Scholz und Biden besuchen Israel: Zwischen Solidarität und Diplomatie
Israel hat das Recht, sich zu wehren, betont Kanzler Olaf Scholz in Tel Aviv. US-Präsident Biden wählt mahnende Worte vor seinem Besuch am Mittwoch.
Scholz ist unter den ersten Staatschefs, die Israel seit dem tödlichen Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober besuchen. Es ist eine Ouvertüre für den weitaus wichtigeren Gast, der einen Tag später in Israel landet, US-Präsident Joe Biden. Für Mittwochmorgen ist Scholz in Ägypten mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi verabredet.
Nach ihrem Gespräch am Dienstag traten Scholz und Netanjahu in einem bunkerähnlichen Raum des Verteidigungsministeriums vor die Presse, Fragen von Journalisten waren jedoch nicht zugelassen. Netanjahu, der innenpolitisch schwer angeschlagen ist, hat seit dem Angriff der Hamas weder Interviews gegeben noch öffentlich Fragen beantwortet. Die Hamas gehöre zur Achse des Bösen, die von Iran über die Hisbollah reiche und die den Staat Israel auslöschen wolle, sagte Netanjahu, ganz in schwarz und sichtlich abgekämpft.
„Das Ziel der Hamas ist es, israelische Juden zu töten. Und sie hätten uns alle getötet, wenn sie gekonnt hätten.“ Stattdessen töteten sie 1.300 Zivilisten. „Dass so etwas nicht noch einmal passiert, das ist unser gemeinsamer Kampf“, wandte sich der Ministerpräsident an Scholz. „Es muss jetzt gestoppt werden, sonst wird es auf die gesamte Welt übergreifen.“ Es komme nun auf die Solidarität der zivilisierten Welt an. „Wir schätzen es, dass Sie hergekommen sind, um an unserer Seite zu sein“, sagte Netanjahu und blickte zu Scholz.
Der wiederholte, was er schon im deutschen Bundestag gesagt hatte: in diesen schwierigen Zeiten kann es für Deutschland nur einen Platz geben, an der Seite Israels. Im Hintergrund heulte eine Sirene. Scholz stärkte Netanjahu für die erwartete Bodenoffensive den Rücken. „Der brutale Terror, die Hinrichtung wehrloser Bürger, die Ermordung von Säuglingen, die Verschleppung von Männern, Frauen und Kindern, die Zurschaustellung von Holocaustüberlebenden, all das lässt uns das Blut in den Adern gefrieren.“ Es sei völlig klar: Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen diesen Terror zu wehren.
Scholz trifft Angehörige
Man teile auch die Sorge um die Verschleppten, darunter deutsche Staatsbürger. Scholz trifft ihre Angehörigen am Abend in Tel Aviv unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Doch vor der Botschaft stehen Angehörige und Freunde und warten schon auf den Bundeskanzler. Sie tragen mit Schilder mit Fotos der der Geiseln. Kleine Mädchen sind darunter, ältere Menschen und auch Shani Louk, die 22-jährige Tattookünstlerin, die während des Festivals verschleppt wurde. „Wir bekommen kaum Informationen. Wir wollen, dass sie medizinisch versorgt wird, wir wollen sie zurück“, sagt Shani Cohen. Sie ist eine von mehreren Freundinnen, die die Vermisste Shani seit ihrer Kindheit kennen.
Auch Cousins von Shani sind gekommen. „Wir vertrauen unserer Regierung nicht mehr, wenn einer helfen kann, dann Scholz“, sind sie überzeugt. „Das Schrecklichste ist die Ungewissheit. Nicht zu wissen, wie es ihr geht“, sagt Shanis Mutter Ricarda Louk. Sie weiß, dass ihre Tochter am Leben ist, dass sie verletzt ist, wahrscheinlich schwer. Seit 1993 lebt sie in Israel, hat drei weitere Kinder hier. Deshalb würde sie Israel auch nicht verlassen, auch wenn die Lage gerade fürchterlich sei.
Empfohlener externer Inhalt
Während des Gesprächs ertönt zweimal Luftalarm, die Menschen vor der Botschaft und im Foyer lassen sofort alles liegen und begeben sich im Eilschritt in zwei enge, stickige Schuträume. Ricarda Louk lächelt müde. „Das ist jetzt unsere schreckliche Realität.“
Scholz warnt Iran und die Hisbollah
Bei seinem Besuch sendete Scholz zudem eine Warnung an den Iran und die Hisbollah: „Kein Akteur sollte es für eine gute Idee halten, von außen in den Konflikt einzugreifen. Es wäre ein schwerer, ein unverzeihlicher Fehler.“
Der deutsche Kanzler nutzte aber auch die Gelegenheit, Israel zwischen den Zeilen an die Einhaltung des Völkerrechts zu erinnern. Israel und Deutschland verbinde, dass sie Rechtsstaaten seien. „Unser Handeln fußt auch in extremen Zeiten auf Recht und Gesetz.“ Beim letzten Besuch Netanjahus in Berlin hatte Scholz noch die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien kritisiert, aber das scheint gerade sehr, sehr weit weg. Es sind besondere Zeiten. Das zeigte auch der Satz, den Scholz am Schluss sagte: „Jüdisches Leben in Deutschland ist ein Geschenk. Jüdische Einrichtungen werden geschützt.“
Eigentlich seit 78 Jahren eine Selbstverständlichkeit. Scholz bekräftige auch, dass man den Menschen im Gaza schnellstmögliche humanitäre Hilfe zuteil werden lassen wolle und habe auch mit Netanjahu über einen humanitären Zugang geredet. Anders als die Hamas wolle man Zivilisten schützen. Netanjahu konterte diese Bemerkung, die auch als Mäßigung verstanden werden konnte, mit dem Hinweis, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutze und sie aktuell am Verlassen von Gaza-Stadt hindere. „Sie töten Zivilisten und benutzen sie als Schutzschilde und begehen damit ein doppeltes Kriegsverbrechen.“
Wie geht es nach einer möglichen Bodenoffensive weiter?
Der Besuch des Bundeskanzlers fällt mit den Vorbereitungen der israelischen Armee für eine Bodenoffensive in Gaza zusammen. Israel hatte angekündigt, die Hamas zu zerstören. Die Angst, dass dabei aber auch sehr, sehr viele Zivilisten und die verschleppten Geiseln sterben könnten, ist groß. Im Raum steht aber auch die Frage, wie es danach weitergeht. Israel hat bislang nicht erklärt, was passiert, wenn die Strukturen der Hamas zerschlagen sind, wer Gaza dann verwalten und wer dort wohnen soll.
Obwohl Scholz auch vor seinem Besuch noch einmal betonte, dass Israel jedes Recht habe, sich zu verteidigen, werden die Sorgen der Angehörigen um das Leben ihrer Liebsten sicher nicht ohne Eindruck auf den Kanzler bleiben. Auch US-Präsident Biden rät Israel zur Vorsicht. In einem Interview mit dem US-Sender CBS warnte er vor einer erneuten Besatzung des Gazastreifens und betonte, dass die Hamas „nicht das gesamte palästinensische Volk“ repräsentiere. Zwar müsse die extremistische Organisation vollständig zerstört werden, doch er sagte zugleich: „Es muss einen Weg zu einem palästinensischen Staat geben.“
John Kirby, Sprecher des Weißen Hauses
Um das Leben der Geiseln und der Menschen in Gaza zu retten und zu verhindern, dass ein neuer Zyklus von Gewalt die ganze Region in den Abgrund reißt, scheut Scholz auch nicht den Austausch mit Despoten. Vorzugsweise mit solchen, die gute Kontakte zur Hamas haben, wie eben Ägyptens Staatschef al-Sisi.
In der vergangenen Woche bewirtete der Kanzler zudem den Emir von Katar zum Mittagessen. Bevor er sich am Dienstag nach Israel aufmachte, empfing Scholz den jordanischen König Adullah II bin al-Hussein zum Frühstück im Kanzleramt. Nach dem Treffen mit König Abdullah erklärte Scholz, beide Länder verfolgten das Ziel, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern. Er warnte im Beisein König Abdullahs erneut „ausdrücklich die Hisbollah und den Iran, nicht in den Konflikt einzugreifen“.
US-Präsident Biden verfolgt ähnliche Ziele, hat aber als auch militärisch wichtigster Partner Israels ungleich mehr Gewicht. Um der Forderung an Hisbollah und den Iran Nachdruck zu verleihen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, haben die USA bereits zwei Flugzeugträgerkampfgruppen und Kriegsschiffverbände ins östliche Mittelmeer gesandt – von dort aus könnten Hisbollah-Stellungen im Libanon genauso erreicht werden wie Ziele im Iran selbst.
US-Expert*innen warnen vor Bodenoffensive
Bidens Außenminister Antony Blinken ist schon seit Tagen in einem diplomatischen Flugmarathon in der Region unterwegs. Sein Ziel: Den Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten für die Hilfslieferungen nach Gaza in der einen Richtung und für die Ausreise US-amerikanischer Staatsbürger*innen in der anderen Richtung zu öffnen. Am Montag schien das schon erreicht: Hunderte Ausreisewilliger sammelten sich am Grenzübergang, wo auf ägyptischer Seite seit Tagen Lastwagen mit Hilfsgütern Schlange stehen. Der aber blieb zu, der Deal scheiterte.
Bidens Reise wurde erst am Montagabend am Ende einer siebeneinhalbstündigen Sitzung zwischen israelischen und US-amerikanischen Verhandlern in Tel Aviv verkündet, nachdem – zumindest nach US-Lesart – ein humanitäres Hilfspaket für Gaza vereinbart war. Wie das allerdings aussieht, ist bislang unbekannt.
In den USA selbst mehren sich die Stimmen von Expert*innen, die vor unkontrollierbaren politischen, humanitären und politischen Folgen einer israelischen Bodenoffensive in Gaza warnen. Es sind Stimmen, die in der Biden-Administration gehört werden. Dass während der zweitägigen Reise des US-Präsidenten nach Israel und anschließend Jordanien nirgends eine Pressekonferenz angesetzt ist, spricht dafür, dass Biden hinter verschlossenen Türen Klartext reden dürfte.
Dabei wird es auch um das Schicksal der von Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln mit US-amerikanischem Pass gehen. John Kirby, der Sprecher des Weißen Hauses, erklärte gegenüber Reportern am Montagabend, Biden wolle sich während seiner Reise ein möglichst genaues Bild von der Lage der Geiseln machen. Was daraus allerdings folgt, dürfte der Öffentlichkeit verborgen bleiben: „Wir werden den Israelis keine Bedingungen oder Operationsrichtungen diktieren“, sagte Kirby.
In Jordanien will Biden anschließend nicht nur König Abdullah. treffen, sondern auch Ägyptens Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Will Biden sie als aktive Partner für den Kampf gegen die Hamas einerseits und gegen die Eskalation des Konfliktes andererseits gewinnen, müsste er etwas anzubieten haben. Was das allerdings derzeit sein könnte, ist unklar. Mit Ägyptens Präsident al-Sisi hat Biden nach Angaben des Weißen Hauses schon am Montag telefoniert. Aber der letztlich doch gescheiterte Deal zur Öffnung des Grenzübergangs zeigt, dass die diplomatischen Hürden weiterhin sehr hoch sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Die Wahrheit
Glückliches Jahr