Schuldspruch gegen Josef S. in Wien: Ein Zeuge reicht

Trotz dürftiger Beweislage spricht ein Wiener Gericht den Jenaer Student Josef S. schuldig. Er soll Rädelsführer bei antifaschistischen Protesten gewesen sein.

Darf trotz Schuldspruch nach sechs Monaten U-Haft nach Hause: Josef S. am Dienstag im Wiener Gericht. Bild: dpa

WIEN taz | Schuldig des Landfriedensbruchs, der schweren Sachbeschädigung und der versuchten schweren Körperverletzung. So lautet das Urteil des Wiener Schöffensenats nach einem umstrittenen Indizienprozess am Dienstagnachmittag. Der Jenaer Student Josef S. darf trotzdem nach Hause fahren. Denn von den zwölf Monaten Freiheitsstrafe hat er sechs bereits in Untersuchungshaft abgesessen. Acht Monate wurden wegen der Unbescholtenheit des Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt. Der 23-Jährige hatte am 24. Januar an der traditionellen Demos gegen den rechten Burschenschafterball in der Wiener Hofburg teilgenommen.

Die Verurteilung basiert auf einer einzigen Zeugenaussage eines Polizisten in Zivil, der sich unter die Demonstranten gemischt hatte. Mehreren Dutzend weiterer Zeugen, darunter Polizisten, Müllmänner und Journalisten, war der Angeklagte nicht aufgefallen „Natürlich ist eine Aussage ein schwaches Beweismittel, aber man muss auch auf Zeugen bauen können“, rechtfertigte sich der Richter. „Wir leben Gottseidank in keinem Überwachungsstaat, wo jeder Beamte eine Kamera hat, wo Drohnen herumfliegen.“

Für den Richter ist das gesamte Verhalten des Angeklagten belastend. Er sei in vorderster Linie dabei gewesen, als Schaufenster zertrümmert und Polizisten attackiert wurden. „Warum reist jemand an, der nichts Böses im Schild führt, der ein deutsches Handy hat, und besorgt sich hier eine österreichische Sim-Karte?“, fragt der Richter.

Vor dem Landesgericht in Wien standen schon vor Beginn der Verhandlung SympathisantInnen und Freunde aus Wien und Jena. Wolfhart Pröhl, 59, hielt ein Transparent des Aktionsnetzwerks gegen Rechts aus Jena: „Antifaschismus ist notwendig.“ Der Mathematiker wurde von den Eltern des Angeklagten angesprochen, eine Unterstützergruppe aus dem bürgerlichen Lager zu organisieren. Er kennt Josef S. als „besonnenen, netten und harmlosen Menschen“.

Tummelplatz für Europas Rechte

Josef S. war im Januar mit einer Gruppe Antifaschisten aus Leipzig und Jena angereist, um gegen die Veranstaltung zu demonstrieren. In vergangenen Jahren war der sogenannte Akademikerball, der von der rechtspopulistischen FPÖ veranstaltet wird, ein Tummelplatz für europäische Rechtsextremisten. Jedes Jahr wird dagegen protestiert. Immer wieder gipfelten die Demonstrationen in heftigen Zusammenstößen mit der Polizei. Dieses Jahr ließen vermummte Randalierer ihre Wut an Schaufenstern von Boutiquen aus, attackierten Polizisten, die ihnen den Weg versperren wollten und demolierten die Scheiben einer Polizeiinspektion in der Innenstadt mit Steinen, Latten und Verkehrsschildern.

Dass Josef S. mit Feuerwerkskörpern und Pflastersteinen auf Polizisten losgegangen sei, wie die Staatsanwaltschaft behauptete, ist für Pröhl unvorstellbar. Und dass er als Rädelsführer des Schwarzen Blocks aufgetreten sei, kostet den Aktivisten nur einen Lacher. Jeder, der sich mit der autonomen Szene nur ein bisschen auskenne, wisse, dass da keine Anführer geduldet würden.

Von mehreren hundert Festgenommen während der Krawallnacht wurde einzig Josef S. in Gewahrsam behalten. Dass sämtliche Enthaftungsanträge abgelehnt und der bisher unbescholtene Student wegen „Verdunkelungsgefahr“ und „Tatbegehungsgefahr“ ein halbes Jahr in Untersuchungshaft sitzen musste, ist ungewöhnlich. Auch konservative Juristen kritisieren die Unverhältnismäßigkeit.

Die Anklage stützte sich auf die Aussage eines einzigen Polizisten, der sich in wesentlichen Punkten selbst widersprach. Er hatte sich in Zivil und mit Vermummung unter die Demonstranten gemischt und wurde selbst festgenommen. Seine Beobachtung, dass Josef S. Mülleimer aus der Verankerung gerissen und auf Polizisten geschleudert habe, konnte von keinem weiteren Zeugen bestätigt werden.

Indizien reichten aus

Der fast zwei Meter große Josef S. unterschied sich von den Mitgliedern des Schwarzen Blocks dadurch, dass er nicht rein schwarz gekleidet war, sondern auf dem Rücken seines Sweatshirts die gelbe Aufschrift „Boykott“ trug. Er war also eine auffällige Erscheinung. Dennoch konnte sich keiner der zahlreichen Polizisten, die in den Zeugenstand gerufen wurden, an ihn erinnern. Ein Fotograf, der über 700 Bilder von der Demo schoss, fand ihn auf keinem einzigen Foto.

Eine Expertin für Pyrotechnik fand auf dem rechten Handschuh des Angeklagten Schmauchspuren, die von einer Feuerwerksrakete oder bengalischem Feuer stammen könnten. Sie könnten aber auch von einem Mülleimer stammen, den Josef S. aufgerichtet hat. Dass er einen am Boden liegenden Kübel aufgestellt hat, ist durch ein Video des ORF belegt. Dass er den dann als Wurfgeschoß missbrauchte, wie der einzige Belastungszeuge behauptet, nicht. Dem Staatsanwalt reichten die spärlichen Indizien trotzdem. Allerdings reduzierte er den Strafantrag von fünf auf drei Jahre.

Josef S. zog es vor, zu den Vorwürfen zu schweigen und bekannte sich nicht schuldig. Seine Verteidiger Clemens Lahner aus Wien und Kristin Pietrczyk aus Jena plädierten auf Freispruch. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Rechtsmittel. Die Verteidigung macht von der Bedenkzeit Gebrauch. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.

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