Sahra Wagenknecht und Populismus: Mit Stammtischparolen aufholen
Immer wieder fischt die Fraktionsvorsitzende der Linken am rechten Rand. Wieso macht sie das eigentlich? Ein Kurzüberblick.
Der Ausgangspunkt: Was sich bereits in den Umfragen der vergangenen Monate andeutete, jetzt ist es manifest: Die Wahlerfolge der AfD und die eigenen schweren Niederlagen bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sorgen bei der Linkspartei für tiefe Verunsicherung – und befeuern eine Strategiedebatte, die Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine, Linksfraktionschef im Saarland, bereits im Sommer vergangenen Jahres im Zusammenhang mit der Euro-Krise begonnen haben. Wagenknechts zentrale Fragestellung ist: „Wir müssen darüber nachdenken, warum wir den Zugang zu einem erheblichen Teil unserer früheren Wähler verloren haben.“ Und dann denkt sie laut darüber nach.
Die Analyse: Die AfD findet ausgerechnet in jener Wählerklientel besonders große Zustimmung, die eigentlich die Linkspartei für sich reklamiert: bei Arbeitern und Arbeitslosen. In Sachsen-Anhalt kommen die Rechtspopulisten hier sogar auf Stimmanteile von 35 und 36 Prozent, die Linkspartei hingegen nur auf 14 und 16 Prozent. Wagenknechts Gatte Lafontaine dazu: „Wenn die Bevölkerung nicht mehr den Eindruck hat, dass linke Parteien sich um die Belange des kleinen Mannes kümmern, dann wird die Rechte stark.“
Die Antwort: Wagenknecht will die zur AfD abgewanderte Wählerklientel mit den aus ihrer Sicht „berechtigten Ängsten, Ohnmachtsgefühlen und auch Wut“ zurückgewinnen – und zwar durch eine scharfe Abgrenzung von der „sozial verantwortungslosen Ausgestaltung der Flüchtlingspolitik der Großen Koalition“.
Die Konsequenz: Einfach und logisch: Wagenknecht versucht, dem Volk aufs Maul zu schauen und mit dumpfen Stammtischparolen verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen. „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“, ist so ein populistischer Spruch aus ihrem Mund. Auch ihre Äußerungen über „Kapazitätsgrenzen“ und dass „nicht alle Verarmten und Verelendeten der Welt zu uns kommen können“, gehört in diese Kategorie. Eine gefährliche Strategie, die in der eigenen Partei höchst umstritten ist. Selbst aus Kreisen, die ihr ansonsten ideologisch nahestehen, kommt scharfe Kritik. „Das Gerede über Kapazitätsgrenzen ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD und der Neonazis“, heißt es in einem Offenen Brief der „Antikapitalistischen Linken“ an die „liebe Sahra“.
Der Kontext: Es wäre kurzschlüssig, Wagenknechts Äußerungen zur Flüchtlingspolitik isoliert zu betrachten. Sie stehen in einem größeren Gesamtzusammenhang, der bereits während der Griechenland-Krise sichtbar wurde. Es geht um eine Diskussion, die die Linke europaweit umtreibt und spaltet: Versteht sie sich proeuropäisch und weltoffen – oder setzt sie auf einen Linksnationalismus? Wagenknecht setzt auf die nationalistische Karte. So einfach ist das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!