Schlappe der Opposition in Georgien: Die junge Generation nicht im Stich lassen!
Die EU mag Gründe haben für Sanktionen gegen Georgien. Doch gerade für die junge Opposition im Land wäre das fatal. Sie wird nicht klein beigeben.
V ielleicht wird man nie erfahren, wie viele Wähler*innen in Georgien am Samstag wirklich für die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) gestimmt haben und deren plumper Antikriegspropaganda – natürlich ist der Westen schuld – auf den Leim gegangen sind. Doch dessen ungeachtet ist das Ergebnis für die Opposition, die es trotz aller internen Zwistigkeiten geschafft hat, sich zusammenzuraufen, eine herbe Enttäuschung. Schließlich ging und geht es um nichts Geringeres als die Entscheidung darüber, ob die Südkaukasusrepublik ihre Chancen auf einen EU-Beitritt wahrt oder weiter in Richtung Moskau marschiert.
Sowohl der Wahlkampf des KO als auch der Ablauf des Wahltags erinnern eher an Methoden, die in Russland und Belarus gängig sind. Das stimmt für die nächsten Jahre, sollte der KO an der Macht bleiben, nicht gerade optimistisch. Wahlmanipulationen in bedeutendem Ausmaß, Bedrohungen von Wahlbeobachtern und Medienvertreter*innen bis hin zu massiven tätlichen Übergriffen, Druck auf Wähler*innen sowie die Stigmatisierung der Opposition und ihrer Unterstützer*innen als kriegslüsterne Feinde Georgiens, die nichts weiter seien als hirnlose, willfährige Erfüllungsgehilfen des Westens: Wer diese Praktiken nötig hat, scheint sich seines „überwältigenden Sieges“ offensichtlich doch nicht so ganz sicher zu sein. So ist es wohl kein Zufall, dass größere Feiern des KO einfach ausfielen.
Die Frage ist jetzt, wie das Oppositionslager mit dieser Situation umgehen wird. Die wochenlangen Massenproteste gegen das sogenannte Agentengesetz und eine neue Regelung zum Verbot von „LGTBQ+ Propaganda“ im vergangenen Frühjahr haben gezeigt, dass die Georgier*innen echte Steher*innenqualitäten haben. Um sich ihre europäische Zukunft nicht verbauen zu lassen, sind viele bereit, einen hohen Preis zu zahlen.
Dilemma der EU
Wahrscheinlich also werden die enttäuschten Wähler*innen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dann ist jedoch alles möglich – mit allen schrecklichen Konsequenzen. Denn die Brutalität von Polizei und Sicherheitskräften bei ihren Einsätzen gegen Demonstrant*innen ist hinlänglich bekannt.
Auch die EU steckt in einem Dilemma. Schon jetzt liegt der Beitrittprozess auf Eis. Nach Lage der Dinge dürfte das erst einmal so bleiben, will Brüssel sein Gesicht wahren. Schlimmer noch: Weitere Sanktionen stehen im Raum, wie die Abschaffung der Visafreiheit. Auch wenn dieser Schritt aus EU-Perspektive geboten scheint, würde vor allem die junge Generation nach den Wahlen ein zweites Mal bestraft. Kann man das ernsthaft wollen? Die Antwort lautet eindeutig: Nein!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“