Schutz des Verfassungsgerichts: Kein Ersatz für gute Politik
Von Union bis zu den Grünen herrscht Einigkeit über ein Verfassungsgesetz, das das höchste Gericht krisenfester machen soll. Das ist gut, reicht aber nicht.
N atürlich ist es richtig, Maßnahmen zu ergreifen, um staatliche Strukturen möglichst resilient gegen autoritäre Vereinnahmung auszugestalten. Nur wenigen Menschen in der Bundesrepublik ist bewusst, wie angreifbar tatsächlich auch unser System von Checks and Balances ist. Denn ein autoritärer Umbau ist nicht nur in Ungarn, Polen oder Israel möglich, sondern auch hier: Bei jetziger Rechtslage kann das Bundesverfassungsgericht mit einer einfachen Mehrheit ausgehebelt werden.
Eine neue Kammer könnte eingeführt werden, die dann von einer autoritären Regierung besetzt würde und mit einem neuen Geschäftsplan politisch heikle Verfahren zugeschustert bekommen könnte – eine entscheidende Institution des Rechtsstaats wäre lahmgelegt. So ist es zu begrüßen, dass von Union bis zu Grünen über Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz des Verfassungsgerichts diskutiert wurde und nun ein Kompromissvorschlag vorliegt.
Bei noch vorhandenem Verbesserungspotenzial zeigen damit sowohl Bundesregierung als auch demokratische Opposition, dass sie in Zeiten der autoritären Bedrohung von innen und außen im Sinne der Demokratie und seiner Institutionen zusammenarbeiten können – trotz inhaltlicher Differenzen im Tagesgeschäft. Das tut parallel zu dysfunktionalem Ampelstreit und rassistischen Entgleisungen von CDU-Chefs auch mal ganz gut.
Aber: Allein mit neuem Verfassungsrecht lässt sich die Demokratie nicht retten. Dass das Bundesverfassungsgericht nun sturmfester gemacht wird, darf nicht zu einem Entlastungsdiskurs führen. Zumal bei den Landtagswahlen im Osten erhebliche Disruptionen bevorstehen könnten und man es etwa in Thüringen nicht hinbekommen hat, Sicherheitsmechanismen einzuführen. Von den bröckelnden Brandmauern zur extrem rechten AfD auf kommunaler Ebene ganz zu schweigen.
Mit Gerechtigkeit gegen Rechtspopulismus
Dagegen braucht es nicht nur mehr Unterstützung für eine starke Zivilgesellschaft, vor allem dort, wo Grundwerte besonders attackiert werden, sondern auch gute Politik. Es braucht keinen Überbietungswettbewerb bei der Übernahme rechtsextremer Forderungen, sondern einen halbwegs anständigen Wettstreit über Probleme wie Wohnungsnot, Klimakrise und eine kaputtgesparte Infrastruktur.
Deutlich besser als eine Verfassungsreform würde gegen den Aufschwung autoritärer Kräfte eine Abkehr von neoliberaler Sparpolitik helfen, die in multiplen Krisenlagen wie ein Katalysator für den Rechtsruck wirkt und soziale Verteilungskämpfe verschärft, die zusätzlich durch eine Normalisierung von rechtsextremen Positionen rassistisch aufgeladen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!