SPD streitet über Kanzlerkandidaten: Krisenbewältigung am Tag danach

Kevin Kühnert will den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz vor „destruktiver Kritik“ schützen. An der Basis gibt es Kritik an der Nominierung.

Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos und stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, spricht vor dem Willy Brandt Haus zu Medienvertretern

SPD-Vize Kevin Kühnert versucht die Stimmen der KritikerInnen zu kanalisieren Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | SPD-Chefin Saskia Esken macht sich am Tag nach der Kür von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten Sorgen. „Ich verstehe die Emotionen. Und kann nur weiter um Euer Vertrauen werben“, twittert Esken und plädiert dafür, „gemeinsam mit Olaf Scholz“ zu arbeiten.

Offenbar sind in der SPD nicht alle glücklich, dass Scholz der neue starke Mann der Partei wird. Auch Eskens Co Norbert Walter-Borjans sieht, dass die SPD-Spitze mit der Nominierung des Parteirechten Scholz manche ihrer eigenen Unterstützer verprellt hat. „Es wäre unehrlich und unfair, das zu bestreiten, und man kann das ja auch bei Twitter verfolgen“, so Walter-Borjans.

Die Inszenierung der Kür hatte erstaunlich problemlos funktioniert. Esken und Walter-Borjans hatten am Wochenende in Interviews für ein linkes Bündnis geworben. Dies war das Intro für die Scholz-Kür und sollte die Linie markieren: Die SPD strebt mit dem Mittemann Scholz nach einem linken Bündnis.

Dass die Kandidatur nicht vorab an Medien durchgestochen wurde, deutet die SPD als Beweis ihrer neuen Eintracht. Katja Kipping, Chefin der Linkspartei und Befürworterin eines Bündnisses mit SPD und Grünen, zeigt sich beeindruckt. „Die Einigkeit der SPD strahlt Entschiedenheit aus“, so Kipping zur taz. Deutlich reservierter klang Grünen-Chef Robert Habeck. Die Grünen-Spitze ist auf Schwarz-Grün geeicht und empfindet das Thema Linksbündnis eher als störend.

Unverständnis der Basis

Doch ganz so reibungslos ist die Rückkehr von Olaf Scholz als Nummer eins der SPD dann doch nicht. Und kann es auch kaum sein. Die Wahl der Parteilinken Esken und Walter-Borjans im letzten Winter hatte Gräben und den tiefen Frust der SPD-Basis über die ewige Rolle als Merkels Junior sichtbar gemacht. Die SPD-Linke Hilde Mattheis will daher nun „nicht in die Jubelorgie einsteigen“. Sie spricht aus, was sich in der SPD einige fragen: „Kann ein Kanzlerkandidat mit so vielen Altlasten die Glaubwürdigkeit der Partei erhöhen?“ Scholz gilt manchen als Symbol des Alten, das man doch mit der Wahl einer linken Parteispitze abstreifen wollte.

Sauer ist Andrea Ypsilanti, früher hessische SPD-Landtagsabgeordnete und 2009 gescheiterte Ministerpräsidentin. Scholz’ Wahl sei „nicht „nur“ die Festlegung auf die Kanzlerkandidatur, sondern ein Backlash. „Die SPD als transformatorische Kaft im Zusammenspiel mit Bewegung fällt aus. Ich bin fassungslos über diesen Coup“, twittert Ypsilanti. Auch SPD-Basismann Daniel Reitzig von #NoGroKo hält Scholz „für die Verkörperung dessen, was in der SPD in den letzten 15 Jahren falsch gelaufen ist: neoliberale Politik und Opportunismus“. Zudem habe Scholz die „GroKo öffentlich nicht ausgeschlossen“.

Ypsilanti und Mattheis repräsentieren nicht den organisierten linken Flügel der SPD. Die parlamentarische Linke (PL) steht hinter der Entscheidung für Scholz. Viel Redebedarf gibt es bei den Jusos, die 2017 die #NoGroko-Kampagne anführten und ohne deren Unterstützung Esken und Walter-Borjans nicht Parteichefs geworden wären. Jusochef Kevin Kühnert telefonierte am Montag viel und lange mit den JunggenossInnen. Kühnert, mittlerweile auch Parteivize und Stratege im Willy-Brandt-Haus, war zentral an der Nominierung seines einstigen Gegners Scholz beteiligt.

Die SPD-Linke Hilde Mattheis will „nicht in die Jubelorgie einsteigen“

Am Dienstag warnte er vor der SPD-Zentrale eindringlich vor „destruktiver Kritik“ an Scholz. Manche hätten sich in dem Weltbild eingerichtet, in dem „die SPD der Trottel sein muss, nichts richtig machen darf, weil sonst das eigene Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert ist“. Anders als Peer Steinbrück 2013 fordere Scholz keine Beinfreiheit für sich ein – vielmehr sei auch Scholz für die Vermögensteuer und habe in der Coronakrise viel richtig gemacht.

„Wir laufen, anders als früher, in die gleiche Richtung“, so der Vizechef der SPD, der sich im Schnelldurchlauf zu einem Realpolitiker entwickelt hat. Auch „die überragende Mehrheit der Jusos“ stehe, so Kühnert, hinter Scholz. Offenbar soll dieses Plädoyer Unmut im linken Teil der SPD-Basis kanalisieren und Scholz Loyalität signalisieren.

Jessica Rosenthal, Juso-Chefin in NRW und designierte Nachfolgerin von Kühnert als Bundeschefin, gibt kurz danach in Düsseldorf eine knappe Pressekonferenz. Scholz habe bei „uns Jusos keine Euphorie ausgelöst“, sagt sie. Man erwarte von dem Kandidaten viel programmatisches Entgegenkommen – von der sozialökologischen Wende bis zur Umverteilung. Aber natürlich werden die Jusos Scholz unterstützen. „Ich traue Olaf Scholz zu, dass er 16 Jahre Merkel beenden kann“, so Rosenthal. Die meisten SPD-Linken wollen den Eindruck vermeiden, dass es mit der viel gelobten Eintracht schon nach Stunden vorbei ist.

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