Social-Media-Hype: Best day ever?!
Unsere Autorin konnte schon als Kind nichts mit Übertreibungen anfangen. Sie plädiert für mehr Normalität – auch bei Instagram.
W enn ich einfach nur ein bisschen vor mich hin scrollen will, fliegt ein Leinenbettlaken über meinen Handyscreen. Darauf ist gewollt ungewollt ein Roman drapiert, die Bildunterschrift: „Best day ever!“ Glitzerherzemoji.
Zwei Bildschirmlängen später ein Sonnenuntergang: „Best weekend ever“ steht darunter. Ich bin genervt. Nicht schon wieder. Wie viele beste Tage eures Lebens wollt ihr noch haben? Wie viele beste Orte, beste Abende, beste Trips wollt ihr noch posten? Im Bett lesen, ja, das ist gemütlich, aber das ist doch kein best day ever. Wem macht ihr was vor?
Schon wieder? Kann nicht sein.
Dass wir zu oft übertreiben, bemerkte ich schon mit fünf, als ich mit dauerblauen Lippen versuchte, das Seepferdchen-Abzeichen zu bekommen. Mein Schwimmlehrer setzte mich nach jeder Stunde auf den Beckenrand und sagte: „Das war deine beste Schwimmstunde!“ Schon wieder? Kann doch gar nicht sein, dachte ich.
Ich war wirklich nicht gut im Schwimmen. Im kalten Wasser machte ich zu kleine Bewegungen, den roten Ring am Beckenboden ertauchte ich, wenn überhaupt, erst nach fünf Anläufen. Doch egal, ob ich es schaffte oder nicht, es war immer meine „beste Stunde“. Der Mann wollte mich damit vermutlich motivieren, aber ich fühlte mich verarscht.
In der Schule ging es dann so weiter. Wenn der Klassenlehrer sich nach drei Jahren verabschiedete, waren wir seine „allertollste Klasse“. In der Uni haben wir so großartig diskutiert wie sonst noch nie eine Seminargruppe, „wirklich“. Dabei waren die Kameras der meisten während des Onlinekurses aus. Nebenbei wurde die Wäsche aufgehängt und Candy Crush gezockt, aber mit Sicherheit nicht leidenschaftlich argumentiert.
Hochgejubelte, mittelmäßige Tage
Wir werfen mit Superlativen um uns, als gäbe es etwas zu gewinnen. Dabei sind viele hochgejubelte Tage doch nur Mittelmaß, gestehen wir uns das doch ein: Es gab irgendwas auf die Hand zum Mittagessen, danach wurde sich unmotiviert zum Sport geschleppt. Die Tage sind gefüllt mit verpassten Bussen, verpassten Anrufen, verpassten Paketboten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und das ist voll okay. Aber lieblose Schüsselgerichte und ungemachte Betten begegnen mir auf Instagram trotzdem nicht. Oder ein überquellender Biomüll? Der kann auch nach Kunst aussehen. Einsame Socken zu einem Raster gelegt wie Memoryspielkarten, sodass man auf dem Foto nach Paaren suchen kann.
Vielleicht sollten wir davon mehr teilen, damit wir weniger das Gefühl haben, dass nur wir selbst jeden dritten Tag in einer nackenfeindlichen Pose vor dem Fernseher einschlafen, während andere angeblich die beste Zeit der Welt erleben.
Das kann auch deshalb nicht stimmen, weil das Jahr eigentlich wie ein Cornetto-Eis aufgebaut ist. Es gibt fruchtige Eiscremetage, eine Freundin kommt zu Besuch, das Projekt ist endlich abgeschlossen, man kann zum ersten Mal wieder offene Schuhe tragen, gute Tage eben. Dann gibt es Waffeltage, sie sind trocken, es knirscht und bröselt – alles scheiße.
Das Cornetto-Verhältnis
Und dann gibt es Schokospitzentage. Halbgefroren knackt der köstliche Rest der Eiswaffel zwischen den Zähnen, der trockene Keksteig ist vergessen. Die Schokospitzentage radieren die Waffeltage aus unserem Gedächtnis. Aber sie kommen eigentlich nur im Cornetto-Verhältnis vor und nicht wie best days ever in meinem Feed.
Und das sollte so auch gezeigt werden. Denn wenn alles immer vom Allerfeinstentollstenbesten ist, wie geht man dann mit einem Schokospitzentag um? Er sticht nicht mehr heraus aus dem Alltäglichen. Er steht nicht mehr für dieses Endorphinhoch, wie ein langer Lauf, sondern er versandet zwischen allerbesten Tagen, die eigentlich nur Durchschnitt sind. Als Berlinerin bleibe ich da lieber beim größten Lob, das die Hauptstadt zu bieten hat: Da kann man nicht meckern. Und das reicht an den meisten Tagen.
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