Seehofer-Video zu komplizierten Gesetzen: Paradebeispiel für Wählerverachtung
Gesetze müssten schön kompliziert sein, sagt der Innenminister. So gingen sie leichter durch. Überhaupt regt ihn das ewige Infragestellen mächtig auf.
Unser aller Innenminister mal wieder! Horst, der alte Schlawiner… In etwa so dürfte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer den Effekt eines Interviews mit dem ARD-Hauptstadtstudio vorgestellt haben. Tatsächlich aber sind diese 33 Sekunden Filmmaterial ein Paradebeispiel für WählerInnenverachtung. WählerInnen, das sind bekanntlich jene Leute, die PolitikerInnen ihre Stimme geben, weil sie davon ausgehen, von jenen ausdrücklich nicht für dumm verkauft zu werden. Horst Seehofer sieht das offenbar anders.
Den JournalistInnen gegenüber hat der CSU-Politiker das Zustandekommen des Gesetzespakets zu Migration und Zuwanderung erläutert, über das an diesem Freitag das Parlament abstimmt. Man müsse Gesetze nur ordentlich kompliziert machen, gab Seehofer da zu Protokoll, er habe während seiner Zeit als Bundesminister in Berlin nämlich folgende Erfahrung gemacht: „Dann fällt das nicht so auf. Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges. Auch Notwendiges wird ja oft unzulässig in Frage gestellt.“
Unzulässig in Frage gestellt? Im „Migrationspaket“ sind acht Gesetzentwürfe zusammengefasst, unter anderen das Geordnete-Rückkehr-Gesetz und das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz. Nebenbei gesagt: Lauter einfach zu verstehende Titel angesichts der komplexen politischen und rechtlichen Situation. Seehofers Ministerium hat aber auch noch das hoch umstrittene Datenaustauschgesetz in das abzustimmende Paket gepackt. Es sieht vor, dass Behörden in Zukunft leichter auf Daten aus dem Ausländerregister zugreifen können. Dort sind Informationen von mehr als zehn Millionen Menschen ohne deutschen Pass gespeichert, auch von Kindern.
Empfohlener externer Inhalt
Horst Seehofer wertet das parlamentarische Hauruckverfahren als schönen Erfolg. Sein Haus habe das Datenaustauschgesetz „stillschweigend“ eingebracht, brüstet er sich in dem Interview. Er muss selbst ein bisschen lachen, als er davon erzählt. „Wahrscheinlich deshalb stillschweigend, weil es kompliziert ist. Das erregt nicht so.“
Das sind Habitus und Wortwahl eines Politikers, der immer noch nicht begriffen hat, dass er es im 21. Jahrhundert mit einer nicht nur aufgeklärten, sondern auch interessierten Öffentlichkeit zu tun hat. Eines Politikers, der meint, man müsse die WählerInen nur ein bisschen zu ihrem Glück zwingen. Sie ein bisschen austricksen. Passt schon. Ja, Gesetzestexte sind kompliziert, sie werden von ExpertInnen aufgesetzt und verstanden. Aber nein, das heißt nicht, dass der verantwortliche Bundesminister sich einen ablachen darf, weil er seine KritikerInnen „stillschweigend“ ausgetrickst zu haben meint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen