piwik no script img

Sichere Herkunftsländer sind relativDeutsche darf nicht nach Afghanistan

Sybille Schnehage betreibt ein Hilfsprojekt in Kundus. Besuchen darf sie es aber nicht mehr: Die Bundesrepublik verbietet ihr die Ausreise.

Für abgelehnte Asylbewerber ist Afghanistan gut genug – für deutsche Entwicklungshelfer nicht Foto: Imago/Xinhua

Freiburg taz | Eine 67-jährige Deutsche darf seit 2016 nicht mehr zu ihrer Hilfsorganisation nach Afghanistan reisen – weil sie dort entführt werden könnte. Diese Beschränkung der Reisefreiheit durch die Bundesrepublik hielt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg nun für rechtmäßig.

Es ist ein neuer Ansatz in der Anti-Terror-Politik. Bisher sollten Reisebeschränkungen verhindern, dass islamistische Gefährder nach Syrien und Afghanistan ausreisen. Nun wird aber auch die Freiheit potenzieller Opfer eingeschränkt, um Gefahren zu vermeiden.

Sybille Schnehage leitet die Hilfsorganisation Katachel, die seit 1994 in der Provinz Kundus aktiv ist. Katachel hat dort schon 32 Schulen gebaut und über Tausend Brunnen und Brücken. Derzeit werden jährlich rund 140 Mädchen zu Näherinnen ausgebildet. 2003 erhielt Schnehage das Bundesverdienstkreuz, 2006 die Ehrendoktorwürde der Universität Kabul. 2013 schrieb Erfolgsautorin Hera Lind einen Roman über Schnehages Erlebnisse („Drachenkinder“).

Doch die Helferin war 2015 zum letzten Mal bei „ihren Leuten“ in Afghanistan. Denn im September 2016 wurde auf Betreiben des Auswärtigen Amtes und des Bundeskriminalamtes ihre Reisefreiheit beschränkt. In Schnehages Reisepass steht jetzt, dass sie weder direkt noch indirekt nach Afghanistan reisen darf. Schnehage kann es immer noch nicht fassen. „Ich muss doch vor Ort nach dem Rechten sehen, die Kontakte pflegen und Abrechnungen machen.“

Schnehage teilt die Sorge überhaupt nicht

Die Passbeschränkung wurde mit der Gefahr begründet, dass Schnehage in Afghanistan entführt werden könnte. In solchen Fällen richteten sich die Forderungen der Entführer vor allem an Deutschland als Herkunftsstaat. Weitere Reisen Schnehages nach Afghanistan gefährdeten deshalb „erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“. Die Beschränkung nach Paragraf 7 des Passgesetzes galt zunächst nur für ein Jahr, wurde inzwischen aber bis September 2018 verlängert.

Für Schnehage, so die Sicherheitsbehörden, bestehe nicht nur eine abstrakte Entführungsgefahr wie für alle anderen Ausländer in Afghanistan. Ein örtlicher Informant des Bundesnachrichtendienstes habe im Juli 2016 gemeldet, eine Islamistengruppe plane die Entführung einer blonden Frau, die ein Hilfsprojekt leite, bei dem unter anderem Schneiderinnen ausgebildet werden. Diese Warnung des überwiegend zuverlässigen Informanten begründe eine „konkrete Gefahr“.

Schnehage teilt die Sorge überhaupt nicht: „Der Gouverneur von Kundus garantiert persönlich für meinen Schutz, die Afghanen sind auf meiner Seite“, sagt sie. „Meine Leute vor Ort wissen genau, wenn es für eine Reise zu gefährlich ist, und dann reise ich auch nicht.“

Schnehage klagte gegen die Passbeschränkung. Beim Verwaltungsgericht Braunschweig hatte sie im April 2017 zunächst Erfolg. Zwar gingen auch die dortigen Richter von einer „erheblichen Gefährdung“ Schnehages aus. Doch die Belange der Bundesrepublik würden nicht von ihr, sondern von den möglichen Entführern gefährdet.

Missverhältnis von Militärausgaben kritisiert

Das sah das OVG Lüneburg anders. In einem jetzt veröffentlichten Urteil billigte es nach einer „wertenden passgesetz-spezifischen Gesamtbetrachtung“ die Reisebeschränkung. Falls Schnehage nach Afghanistan ausreise, bringe sie die „Ursachenkette“ einer möglichen Entführung in Gang. Der „Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr“ erlaube es, die Reisefreiheit des potenziellen Opfers zu beschränken. Schließlich könnten deutsche Behörden gegen potenzielle Entführer im Ausland nicht vorgehen.

Schnehage will gegen das Urteil auf jeden Fall Revision zum Bundesverwaltungsgericht einlegen. „Wenn die damit durchkommen, kann man durch halbwahre Behauptungen jedem die Reisefreiheit nehmen.“ Hinter der Entführungsdrohung könne ein ehemaliger Projektleiter von Katachel stehen, der im Gefängnis sitzt, weil er Hilfsgelder unterschlagen hat. Schnehage vermutet außerdem, dass sie sich bei der Bundesregierung unbeliebt gemacht hat, weil sie 2015 das Missverhältnis der Militär- und Entwicklungsausgaben in Afghanistan kritisierte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

28 Kommentare

 / 
  • @ ARNO BIRNER:

     

    Echt "spannende" Leute hier im Forum!

    Also seit wann gilt das deutsche Grundgesetz auch in Afghanistan? Haben wir dieses Land schon annektiert? Wusste ich gar nicht. Oder hat hier jemand den Satz "Unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen" tatsächlich wortwörtlich genommen? Und was machen wir, wenn so ein Verwirrter glaubt, er muss seine deutschen Grundrechte in Nordkorea wahrnehmen? Müssen wir dann die ganze Bundeswehr samt atomar bestückter Tornados mitschicken? Immerhin hat der dicke Kimi so seine Probleme mit unseren Werten. Echt grotesk, was manchen so in den Sinn kommt.

    • @Florian Hohenwarter:

      Ganz ruhig bleiben und juristische Fakten verstehen: Das GG regelt in den Menschenrechts-Paragrafen das Verhalten des deutsche Staates gegenüber seinen Bürgern / den Menschen unter seinem Einfluss. Wieso sollte das an den Boden der BRD gekoppelt sein? Ein deutscher Soldat muss sich, egal wo auf der Welt, auch an das GG halten, da er Teil der "staatlichen Gewalt" im Sinne des Art. 1 ist. Diese Bestimmung zum staatlichen Verhalten endet nicht an der deutschen Grenze.

      Jeder Deutsche hat, egal wo auf der Welt, gegenüber dem deutschen Staat alle Rechte die das GG vorsieht. Alles andere wäre ja auch völlig abwegig und definitiv nicht im Sinne des GG.

  • Als "rechtspolitischer Korrespondent" wird der Autor bezeichnet. Und schreibt kein Wort über die Rechtsgrundlagen dieser erstaunlichen Massnahme.

  • Vielleicht ist es die unterschiedliche Bedeutung von zwischen Funktion und Herkunft die zu diesen unterschiedlichen Bewertungen führt.

     

    Was aber egal ist. Die Entscheidung sich in eine gefährliche Situation zu begegeben ist eine ander als andere menschen dorthin zu schicken. Die Entscheidung ist Freiheitsrecht der Person.

  • ....bringe sie die „Ursachenkette“ einer möglichen Entführung in Gang.

     

    Das ist nicht abwegig. Offensichtlich hat man keine Lust mehr deutsche "Auslands-Helfer" immer wieder aus der Patsche zu holen.

  • Aber es gilt doch jetzt als sicheres Herkunfsland? (Habe gerade wegen verwirrten Kopfkratzens rechts eine kahle Stelle produziert...)

    • @Sergej Prokofiev:

      Eben. Herkunftsland, nicht Reisezielland.

  • Völlig durchgeknallte "Rechtssprechung". Wenn der Staat für dies Person ein besonderes Gefährdungspotential bei der Wahrnehmung ihrer GG garantierten Rechte sieht, kann er diese nicht einfach beschneiden. Er müsste vielmehr durch Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass sie diese Rechte trotz aller Widrigkeiten wahrnehmen kann. Sollen halt zwei Personenschützer und zwei militärisch bewaffnete und ausgebildete vom KSK mitfliegen (das ganze ist ja ein echter Einzelfall).

    Aber grundrechtliche Freiheiten zu beschneiden, weil eine Drohung vorliegt ist völlig grotesk. Alle Rechtsvorschriften, die irgendwas mit "Belange der BRD" enthalten sind Gummiparagraphen und gehören abgeschafft und durch vernünftige (konkretere) Regelungen ersetzt. Der Staat kann mit der ihm in der bestehenden Formulierung gegebene Freiheit augenscheinlich nicht umgehen. Das zeigt sich auch an der virulenten Nicht-Kontrolle aller Geheimdienste.

    • @Arno Birner:

      "Zwei Personenschützer und zwei ... KSK" ist witzig. Was sollen die nützen? Die werden als erstes umgelegt.

      • @rero:

        Keine Sicherheitsmaßnahme bietet 100%igen Schutz. Es geht immer um die Veränderung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses für den möglichen Täter. Während man zum Kidnappen der Frau ohne Begleitschutz ca. 3 Mann bräuchte, wäre bei 4 gut ausgebildeten Bewachern ein richtiges komplexes Kommandounternehmen mit wesentlich mehr Vorbereitung, Logistik und Personal nötig. Dies macht diesen Zugriff/Angriff (deutlich) unwahrscheinlicher, da unrentabler.

    • @Arno Birner:

      Wo exakt steht im Grundgesetz, dass man nach Afghanistan reisen darf? Art. 11 GG gewährt Reisefreiheit im Bundesgebiet, nicht mehr. Dass Gebiete außerhalb der Verantwortung der Bundesregierung nicht als Reiseländer zur Verfügung stehen verletzt keine Grundrechte. Die Schnapsidee in einen souverainen Staat Afghanistan als gute Neokolonialmacht mal eben Bewaffnete einseitig zu entsenden, braucht man wohl nicht zu kommentieren.

      • @HugoHabicht:

        Im GG steht in Artikel 2, dass jeder Mensch, im Einflussbereich der BRD sich frei entfalten darf. Dazu gehört auch, das Land zu verlassen. Dazu braucht es den Art. 111 nicht, der in der Tat mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun hat.

        Wenn der Staat Grundrechte beschränken will, was bei Art. 2 möglich ist, braucht er dazu gute Gründe. Und genau das erscheint in diesem Fall nicht gegeben, da eine unangemessene Abwägung zwischen dem Grundrecht auf freie Entfaltung (welches hier ja nicht nur in Bagatellen eingeschränkt wird) und anderen Interessen des Staates vorgenommen wird.

  • Sie könnte doch einfach über ein Drittland nach Afghanistan reisen.

    • @Shane:

      Der Drittstaat sollte aber ein Land sein, dem die Entscheidungen eine deutschen Gerichts am A... vorbeigehen! Solche Länder gibt es zweifelsohne

    • @Shane:

      Nvm, aber das der Staat sogar den indirekten Weg verbieten kann, erscheint mir fragwürdig. Was will er machen? Zwangshaft anordnen?

      • @Shane:

        Afghanistan wird die Frau bei korrekter internationaler Rechtsanwendung nicht einreisen lassen, es ist also relativ egal, was das Drittland macht. Es ist bei Pässen übrigens der historische Normalfall, dass diese nur für einzelne Länder ausgestellt wurden.

      • @Shane:

        Ja, nennt sich Präventivhaft.

  • Interessant, was es alles gibt. Auch wie man mit diesem Staat in Konflikt kommen kann.

  • So etwas erinnert mich immer wieder daran, dass es in Deutschland kein Recht zur Ausreise gibt.

    Gehört mit zu den Dingen, die die Väter unseres GG vergessen oder für nicht erstrebenswert gehalten haben.

    • @pitpit pat:

      ...bzw. ihrer Schutzfunktion gegenüber ihren Staatsbürgern nachgekommen sind.

      • @Hans-Georg Breuer:

        Nachtrag: Ich wäre gespannt, wie Sie das grundsätzliche Recht zur Ausreise aufgrund der Schutzfunktion den Bürgern gegenüber ablehnen.

        So gesehen, müsste die DDR ja perfekt ihre Schutzfunktion ausgeübt haben. Gefällt Ihnen das besser?

        • @pitpit pat:

          Ich glaub, der Herr Breuer hat das sarkastisch gemeint.

           

          In der BRD ist der Bürger eben endlich nicht mehr Untertan - sondern Inventar.

      • @Hans-Georg Breuer:

        Klar, kann man so sehen. Ich persönlich möchte gerne als mündiger Mensch behandelt werden.

        Als solcher möchte ich entscheiden, wie ich mit meinem Leben umgehe. Selbstmord, Drogen, gefährliche Auslandsreisen: Mein Leben - meine Sache.

        Und ich möchte einen Staat, der mir diese Rechte auch zugesteht.

        • @pitpit pat:

          Man kann auf bestimmte Rechte nicht verzichten. Auch wenn man direkt in das Lager der Taliban/IS oder was da sonst noch rumkraucht reinläuft, muss die BRD versuchen, ihre Staatsbürger dann wieder auszulösen. Das kostet entweder viel Geld oder gefährdet das Leben von Soldaten, die dann den Befreiungsversuch starten. Das im Ansatz zu unterbinden, ist nicht unvernünftig.

        • @pitpit pat:

          Sie liegen falsch. Wenn ich erkenne, dass Sie im Begriff sind, einen Suizid zu begehen, muss ich im Rahmen meiner Möglichkeiten einschreiten, ob Ihnen das passt oder nicht.

          Man kann sich Gesetze nicht so hinbiegen, wie es grad passt.

          Zur Ablehnung: Lesen Sie den Text, da haben Sie die Begründung.