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Schuldenbremse-Debatte in UnionDie Bredouille um die Bremse

Selbst die Union und Kanzlerkandidat Merz debattieren jetzt über die Reform der Schuldenbremse. Wie realistisch sind die möglichen Varianten?

„Man kann über die Schuldenbremse reden, aber nicht, indem man nur die Ausgaben einfach erhöht“, meint Friedrich Merz (CDU) Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Die Union diskutiert über die Schuldenbremse. Altkanzlerin Angela Merkel plädierte dieser Tage für die Lockerung der Regel im Grundgesetz, die während ihrer Regierungszeit 2009 beschlossen wurde. Sehr viel zurückhaltender äußert sich Friedrich Merz, der im kommenden Jahr Bundeskanzler werden möchte. Welche Bedeutung hat die Bremse für die künftige Politik – und welche Art von Lockerung wäre jetzt möglich?

Die Schuldenbremse funktioniert grundsätzlich so, dass sich der Bund normalerweise nur mit 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr neu verschulden darf. Den Ländern ist Verschuldung grundsätzlich verboten. Läuft die Wirtschaft aber schlecht wie zur Zeit, ist der Spielraum größer. Und in „außergewöhnlichen Notsituationen“ sind Ausnahmen erlaubt.

Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine sei nun aber eine „völlig neue Situation“ entstanden, sagte Merkel, als sie jüngst ihre Memoiren vorstellte. Deswegen „werden wir mit den Investitionen, die wir uns im Rahmen der Schuldenbremse leisten können, für eine bestimmte Zeit nicht auskommen“. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Merz lehnt solche Überlegungen dagegen ab, zumindest kurzfristig. „Das kann ich definitiv ausschließen“, antwortete er auf die Frage nach der Möglichkeit einer schnellen Reform. Und auch FDP-Chef Christian Lindner pocht eisern auf die Schuldenbremse.

Dem Bund stehen hohe Ausgaben bevor

Die Debatte findet aktuell statt, weil die Koalition aus SPD, Grünen und FDP gerade an der Schuldenbremse zerbrochen ist und die nächste Regierung – eventuell mit Merz an der Spitze – vor ähnlichen finanziellen Herausforderungen stehen dürfte. Denn die Lage sieht so aus: In den nächsten Jahren kommen auf den Bund, aber auch die Länder hohe Ausgaben zu, die mit den gegenwärtigen Haushalten schwer zu bewerkstelligen sind.

Dabei geht es um Aufwendungen für die Ukraine, die Bundeswehr und die Nato, die aus dem existierenden Sondervermögen und dem Bundeshaushalt nicht zu leisten sind. Hinzu kommen weitere Notwendigkeiten: Milliarden Euro für die Sanierung der Infrastruktur etwa bei der Bahn AG, Subventionen für hiesige Unternehmen angesichts der verschärften internationalen Konkurrenz und Mittel für die Klimapolitik. Die Größenordnung beläuft sich auf 50 bis 100 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

In einem Bundeshaushalt von knapp 500 Milliarden Euro sind solche Summen kaum zu stemmen. Denn entsprechende Kürzungen im Sozialetat, beim Bürgergeld oder der Rente sind mit der SPD, die der nächsten Bundesregierung wohl wieder angehören wird, nicht zu machen. Und deutliche Steuererhöhungen will weder die Union, noch passen sie zur gegenwärtigen ökonomischen Stagnation.

Ausrufung einer Notlage?

Mehr Schulden wären daher ein Schlupfloch. Eine Variante dafür bietet die in der Schuldenregel enthaltene Notfallklausel. „Nach Artikel 115 des Grundgesetzes könnte der Bundestag mit absoluter Mehrheit jetzt eine Notlage ausrufen“, erklärte Achim Truger, der als Mitglied der Wirtschaftsweisen die Regierung berät. Dieser Weg ließe sich damit begründen, dass der russische Angriff eine finanzielle Sondersituation geschaffen hat. Wobei Ökonom Jens Südekum, Berater des Wirtschaftsministeriums, einschränkte: „Die Notlage auszurufen, setzt einen gültigen Bundeshaushalt voraus.“ Für 2024 wäre das noch der Fall, doch das Jahr ist fast vorbei. Und „für 2025 müsste erst einmal ein Haushalt beschlossen werden“, so Südekum.

Wie realistisch ist diese Variante? Um sie schnell zu beschließen, bräuchte die rot-grüne Minderheitsregierung, die von der Ampel übrig geblieben ist, die Unterstützung der Union. Darauf haben CDU und CSU wenig Lust, weil sie eine Regierung am Leben hielten, die sie ablösen wollen. Andererseits könnte sich die Lage in der Ukraine verschärfen und zusätzliche Milliardenhilfe nötig werden. Und vielleicht ist die Union kompromissbereiter, wenn der amtierende Kanzler Olaf Scholz am 16. Dezember die Vertrauensfrage im Bundestag verliert, der Machtwechsel damit in greifbare Nähe rückt. Die Notlage festzustellen, bleibt aber auch eine Möglichkeit für die neue Regierung in der Zeit nach der Bundestagswahl.

Die zweite Variante besteht darin, den Artikel 115 des Grundgesetzes zu ändern. „Für eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse jenseits der Notlage, etwa einen Fonds oder ein Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat“, sagte der Wirtschaftsweise Truger. Das „ließe sich jetzt oder Anfang des kommenden Jahres anschieben“, pflichtete Ökonom Südekum bei.

Nach der Neuwahl könnten AfD und BSW mit einer Sperrminorität eine Reform verhindern

Zu dieser längerfristigen Lösung sagte Merz: „Es liegen Vorschläge vor. Die sind zum Teil nicht schlecht.“ Und fügte hinzu: „Man kann über die Schuldenbremse reden, aber nicht, indem man nur die Ausgaben einfach erhöht.“ Der CDU-Chef plädiert für parallele Ausgabenkürzungen, etwa beim Bürgergeld. Seine Bereitschaft, über diese Variante immerhin nachzudenken, mag daher rühren, dass Länder mit Unionsregierungen ebenfalls in der finanziellen Bredouille stecken. Nicht nur der Bund leidet unter Geldmangel.

Allerdings ist, worauf Truger hinwies, für die grundsätzliche Reform der Schuldenbremse die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit nötig. Noch wäre diese vorhanden. Aber was geschieht nach der Bundestagswahl, wenn etwa FDP und Linke an der Fünfprozenthürde scheiterten, wodurch AfD und BSW auf über ein Drittel der Bundestagssitze kommen könnten? Dieses Argument spräche dafür, die Reform einzutüten, solange es noch möglich ist.

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16 Kommentare

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  • Zitat: "Die Notlage festzustellen, bleibt aber auch eine Möglichkeit für die neue Regierung in der Zeit nach der Bundestagswahl."

    Eben nicht, weil die bekanntlich ohne einen beschlossenen Haushalt starten wird.

    • @dtx:

      Natürlich wird die nächste Regierung ohne Haushalt 2025 starten. Muss sie wohl, sofern nicht bis dahin ein Wunder geschieht. Aber das hält sie doch sicherlich nicht davon ab, diesen sofort aufzustellen und hoffentlich wirksam in Kraft zu setzen. Und dann steht wohl einem weiteren Procedere diesbezüglich nichts im Wege.

  • "Den Ländern ist Verschuldung grundsätzlich verboten."



    Vielleicht bald "war", denn:



    "Lockerung der Schuldenbremse für Länder "diskutabel"



    Stand: 25.11.2024 08:50 Uhr



    Die Debatte über die Schuldenbremse geht weiter: Unionsfraktionsvize Middelberg zeigt sich bereit, eine Lockerung für die Bundesländer zu diskutieren. Für die gilt bislang ein absolutes Verschuldungsverbot."



    Quelle tagesschau.de



    Hieß ja auch schon Zeitenwende...

  • "Dieses Argument spräche dafür, die Reform einzutüten, solange es noch möglich ist."



    Das wird nicht passieren. Da würde ja Vernunft einziehen, in den Merz'schen/Söder'schen Denkapparat.



    Und dann würde denen ihr "Innerer Trump" implodieren .



    Dann lieber weiter lügen, hetzen...noch eine Legislaturperiode regieren, einmal Kanzler sein und wenn dann 2029 AFD & BSW den ganzen Pleitebetrieb liquidieren und an Putin verscherbeln: Ab zu Black Rock in Trumpistan.



    Es wird Nacht über der Welt.

    • @Schytomyr Shiba:

      Zitat. "Das wird nicht passieren. Da würde ja Vernunft einziehen, in den Merz'schen/Söder'schen Denkapparat."

      Solange sie nur in der Opposition sitzen, verlangt das ja keiner. Nun ist die erste Euphorie verflogen und man merkt, daß die Säge am Stuhl des Kanzlers zur Unzeit gegriffen hat.

      Zitat: "Dann lieber weiter lügen, hetzen...noch eine Legislaturperiode regieren, einmal Kanzler sein ..."

      Läuft nicht. Die Konten sind leer. In Dresden ist die Carolabrücke eingestürzt, obwohl nicht mal ein Vogel auf dem Geländer saß. Und das ist nur eine von ein paar Tausend, von denen auch etliche auf der Tasche des Bundes liegen. Auch was aus den Bundeswehr-Beständen in die Ukraine geschickt wird, muß ersetzt werden. Es gibt genügend Löcher, auf deren Füllung nicht mehr gespart werden kann. Die Zeit ist auch vor Scholz nicht mehr dagewesen.

      • @dtx:

        Japp.

  • Wir könnten es ja mit Wirtschaftswachstum versuchen. Jedes 0,5% mehr bringt 10 Mrd mehr Steuern ein. Wäre das nicht ne Idee?

    • @GregTheCrack:

      Das dürfte wohl recht schwierig werden. Ich vermute, dass Habeck schon seit längerem darüber brütet. Aber schwieriger wird es wohl werden, die dafür benötigten Mehrheiten zusammenkratzen. Wahlkampf setzt bekanntlich so einiges an dringend notwendiger Vernunft außer Kraft.

  • Ist die taz jetzt völlig visionslos?



    "Und deutliche Steuererhöhungen will weder die Union, noch passen sie zur gegenwärtigen ökonomischen Stagnation"



    ???



    Welchen Schaden würde es hervorrufen die massive Steuerflucht multinationaler Konzerne zu verhindern?



    Warum dürfen Umsätze (apple umd Konsorten) die in Deutschland gemacht werden



    a) durch sog. "intellectual property fees" durch real "Selbstbesteuerung" durch Konzerntöchter in Steueroasen kleingerechnet und



    b) diese Gewinne dann auch noch in Steueroasen (Irland!) versteuert werden?



    Gewinne (die wirklichen!) die in Deutschland verdient werden müssen auch hier versteuert werden.



    Dann kommt viel Geld rein, was wir dringend brauchen!

    • @So,so:

      Weil sonst die Umsätze doppelt besteuert werden. Und das ist unzulässig und auch gar nicht wünschenswert. Sowohl in Deutschland wie auch Irland um mal das Beispiel Apple zu nehmen.



      Für Deutsche Firmen gilt es allerdings umgekehrt genauso. Die Umsätze die VW in China und dem Rest der Welt macht, die werden in Deutschland versteuert.

      Sollte Deutschland die Doppelbesteuerungsabkommen aufkündigen dann Willkommen in der Steinzeit.

  • Wie auch im dazugehörigen Interview mit Sigl-Glöckner wirkt die Debatte um die Schuldenbremse von aussen irgendwie unterkomplex. Das sie für alle schlecht ist, wusste jeder nicht-deutsche Ökonom spätestens schon als Lindner sein Ministerium bekam und dass Schulden ein Fass ohne Boden sind, jeder Antikapitalist spätestens seit Graeber.



    Das mit der sogenannten Zeitenwende seit Februar 22 sich das alles auf den Kopf stellt hat wohl nichtmal Scholz geglaubt, ein Mittelweg bei dem der Sozialstaat mal nicht leidet, eine naheliegende logische Lösung für alle deren Rationalität sich nicht Richtung Trump bewegt.



    Aber hej, bleiben wir halt realitätsverleugnend und ignorieren, dass wir längst im Krieg sind, auch ohne Soldaten/Schiffe/Flugzeuge zu schicken. Inflation, Lebensmittel-/Fachproduktknappheit und Cyberhacks sind da etwa Beispiele für.

  • Ach nee, Merkel ist also für eine Aufhebung der Schuldenbremse. Merkel hat natürlich den totalen Überblick, wie ihre Entscheidungen zum Thema Bundeswehr (Verschrottung von 1500 Leos und 4000 Mardern und ein paar hundert Geparden die wir heute alle sehr gut brauchen könnten), Migrationskrise, Russlandpolitik, Nordstream 2 usw gezeigt haben.

    Meine Güte, wer diese Dame als Unterstützung heranzieht dem fehlen wirklich gute Argumente. Und was Merz angeht: mitr dieser Diskussion fördert er mal wieder die AfD, aber das scheint er (genau wie Merkel) nicht negreifen zu können.

  • Schon klar: Der aktuellen Regierung alles blockieren und sie als Versager dastehen lassen und dann selbst aus dem Vollen schöpfen und sich als Held feiern lassen. Exakt, was ich von der Union erwarte.

    • @Yemaya:

      Normaler Politikbetrieb. Hat die SPD in den Jahren 1996 - 1998 mit ihrer Mehrheit im Bundesrat auch gemacht um Kohl zum taumeln zu bringen und nach seiner Abwahl eine Politik zu betreiben, die alles in den Schatten stellte, was an Unsozialem bisher möglich war.

      • @Tom Tailor:

        Kleiner, aber feiner Unterschied: Damals war fetter Frieden. Heute ist Krieg. Das haben die meisten nur noch nicht begriffen: Putin macht es nach dem Prinzip "Frösche kochen, in dem man das Wasser ganz langsam erhitzt - dann bleiben die brav im Topf". Hätte die Union auch nur ein Prozent des "Patriotismus" , den sie vorgibt zu haben, hätten wir längst eine Regierung der nationalen Einheit mit den anderen demokratischen Parteien, die Schuldenbremse wäre im Museum für ökonomische Dummheit und die von Arbeitslosigkeit bedrohten VW - Arbeiter würden Granaten für die Bundeswehr drehen.

        • @Schytomyr Shiba:

          Granaten drehen? Für wen? Ich habe nicht den Eindruck das unsere gegenwärtige Rüstungsindustrie nicht in der Lage ist den Bedarf der Bundeswehr an Munition zu decken.

          Stichwort Schuldenbremse: diese wurde bereits aufgrund des Angriffskrieges Russlands umgangen, 100 Mrd "Sondervermögen" standen wie aus dem Nichts auf einmal zur Verfügung. Ich wüsste nicht wie man einen solchen Coup noch einmal hinlegen könnte - eine dauerhafte Aussetzung der Schuldenbremse um die deutsche Wirtschaft auf Tiefenrüstung umzustellen, das wird sicher nicht machbar sein.