piwik no script img

Selenskyj in BerlinAlles ist offen

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war zu Gast in Deutschland. Wie es weiter geht, beispielsweise mit Friedensverhandlungen, ist unklar.

Wie weit die militärische Hilfe Deutschlands tatsächlich geht, ist fraglich: Wolodymyr Selenskyj und Friedrich Merz Foto: Katharina Kausche/dpa

D eutschland hat zugesagt, die Ukraine beim Ausbau ihrer Luftabwehr zu unterstützen – ein begrüßenswerter Schritt. Angesichts der anhaltenden russischen Raketen- und Drohnenangriffe ist der Schutz ukrainischer Städte ein wichtiges Anliegen. Ob Deutschlands zugesagte Unterstützung für die Ukraine bei der Produktion weitreichender Raketen, gemeint sind auf Russland zielende Angriffswaffen, hilfreich ist, hingegen ist fraglich. Denn dieser riskante Schritt, der die aktuellen Vorbereitungen für Friedensverhandlungen unterminieren könnte, birgt viel Sprengkraft.

Doch Luftabwehr in den Großstädten allein reicht nicht aus. Der Blick muss auch auf die humanitäre Lage innerhalb des Landes gelenkt werden. Besonders dramatisch ist die Situation in der Region Sumy, wo sich eine humanitäre Katastrophe abzeichnet. Nach Angaben der örtlichen Zivilschutzbehörde wurden von dort bereits rund 8.000 Kinder aus über 200 Ortschaften evakuiert. Weitere 600 Kinder warten derzeit noch auf ihre Fahrt in sichere Gebiete. Ob neben den angekündigten sieben Milliarden Euro an Militärhilfe aus Deutschland auch Mittel für die Versorgung der Binnenflüchtlinge bereitgestellt werden, geht aus den Statements von Bundeskanzler Merz und Präsident Selenskyj leider nicht hervor.

Wie geht es also weiter? Erfreulich ist, dass in Berlin erneut die grundsätzliche Bereitschaft zu direkten Friedensverhandlungen betont wurde, lange Zeit war das keine Selbstverständlichkeit. Und es scheint tatsächlich Bewegung in den Verhandlungsprozess zu kommen. Selenskyj berichtete in Berlin von einem Telefonat des ukrainischen Verteidigungsministers mit dem Leiter der russischen Verhandlungsdelegation. Es ist durchaus möglich, dass es bereits in der nächsten Woche wieder russisch-ukrainische Gespräche gibt, der russische Präsident Wladimir Putin selbst hat Istanbul als erneuten Gesprächsort vorgeschlagen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Doch der Teufel steckt – wie so häufig bei diesen Fragen – im Detail: Wie wird die Ukraine auf die inakzeptable russische Forderung reagieren, vier ihrer Regionen abzutreten? Und wie steht sie zu Bedingungen wie einer Nato-Nichtmitgliedschaft der Ukraine, einem neutralen Status des Landes? Oder auch gegenüber dem Schutz der russischen Sprache? All das birgt nicht weniger Sprengkraft – und hängt vor allem an Putins Verhandlungsbereitschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Russland hat einen Verhandlungsort vorgeschlagen. Das zählt als "Vorbereitung von Friedensgesprächen" und sollte belohnt werden, indem der Ukraine Waffen verweigert werden.

    Die lästigen Details wie die inakzeptablen Forderungen und die Sicherheit einer reduzierten und 'neutralen' Ukraine hinterher kann man nun sicherlich schnell ausbaldowern.

  • Gerade hat Russland wieder einen diplomatischen Vorstoß zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine abgelehnt.

    Und jetzt?



    Haben Sie schon mal überlegt, dass Russland den Krieg vielleicht gar nicht beenden, sondern im Gegenteil, diesen Krieg gerne noch ausweiten möchte?

    Zumindest sagen dass die offiziellen Vertreter Russlands. Können sie mir einen Grund nennen, warum die Aussagen der offiziellen Vertreter Russlands nicht stimmen sollten?

  • Es gibt keine Verhandlungen, Herr Clasen. Zu den „Verhandlungen“ getauften Treffen kommen beide Seiten nur, weil sie, wie ein ukrainischer Kommentator treffend formuliert hat, „um die Kakerlaken in Trumps Hirn konkurrieren“.

  • "... der Teufel steckt (...) im Detail:



    Oder auch gegenüber dem Schutz der russischen Sprache?



    ==



    Wenn der Teufel im Detail steckt sollte man diese Details auch kennen:



    Beispiel Selenskyj, Präsident der Ukraine:

    Selenskyj ist russischsprachig wie die allermeisten Ukrainer aufgewachsen und hatte bis 2013 nie an einer besonderen Nähe zu Russland auch nur gezweifelt. Selenskyj war Mitglied einer beliebten und bekannten Theatertruppe die bis zu einem Jahr vor dem Angriff Russlands auch regelmässig in Moskau spielte und deren aufgeführte Stücke genauso wie im ukrainischen TV auch im russischen Fernsehen übertragen wurden. Niemand hatte bis 2013 die Absicht in der Ukraine anders als in der russischen Sprache zu kommunizieren - warum auch.

    Ab Ende 2013 wurde Selenskyjs Theatertruppe die Auffführungen in Moskau verboten - und die Demonstrationen auf dem Euromajdan nahmen bis dahin unbekannte Ausmasse an.

    Es gibt Filmaufnahmen die zeigen wie sich Selenskyj sehr mühsam die ukrainische Sprache aneignet - als Reaktion auf den russischen Angriff gegen die Ukraine 2014.

    Das Narativ der ""schützenswerten russischen Sprache"" in der Ukraine ist eine Übernahme von Putins Propaganda

  • Mir scheinen auch kurzfristige Erwägungen allzu sehr zu dominieren. Wenn man über den Krieg hinaus denkt, dann sollten doch zwei Dinge zentral sein: a) eine nachhaltige ökonomische Perspektive für die Ukraine jenseits einer von außen finanzierten Kriegswirtschaft und b) eine schrittweise Normalisierung unserer Beziehungen zu Russland. - Wenn jetzt aber Pläne verfolgt werden, die Ukraine sozusagen zur verlängerten Werkbank der deutschen und europäischen Rüstungsindustrie zu machen, so mögen damit einige Partikularinteressen bedient werden, aber weder einem Friedensprozess noch einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung des Landes dürfte damit gedient sein. (Siehe --> "Pfadabhängigkeit")

    • @Kohlrabi:

      ""---eine schrittweise Normalisierung unserer Beziehungen zu Russland.""



      ===



      1.. Wer ist ""unserer""?



      2.. Beziehungen der Bundesrepublik zu Russland nach der heissen Phase des kalten Krieges wurden möglich durch zunächst glaubhaft vertraglich abgesicherte Verträge zur friedlichen Koexistenz. Siehe Moskauer Vertrag (Anerkennung der Grenzen, friedliche Konfliktlösung etc) und vor allem durch die Vereinbarungen der KSZE ( Grenzen anderer Staaten zu achten, Streitfälle friedlich lösen, Menschenrechte zu wahren und sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.)

      Sämtliche Verträge dieser Art wurden von der Russischen Förderation einseitig gebrochen.

      3..Daraus erwachsen 2 Probleme:



      a.. Russland zeigt derzeit keine Absicht den Krieg gegen die Ukraine zu beenden & deren Souveränität zu achten. Zusätzlich führt Russland einen hybriden Krieg gegen eine Reihe von europäischen Ländern.

      b.. Russlands politische Glaubwürdigigkeit hat einen Totalschaden erlitten.

      Wie wollen sie Beziehungen zu einem Staat aufnehmen deren wahre Absichten dieser verschleiert und lediglich günstige Situationen abwartet um eigene Interessen mit Gewalt durchzusetzen?

      • @zartbitter:

        Zu 1.) Deutschland und die anderen Staaten der EU. Natürlich nicht Deutschland im Alleingang.

        Zu 2. und 3.) Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Verträge. Was Sie von der mangelnden Glaubwürdigkeit Russlands schreiben, ist nicht falsch. Aber wenn wir mal von Teufelsglauben absehen und rationales Handeln unterstellen, dann ist das die eine Seite eines massiv gestörten Vertrauensverhältnisses. Es kommt dem in der Spieltheorie als Extremfall beschriebenen Modell nahe, wo jede Seite von der anderen nur unkooperative Züge erwartet und deshalb selbst nur noch unkooperative Züge macht, wodurch jede Seite sich in ihrem Kooperationsunwillen immer wieder von neuem bestätigt fühlt. Das ist so eine Vendetta-Situation, die für beide Seiten schädlich ist und aus der man wohl nur wieder rauskommt, wenn eine Seite plötzlich doch wieder einen kooperativen Schritt macht. Idealerweise ist das die stärkere Seite, und das ist zweifellos der Westen Europas. - Vertrauen ist wohl eher die Voraussetzung von Verträgen, weniger deren Folge.

  • Der Kommentar knüpft wieder nahtlos an die Russlandversteher in der Ostpolitik-SPD der 70er an und glaubt, eine besonders tiefe devote Verbeugung vor dem Kreml und ein Verzicht auf jegliche Demonstration militärischen Verteidigungswillens würde uns dem Frieden ein gutes Stück näherbringen. Dummerweise stimmt es rein gar nicht. Empirisch ist nach drei Jahren Krieg leider das Gegenteil in tausenden Einzelbeispielen belegt. Die letzten Wochen waren wieder ein schlagender Beweis für die Falschheit dieser Annahme. Mehr Unterwerfung als Trump konnte man tatsächlich nicht aufbieten. Und das Ergebnis war eine nochmals explodierende Zahl von Dronenangriffen auf die Zivilbevölkerung in allen Großstädten.



    Richtig ist, dass wir viel mehr zum Schutz der Zivilbevölkerung tun müssen und Iris-Systeme und -munition zum Beispiel am Fließband produzieren müssen. Russland, das schon 40% seines Staatshaushalts direkt für den Krieg ausgibt, bezwingt man nur mit perfekter Logistik. Wohlfeile Unterwerfungsgesten aus der Ferne auf Kosten der malträtierten Ukrainer vor Ort helfen da gar nicht.

    • @hedele:

      "Richtig ist, dass wir viel mehr zum Schutz der Zivilbevölkerung tun müssen und Iris-Systeme und -munition zum Beispiel am Fließband produzieren müssen." Kann ich nur zustimmen. Man kann sich nicht vorstellen, dass wir immmer noch nicht in der Lage zu einer dichten Luftabwehr sind. Deswegen die explodierende Zahl von Drohnenangriffen. Denn dem Kreml ist es egal ob wir nicht können oder nicht wollen: Der Kreml muss weiter nicht fürchten, dass seine Angriffswaffen nutzlos verglühen.

    • @hedele:

      Vielen Dank, ich komme mir schon vor wie im Irrenhaus. Wie kann man als Journalist so unreflektiert Politikergerede wiedergeben? Vor allem nach den erst vor die Wand gefahrenen "Verhandlungen" in der Türkei?



      Oder als Kurzversion:



      Trump labert irgendwas von Friedensverhandlungen, erpresst sonst die Ukraine wie bereits geschehen.



      Russland will keine ernsthaften Verhandlungen, deswegen bomben sie weiter und freuen sich, das Trump ständig was anderes behauptet und die EU nicht wirklich zu Potte kommt



      Die Ukraine weiß, dass Putin keine Verhandlungen möchte und spielt mit weil sie sonst von Trump erpresst wird. (Kreis geschlossen)



      Die "Friedensfreunde" werfen Hinz und Kunz vor, dass man die Verhandlungen untergräbt. Warum nicht noch ein paar Großstädte an Putin abtreten, die Ukraine langfristig international isolieren und sie auch noch zwingen ihre Armee massiv zu verkleinern? Dann könnte der arme, gegängelte Putin endlich ruhig schlafen.



      Und die Journalisten machen wieder einen auf Gamechanger/ Ukraine kurz vor dem Kollaps/ nein Russland kurz vor dem Kollaps/ Atomkrieg/ plötzlich Friedensverhandlungen.



      Mehr Analyse, weniger Schlagzeilen wäre angebracht.

  • Ich glaube, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist.



    Die Erfahrung zeigt bisher, dass kein Land dieser Welt genug diplomatischen Einfluss auf Russland ausüben kann, bedingungslose Verhandlungen zu führen. Immer geht Russland auf Angebote zunächst ein, bringt dann aber Forderungen ins Spiel, die einer Kapitulation gleichkommen und die Ukraine für die Zukunft verwundbar macht.



    Also bleibt die andere Alternative. Die Ukraine so auszustatten, dass sie russische Industrie und Flugplätze/Depots tief im Hinterland treffen kann um den Preis des Krieges für Russland untragbar zu machen. Putin versteht nur Stärke. Trump berichtete von einem erfolgreichen Gespräch und einen Tag später erlebte die Ukraine die schwersten Angriffe seit Kriegsbeginn. Das lässt tief blicken auf putins Motivation, wenigstens einem Waffenstillstand zuzustimmen.