Brüssel schnell ein paar Dutzend Milliarden an Euro springen lassen. Andererseits steht für das Unternehmen viel auf dem Spiel.
„Mit der heutigen Situation hat Meyer Burger nicht gerechnet“, räumt Erfurt ein. Bis 2020 betätigte sich die Firma mit Hauptsitz am Thuner See in der Schweiz hauptsächlich als zuliefernder Maschinenbauer für Solarfirmen. Dann entschied man, keine Produktionsanlagen mehr zu verkaufen, die Solarzellen selbst zu fertigen und dafür die Fabriken in Freiberg und Bitterfeld zu übernehmen. „Wir gehen davon aus, durch den Einstieg in die Fertigung von Zellen und Modulen höhere Umsätze und Gewinne erzielen zu können“, sagt Erfurt.
Eine Wette auf die Zukunft – auch auf die europäische Klimapolitik, die Energiewende, einen neuen Solarboom. Der Aktienkurs stieg zunächst stark, sank in jüngster Zeit aber auch deutlich ab. Im ersten Halbjahr 2023 erwirtschaftete das Unternehmen keine Gewinne, sondern Verluste. Wie lange machen die Investoren das mit? Mittlerweile hängen rund 1.400 Arbeitsplätze daran, rund 1.000 davon in Deutschland. Funktioniert der zweite Solarboom, und steigen andere Unternehmen hierzulande ein, könnten es zehntausende Jobs werden, wie früher.
Zum Beispiel in Bitterfeld. Vor dem Meyer Burger-Werk liegt ein großer Parkplatz. Daneben steht eine weitere Halle, früher auch eine Solarfabrik. Dort sollte eigentlich die Produktion wachsen, die Meyer Burger nun in den USA ansiedelt. Aber das ist möglicherweise nicht das Ende der Geschichte.
Erhält die Firma im November eine zur Zeit nicht unwahrscheinliche Förderzusage des Bundeswirtschaftsministeriums – und ringt sich die Ampel zur Prämie für einheimisch gefertigte Solarzellen durch –, könnte es hier losgehen mit einer neuen Fertigungsstraße. Dann würde das Solar Valley vielleicht seinem Namen wieder gerecht.
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