Schwarz-Grün in Österreich: Fremdscham bei deutschen Grünen

Deutsche Grüne kritisieren ihre Pendants aus Österreich für Zugeständnisse an die Rechten. Die Parteifchefin sagt, das werde es in Deutschland nicht geben.

Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, spricht beim Bundesparteitag in Bielefeld 2019 vor der Darstellung einer Weltkugel.

Annalena Baerbock ist nicht begeistert von der Entscheidung der Ösi-Grünen (Archivbild Nov. 2019) Foto: dpa

HAMBURG taz | Eigentlich ist es bei den Grünen üblich, Regierungsbeteiligungen von ParteifreundInnen angemessen zu bejubeln. Bei der Koalition, die gerade in Wien zwischen der konservativen ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz und den österreichischen Grünen vereinbart wurde, ist es etwas anders.

Auf taz-Anfrage gehen die deutschen Grünen deutlich auf Distanz zur Ökopartei im Nachbarland. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte am Montagabend mit Blick auf den österreichischen Koalitionsvertrag: „So etwas wird es in Deutschland nicht geben.“

Auch Luise Amtsberg, in der Bundestagsfraktion für Flüchtlingspolitik zuständig, betonte: „Dieser Vertrag ist keine Blaupause für Deutschland.“ Und Erik Marquardt, deutscher Flüchtlingsexperte der Grünen im Europaparlament, sprach gar von einem „Armutszeugnis“. Harsche Worte über das 328 Seiten starke Papier, auf das Österreichs Grüne gerade sehr stolz sind. Dessen Geist brachte der neue alte Kanzler Kurz auf die prägnante Formel: „Es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“

Der Grund für die ungewöhnliche Kritik der deutschen Grünen ist das Kapitel zur Flüchtlingspolitik, das Österreichs Grüne unterschrieben haben. Wissend, dass die ÖVP auch die Option eines neuerlichen Bündnisses mit der rechtsextremen FPÖ hat, haben die Grünen weitgehende Zugeständnisse an Kurz gemacht.

Koalitionsfreier Raum beim Thema Asyl

Besonders brisant: Beide Partner haben einen „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“ vereinbart, der auf Seite 200 des Koalitionsvertrags erläutert wird. Er soll angewendet werden, wenn „besondere Herausforderungen“ entstehen, sprich: sehr viele Geflüchtete nach Österreich einreisen wollen.

Falls sich ÖVP und Grüne in einem solchen Fall über neue Gesetze nicht einig werden, sieht der Passus einen koalitionsfreien Raum vor. Dann kann jeder Koalitionspartner auf eigene Faust ein Gesetzesvorhaben in den Nationalrat, das österreichische Parlament, einbringen. Dem geplanten Gesetz könne „zugestimmt werden, auch wenn es ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten der Koalitionspartner gibt“, heißt es im Vertrag.

Nutzen kann die Option in der Praxis nur die ÖVP. Sie hat sowohl mit der SPÖ als auch mit der FPÖ eine Mehrheit, während die Grünen keine Mehrheit gegen die ÖVP zustande bringen können. Im Klartext: Die ÖVP kann gegen den Willen der Grünen härtere Asylgesetze mit der rechtsextremen FPÖ beschließen, ohne dass es zum Koalitionsbruch käme.

Dieser Freibrief verblüffte selbst langjährige Kenner österreichischer Politik. Der Passus sei ein „echtes Novum“, twitterte ORF-Anchorman Armin Wolf. Käme er zur Anwendung, wäre er für die Grünen mehr als peinlich. Sie stünden in der Regierung hilflos daneben, wenn die ÖVP ihre beinharte Asylpolitik mit der FPÖ einfach fortsetzen würde.

Blankoscheck für die ÖVP

„Man darf die Verantwortung für die Schwächsten nicht an Rechtsextreme delegieren“, sagte der deutsche Europaabgeordnete Marquardt. Europäische Flüchtlingspolitik werde aber zum Glück in Straßburg und Brüssel gemacht, nicht in Wien. „Auch wenn Herr Kurz gerne so tut, als sei es anders.“

Die Bundestagsabgeordnete Amtsberg ergänzte: „Der ÖVP einen Blankoscheck zu geben, Asylverschärfungen im Zweifel mit der rechtsextremen FPÖ durchs Parlament zu bringen, ist nicht nachvollziehbar und sehr gefährlich.“

Aber nicht nur dieser eine Passus stößt bei den deutschen Grünen auf Kritik. Das gesamte Kapitel „Migration und Asyl“ liest sich, als sei es von der ÖVP allein geschrieben. So stellen die Partner etwa fest, dass die Mechanismen zur Verteilung von Migranten und Asylbewerbern innerhalb der EU „gescheitert“ sind.

Auf einen solchen Verteilungsschlüssel setzt aber nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach wie vor. Auch die deutschen und europäischen Grünen tun es. Ebenso fordert die türkis-grüne Koalition den Schutz der österreichischen Binnengrenze, „solange der EU-Außengrenzschutz nicht lückenlos funktioniert“.

Hauptsache, Klimaschutz?

Amtsbergs Fazit ist eindeutig: „Inhaltlich verabschiedet sich der Vertrag leider vom Anliegen einer gemeinsamen, europäischen Asylpolitik.“ Es würden bewusst Ziele formuliert, die nicht umsetzbar seien. „Alle europäischen Außengrenzen lückenlos zu kontrollieren, ist real kaum umsetzbar.“ Eine gemeinsame, humane und europäische Asylpolitik an diese Bedingung zu knüpfen, führe folglich zu mehr nationalen Alleingängen.

Dass die österreichischen Grünen bei zentralen Themenfeldern unter die Räder kamen, liegt auch am Kräfteverhältnis in der neuen Koalition. Die ÖVP fuhr bei der Wahl im Oktober mit 37,5 Prozent ein starkes Ergebnis ein, die Grünen kamen nur auf 13,9 Prozent. Sie konzentrierten sich in den Koalitionsverhandlungen darauf, klimaschutzpolitische Forderungen durchzusetzen. Dafür räumten sie andere Felder komplett.

Baerbock bemühte sich, Verständnis für ihre Parteifreunde in Wien zu zeigen. Die Gespräche seien nicht einfach gewesen, sagte sie. Da sollten die Deutschen nicht diejenigen sein, die „schlaue Tipps von der Seitenlinie“ gäben.

Sie wies aber auch darauf hin, dass deutsche Grüne in einer Koalition mit der Union anders verhandeln würden. Sie hätten in den Jamaika-Sondierungen 2017 sehr deutlich gemacht, dass es am Ende nicht um Kohlekraftwerke oder Flüchtlinge gehe, sondern um Gestaltung in beiden Bereichen, sagte Baerbock. Die Grünen wollten die Breite der Themen spielen.

Durchaus flexibel

Mehrere Grüne, die man auf Österreich anspricht, sagen mit anderen Worten dasselbe: Ein Deal, in dem sich die Grünen ums Klima kümmerten, die Union aber um den Rest, sei ausgeschlossen.

Wahr ist aber auch, dass auch deutsche Grüne zu erstaunlicher Biegsamkeit fähig sind. In den Jamaika-Sondierungen hätten sie schmerzhafte Zugeständnisse unterschrieben. Sie wollten damals in der Flüchtlingspolitik den von der Großen Koalition ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Geschützte, meist Syrer, wieder einführen.

Im Gegenzug hätten sie die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr akzeptiert. Nur dass sie lieber nicht von einer Obergrenze sprachen, sondern von einem „atmenden Rahmen“.

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