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Sichere HerkunftsstaatenEin Herzensanliegen der Koalition

Der Bundestag wird mehrere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären. Widerstand kommt von den Grünen. Im Bundesrat wird das Gesetz scheitern.

Hinter Gittern wartet ein Ausreisepflichtiger auf die Abschiebung Foto: dpa

Berlin taz | Dass eine Koalition ein Gesetz beschließt, von dem sie weiß, dass es wohl nicht in Kraft treten wird, kommt selten vor. Doch genau das tut die Große Koalition an diesem Freitagmorgen. Union und SPD segnen im Bundestag eine Asylrechtsverschärfung ab, welche Georgien, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.

Es geht um ein Herzensanliegen der Koalition, von dem sie sich unkompliziertere und schnellere Abschiebungen verspricht. Bei sicheren Herkunftsstaaten gehen deutsche Behörden davon aus, dass dort in der Regel keine Gefahr durch Verfolgung besteht. AsylbewerberInnen aus diesen Ländern müssen dann das Gegenteil beweisen, was schwierig ist. Außerdem gelten kürzere Einspruchsfristen.

Allerdings wird das Gesetz wohl nie das Licht der Welt erblicken. Das liegt an einer Blockade der Grünen und der Linkspartei im Bundesrat, der das Gesetz bestätigen muss. Beide Oppositionsparteien lehnen die Idee strikt ab.

Sie haben gute Argumente: Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit definiert, welche Kriterien ein Land erfüllen muss, um als „sicher“ eingestuft werden zu können. Das Grundgesetz erlaubt die Einstufung nur dann, wenn dort keine „unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“.

Es ist äußerst zweifelhaft, ob das in den Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko der Fall ist. Homosexualität ist in Tunesien, Algerien und Marokko zum Beispiel laut Gesetz strafbar. Schwule und Lesben können ins Gefängnis wandern, wenn sie erwischt werden. Dort kommt es häufig zu Demütigungen und Gewalt durch die Polizei oder Aufseher.

Grüne Position ist unverändert

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagt der taz: „An unserer grünen Position hat sich nichts verändert: Das Instrument der Sicheren Herkunftsstaaten löst keines der genannten Probleme in Deutschland und widerspricht aus meiner Sicht den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts.“ Mit Blick auf die Demokratiebemühungen in den Maghreb-Staaten sei es sogar kontraproduktiv. Ein Siegel als sicherer Herkunftsstaat, so das Argument, entmutigt die Opposition, die für Demokratie kämpft.

„Daher werden wir den Gesetzentwurf im Bundestag ablehnen“, versichert Baerbock. Das ist bekannt. Entscheidend aber ist das grüne Verhalten im Bundesrat. Dort regiert die Ökopartei in neun Landesregierungen mit – und kann deshalb Gesetze blockieren. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die Sache anders als die meisten Grünen. Der konservative Realo aus dem Südwesten würde dem Gesetz wohl zustimmen.

Schon im Jahr 2016 hatte die Große Koalition einen Anlauf genommen – und wollte die drei Maghreb-Staaten als „sicher“ deklarieren. Damals scheiterte sie im März 2017 am grünen Widerstand im Bundesrat – Baden-Württemberg stimmte allerdings dafür.

Realitätsfremde Romantiker

Die Groko hat die Idee seither nie fallen lassen. Konservative übten in der aufgeheizten Debatte über Flüchtlinge Druck aus, warfen den Grünen eine Verweigerungshaltung vor und stellten sie als realitätsfremde Romantiker hin. Die meisten BürgerInnen finden es nämlich richtig, Menschen schnell in die nordafrikanischen Staaten abzuschieben – auch wegen der sexualisierten Gewalt in der Kölner Silvesternacht.

Als Wackelkandidat galt bei den Grünen lange der hessische Landesverband, der realpolitisch tickt. Ein Ja von Baden-Württemberg und Hessen würde der Groko die Mehrheit im Bundesrat sichern. Die Hessen-Grünen regieren seit 2014 mit der CDU. Und Tarek Al-Wazir, Wirtschaftsminister und starker Mann des Landesverbands, liebäugelte schon 2016 mit der Zustimmung.

Deshalb schauten viele Grüne mit Spannung auf die hessischen Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl im vergangenen Oktober. Wie würden sie sich in dem heiklen Punkt verhalten? Sie blieben hart – und einigten sich mit der CDU darauf, nicht einig zu sein. Bei der Frage der Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten „haben die Koalitionspartner unterschiedliche Auffassungen“, heißt es im schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Gebe es im Kabinett keine Übereinkunft über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat, enthalte sich das Land.

Blockade im Bundesrat

In Hessen beteuert man, dass es dabei bleibe. Grünen-Landeschef Kai Klose, künftig Sozialminister, sagt: „Das ist eindeutig.“ Damit steht – Stand jetzt – die Blockade im Bundesrat.

Bei den Grünen wird dies auch als Sieg der Parteispitze gesehen, die bald ein Jahr im Amt ist. „Das ist ein großer Erfolg von Annalena“, heißt es in Parteikreisen. Baerbock hatte hinter den Kulissen ihre hessischen ParteifreundInnen wochenlang mit Argumenten bombardiert – und auf eine harte Haltung eingeschworen.

Sie ist sich sicher, dass außer Baden-Württemberg kein von Grünen mitregiertes Land ausschert. „Dort, wo wir in den Ländern mitregieren, wird es im Bundesrat aufgrund der grünen Position zu einer Enthaltung oder Ablehnung kommen“, sagt sie. Sogar Kretschmann will sie noch nicht verloren geben. Baden-Württemberg habe deutlich gemacht, dass seine Zustimmung von einem tragfähigen Konzept zum Schutz vulnerabler Gruppen abhänge. Jenes liege ihres Wissens aber noch nicht vor.

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25 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Diese Debatte kann den unbedarften Leser in ernsthafte Verwirrung stürzen. Eigentlich heißt es hier doch gerne das alle Kulturen gleichwertig sein und das Toleranz gefordert ist. Doch wenn es um Abschiebung geht malen Grüne und Linke ein ganz ähnliches Bild wie Trump es bei Haiti und afrikanischen Staaten tat.

    Eine erfischende, neue Einigkeit, könnte man denken. Doch die bittere Wahrheit ist das Grüne und (teile von) Die Linke sich bei diesem Thema derart verrant haben das die Benennung der offensichtlichen Wahrheit zur ultimo ratio geworden ist. Scheinbar müssen schon Menschenleben in Gefahr sein, damit man die Augen wenigstens noch ein Stück weit öffnet und diese Kulturen sieht und sie nicht nur tumb, durch die rosarote Brille anschaut.



    Wer zugibt das ein Leben in diesen Ländern für viele Menschen nicht zumutbar ist der soll bitte auch konsequent sein und aufhören so zu tun als sein diese Kulturen und ihr Import ganz unproblematisch.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Es geht um ein Herzensanliegen der Koalition, von dem sie sich unkompliziertere und schnellere Abschiebungen verspricht."

    Und ich Einfaltspinsel dachte immer, dass ein "Herzensanliegen" etwas gutes, positives, eben vom Herzen kommendes wäre.

    Man könne sonst ja beispielsweise auch sagen, dass es ein Herzensanliegen von Erdogan ist, möglichst viele seiner Gegner und vermeintlichen Gegner mundtot zu machen und in den Knast zu werfen.

    Oder es könnte ein Herzensanliegen der islamfaschistischen Ajatollahs sein, möglichste viele Schwule am Baukran aufzuhängen.

    Herzenswünsche halt.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Jetzt muss ich Sie mal richtig zusammenschocken: nicht alle Menschen teilen diesselben Wertvorstellungen. Des einen Herzensanliegen ist des anderen Hassprojektion.

  • Wieso sind Montenegro, Ghana und Albanien sichere Herkunftsländer und Marokko kann es nicht sein?



    In all diesen Ländern kommen zahllose Unmenschlichkeiten vor.



    Wieso darf man nach Brasilien (154 Morde pro Tag) , Mexico (täglich 496 Gewaltverbrechen ) und Afghanistan abschieben?

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."Widerstand kommt von den Grünen" und der Linken. Soviel Zeit muss sein.

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Der Artikel bezieht sich auf den Bundestag. Die Grünen regieren in „neun Landesregierungen mit – und kann deshalb Gesetze blockieren.“

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        ...stimmt, der Artikel bezieht sich auf den Bundestag "Der Bundestag wird mehrere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären", im Nachsatz heisst es aber "Widerstand kommt von von den Grünen". Im Bundestag hat hat Die Linke, gemeinsam mit Bündnis90/Die Grünen, gegen dieses Gesetz gestimmt.



        Verhindern können die Grünen dieses Gesetz aber nur im BundesRAT.

        • @81331 (Profil gelöscht):

          Nur: die Linkspartei ist nicht in neun Bundesländern vertreten, hat dort also null Einfluss, stellt somit auch keinen Wiederstand dar.

          Übrigens auch nicht außerhalb der Parlamente, wenn man sich die Diskussionen um Wagenknecht anschaut.

          • 8G
            81331 (Profil gelöscht)
            @Rudolf Fissner:

            ...im BUNDESTAG sind, ebenso wie Die Linke, auch Bündnis90/Die Grünen in der Opposition. Beide Parteien haben also "null Einfluss" auf das Abstimmungsverhalten der Regierungsparteien.



            Im BUNDESRAT kann Bündnis90/Die Grünen dieses Gesetz verhindern, aber auch nur mit Hilfe der Linken (Thüringen). Denn, es ist davon auszugehen, dass Baden-Württemberg (rechts-konservative Regierung unter Kretschmann) im Bundesrat für dieses Gesetz stimmen wird.

            • @81331 (Profil gelöscht):

              Ja im Bundestag sind beide Parteien in der Opposition

  • So wie in Deutschland?

    • @meerwind7:

      "So wie in Deutschland?"



      bezog sich auf



      Axel Woodhammer: "Schließlich sind viele Länder groß und während der Osten unsicher sein mag, kann der Westen sicher sein."

  • Naja, dieser Vorschrift nach sind auch die USA kein sicheres Land mehr. Das wirkt wie ein Gummiparagraph, den man sich so drehen kann, wie man´s gerade braucht. Auf der einen Seite sollen also Tunesien oder Marokko "unsicher" sein, andererseits fahren da abertausende Urlauber jedes Jahr hin.

  • Man kann aber nicht in Regionen abschieben, denn für die Abschiebung bedarf es abkommen mit der Regierung des Staates und nicht der Region.



    Und was wenn die Person gar nicht aus der Region stammt? Das wäre als würde man einen Sachsen ins Saarland abschieben.

    • @Jan Berger:

      Die meisten Abschiebungen oder Rückführungen Deutscher aus dem Ausland gehen unmittelbar nach Hessen, nämlich zum Flughafen Frankfurt. So war es z.B. meiner Tante aus Beayern ergangen, als sie (trotz Anmeldung) nicht in die USA einreisen durfte.

  • "Die meisten BürgerInnen finden es nämlich richtig, Menschen schnell in die nordafrikanischen Staaten abzuschieben – auch wegen der sexualisierten Gewalt in der Kölner Silvesternacht."

    Hat da jemand Sippenhaft gerufen? Denn damit würde man alle Asylsuchenden aus diesen Staaten eine Mitschuld an der Silvesternacht von 2015 geben.

    • @Jan Berger:

      Es geht hier nicht um Schuld oder Mitschuld.

      Allerdings besteht stets dann eine größere Gefahr der Radikalisierung und des Abgleitens in Verbrechen, wenn keine legale Perspektive besteht. Das betrifft dann v.a. Nordafrikaner, deren Asylantrag schon abgelehnt wurde oder aussichtslos ist. Es ist also durchaus sinnvoll und auch im Interesse der Herkunftsländer, zügig zwischen zwei Wegen zu entscheiden:



      a) gesicherter Aufenthaltsstatus mit Arbeitsmöglichkeit



      b) Ablehnung und zügige Ausweisung bzw. Abschiebung.



      Aber nicht junge Männer jahrelang mit deutscher Sozialhilfe und der einzigen Perspektive der Kriminalität herumhängen lassen.

      Diese Erkenntnis wurde wohl durch die Silverstnacht etwas befördert. www.focus.de/polit...en_id_5206359.html

    • @Jan Berger:

      "Sippenhaft" beruht(e) auf einem engen Verwandschaftsverhältnis zwischen Täter und Inhaftierten.

  • Hessen: "Baerbock hatte hinter den Kulissen ihre hessischen ParteifreundInnen wochenlang mit Argumenten bombardiert – und auf eine harte Haltung eingeschworen."

    Ist das der Grund, warum die Grünen in Hessen bei den ökologischen Themen so wenig erreicht haben? Ist das mit ein Grund, warum sie im Verhältnis zu ihrer Stimmenzahl im hessischen Kabinett unterrepräsentiert sind, mithin auch die Tagespolitik weniger mitgestalten können?

    Gegenüber der CDU besteht natürlich nur begrenzter Verhandlungsspielraum, und wenn man sich bei einem Thema versteift, muss man bei anderen mehr nachgeben.

  • Nicht Homosexualität ist in Tunesien, Algerien und Marokko strafbar, sondern wohl nur die Vornahme bestimmter sexueller Handlungen zwischen Männern (ob bei zwei Frauen, weiß ich nicht).



    Die bei Aufweisung drohende Konsequenz ist also ein staatlich auferlegtes Zölibat. Inhafiterung droht erst bei Verstoß gegen lokale Gesetze.

    Zudem betrifft das ja nur den kleineren Teil der Migranten aus jenen Ländern, die sich hier aufhalten.

    • @meerwind7:

      "Nicht Homosexualität ist in Tunesien, Algerien und Marokko strafbar, sondern wohl nur die Vornahme bestimmter sexueller Handlungen zwischen Männern"

      Ja und, was soll "nur" hier heißen? Nirgendwo auf diesem Planeten wird irgendjemand mit Strafe bedroht, verfolgt, gefoltert oder getötet, weil er/sie (still und leise für sich) die Eigenschaft besitzt, homosexuell zu sein. Geschlechtlichkeit umfasst aber nicht nur Sex hinter zugezogenen Schlafzimmervorhängen, sondern auch ein Leben mit Liebe und Partnerschaft. Und letzteres wiederum ist nicht, wie gerne immer wieder behauptet wird, "Privatsache", sondern gehört unabtrennbar zur sozialen Person.

      Entsprechend hat der EuGH 2013 geurteilt, dass die "sexuelle Ausrichtung" eines Menschen auch "Handlungen seines Lebens in der Öffentlichkeit" umfasst, dass diese Ausrichtung somit ein für die Identität eines Menschen so bedeutsames Merkmal darstellt, dass die Asylbehörden nicht erwarten können, dass ein Asylsuchender "seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden".

      www.faz.net/aktuel...asyl-12652717.html

    • @meerwind7:

      Eben. Und wegen diesem kleineren Teil hat gefälligst eine ordentliche Prüfung der vorgebrachten Asyl Gründe zu erfolgen. Alle anderen kann man nach den jetzt geltenden Regeln ablehnen. Wenn es schneller gehen soll, hilft mehr Personal besser als menschenrechtsgefährdende Pauschalverfahren.

  • Wäre es sinnvoll, wenn die verschiedenen Regionen einzeln betrachtet werden?



    Schließlich sind viele Länder groß und während der Osten unsicher sein mag, kann der Westen sicher sein.

  • NIcht das sich diese Blockadehaltung der Grünen bei der nächsten Wahl rächt.



    Der Aufschwung der Grünen hat viel mit der Sorge um Klimawandel und überbordenden Einsatz von Plastik zu tun, wenig mit der Sorge um Menschen aus anderen Ländern....Diese Stimmen können auch schnell wieder weg sein.

    • @Lain Lainsen:

      Ich denke, es geht trotzdem weiter vorwärts mit den Grünen, weil nur noch wenig Flüchtlinge kommen. Damit verschiebt sich der Fokus vieler Wähler auf die von Ihnen genannten Themen. Man könnte sagen, Salvini ist der beste Wahlhelfer der Grünen. So grausam das ist.