Sichere Herkunftsländer sind relativ: Deutsche darf nicht nach Afghanistan
Sybille Schnehage betreibt ein Hilfsprojekt in Kundus. Besuchen darf sie es aber nicht mehr: Die Bundesrepublik verbietet ihr die Ausreise.
Es ist ein neuer Ansatz in der Anti-Terror-Politik. Bisher sollten Reisebeschränkungen verhindern, dass islamistische Gefährder nach Syrien und Afghanistan ausreisen. Nun wird aber auch die Freiheit potenzieller Opfer eingeschränkt, um Gefahren zu vermeiden.
Sybille Schnehage leitet die Hilfsorganisation Katachel, die seit 1994 in der Provinz Kundus aktiv ist. Katachel hat dort schon 32 Schulen gebaut und über Tausend Brunnen und Brücken. Derzeit werden jährlich rund 140 Mädchen zu Näherinnen ausgebildet. 2003 erhielt Schnehage das Bundesverdienstkreuz, 2006 die Ehrendoktorwürde der Universität Kabul. 2013 schrieb Erfolgsautorin Hera Lind einen Roman über Schnehages Erlebnisse („Drachenkinder“).
Doch die Helferin war 2015 zum letzten Mal bei „ihren Leuten“ in Afghanistan. Denn im September 2016 wurde auf Betreiben des Auswärtigen Amtes und des Bundeskriminalamtes ihre Reisefreiheit beschränkt. In Schnehages Reisepass steht jetzt, dass sie weder direkt noch indirekt nach Afghanistan reisen darf. Schnehage kann es immer noch nicht fassen. „Ich muss doch vor Ort nach dem Rechten sehen, die Kontakte pflegen und Abrechnungen machen.“
Schnehage teilt die Sorge überhaupt nicht
Die Passbeschränkung wurde mit der Gefahr begründet, dass Schnehage in Afghanistan entführt werden könnte. In solchen Fällen richteten sich die Forderungen der Entführer vor allem an Deutschland als Herkunftsstaat. Weitere Reisen Schnehages nach Afghanistan gefährdeten deshalb „erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“. Die Beschränkung nach Paragraf 7 des Passgesetzes galt zunächst nur für ein Jahr, wurde inzwischen aber bis September 2018 verlängert.
Für Schnehage, so die Sicherheitsbehörden, bestehe nicht nur eine abstrakte Entführungsgefahr wie für alle anderen Ausländer in Afghanistan. Ein örtlicher Informant des Bundesnachrichtendienstes habe im Juli 2016 gemeldet, eine Islamistengruppe plane die Entführung einer blonden Frau, die ein Hilfsprojekt leite, bei dem unter anderem Schneiderinnen ausgebildet werden. Diese Warnung des überwiegend zuverlässigen Informanten begründe eine „konkrete Gefahr“.
Schnehage teilt die Sorge überhaupt nicht: „Der Gouverneur von Kundus garantiert persönlich für meinen Schutz, die Afghanen sind auf meiner Seite“, sagt sie. „Meine Leute vor Ort wissen genau, wenn es für eine Reise zu gefährlich ist, und dann reise ich auch nicht.“
Schnehage klagte gegen die Passbeschränkung. Beim Verwaltungsgericht Braunschweig hatte sie im April 2017 zunächst Erfolg. Zwar gingen auch die dortigen Richter von einer „erheblichen Gefährdung“ Schnehages aus. Doch die Belange der Bundesrepublik würden nicht von ihr, sondern von den möglichen Entführern gefährdet.
Missverhältnis von Militärausgaben kritisiert
Das sah das OVG Lüneburg anders. In einem jetzt veröffentlichten Urteil billigte es nach einer „wertenden passgesetz-spezifischen Gesamtbetrachtung“ die Reisebeschränkung. Falls Schnehage nach Afghanistan ausreise, bringe sie die „Ursachenkette“ einer möglichen Entführung in Gang. Der „Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr“ erlaube es, die Reisefreiheit des potenziellen Opfers zu beschränken. Schließlich könnten deutsche Behörden gegen potenzielle Entführer im Ausland nicht vorgehen.
Schnehage will gegen das Urteil auf jeden Fall Revision zum Bundesverwaltungsgericht einlegen. „Wenn die damit durchkommen, kann man durch halbwahre Behauptungen jedem die Reisefreiheit nehmen.“ Hinter der Entführungsdrohung könne ein ehemaliger Projektleiter von Katachel stehen, der im Gefängnis sitzt, weil er Hilfsgelder unterschlagen hat. Schnehage vermutet außerdem, dass sie sich bei der Bundesregierung unbeliebt gemacht hat, weil sie 2015 das Missverhältnis der Militär- und Entwicklungsausgaben in Afghanistan kritisierte.
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