SPD nach dem Scheitern von Jamaika: Ohne Plan B
Das Aus für Jamaika hat die SPD auf dem falschen Fuß erwischt. Sie will Neuwahlen – und muss sich in vielen Fragen entscheiden.
Das scheint verwunderlich. Eigentlich könnten die GenossInnen jubeln. Ein stabiler Bürgerblock aus Union, Grünen und FDP hätte die SPD für Jahre ins machtpolitische Abseits befördert. Nun endlich schwankt Kanzlerin Merkel, an deren Teflonschicht SPD-Angriffe x-mal abperlten. Doch die Abteilung Attacke im Willy-Brandt-Haus hat geschlossen.
Karl Lauterbach, SPD-Bundestagabgeordneter, sagt: „Wir sind komplett überrascht worden.“ Die Partei war flügelübergreifend felsenfest davon ausgegangen, dass Jamaika funktioniert. Plan B? Fehlanzeige. Jetzt rücken Debatten näher, die für die Partei verstörend sind. Denn trotz des Sieges in Niedersachsen steht die SPD noch immer unter dem Schock der Niederlage im Bund.
Rückblende: Willy-Brandt-Haus, kurz nach 18 Uhr am 24. September. Martin Schulz erklärt unter tosendem Jubel, dass die SPD die Große Koalition nicht mehr will. Endlich befreit von Merkel, von der undankbaren Rolle als Juniorpartner. Seitdem hat die SPD-Spitze immer und immer wieder beteuert, dass sich die Regierungsfrage nicht stellt, dass Jamaika funktionieren wird. Andrea Nahles hat sich in der Rolle als Oppositionsführerin eingerichtet. Das Argument, dass man die Oppositionsführerschaft keinesfalls der rechtspopulistischen AfD überlassen dürfe, hat ja auch etwas Sinnstiftendes. Ein Wärmestrom in frostigen Zeiten für die Partei.
„Die Argumente gegen die Große Koalition sind ja nicht über Nacht verschwunden“, so Lauterbach, der zu den gemäßigten Linken in der Partei zählt. Ist dieses Nein noch aus Granit oder nur noch aus Beton? Montagmittag gibt es in der SPD noch kein klares wording. Man könne nicht verlangen, so Lauterbach, dass „wir sofort am Morgen danach“ Position beziehen.
Martin Schulz
Axel Schäfer, SPD Parlamentarier aus Bochum und Parteilinker, klingt in Sachen Regierung härter: „Das Nein zur Großen Koalition bleibt. Und das war nicht nur ein Nein zu Merkel.“ Außerdem soll man erst mal cool bleiben. Von April bis November 1972 hatte die Brandt-Scheel-Regierung auch keine Mehrheit im Bundestag, so Schäfer. „Damals“, so der SPD-Linke, „ist die Republik auch nicht zusammengebrochen.“ Allerdings gab es damals auch keine Rechtspopulisten im Bundestag.
Bleibt die SPD bei ihrem stählerne Nein zur Großen Koalition? Das ist kniffliger, als es scheint. Einerseits hat sich die gesamte Partei darauf geeinigt – nur Exfraktionschef Thomas Oppermann ließ kurz anklingen, dass man sich ohne Merkel vielleicht doch etwas mit der Union vorstellen könnte. Doch dieser Testballon wurde von den Genossen sofort wieder eingeholt.
Montagmittag zieht Parteichef Martin Schulz in Berlin die roten Linie nochmals nach. Die SPD werde keine Große Koalition bilden, auch nicht ohne Merkel. Keine Gespräche mit der Union, nichts. Es klingt wie ein Nein ohne Schlupfloch. „Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“, beschließt der SPD Vorstand am Montag. Einstimmig. Schulz sagt am Montag: „Ich gehe davon aus, dass Neuwahlen kommen werden.“
Das allerdings sieht zumindest ein SPD-Mann, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein bisschen anders. Denn der will, so wie es im Grundgesetz Artikel 63 fixiert ist, den Parteien den Weg zu Neuwahlen so schwierig wie möglich machen. Steinmeier kann die jetzige Regierung geschäftsführend im Amt lassen. Ob die SPD, empfänglich für solche Frequenzen, nicht doch weich wird, wenn wochenlang an ihre staatspolitische Verantwortung appelliert wird?
Abrupt unter Zeitdruck
Nicht nur das verfassungsrechtliche Prozedere ist kompliziert – die SPD steht nun vor einem politischen Dilemma, das mit dem Nein zur Großen Koalition keineswegs gelöst ist. Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl will die Partei sich erst mal erneuern. Mit wem man dann 2021 antritt, mit Manuela Schwesig, Andrea Nahles, Olaf Scholz oder Martin Schulz, das würde sich dann finden. Diese stillschweigende Verabredung hat der Jamaika-Crash jäh beendet. Nun steht die SPD abrupt unter Zeitdruck. Es dräuen unerfreuliche Fragen: Mit wem wird die SPD in die möglichen Neuwahlen ziehen? Mit welcher Machtoption?
Katja Kipping, Chefin der Linkspartei, will „für soziale Mehrheiten links von Merkel streiten“. Adressatin des Werbens der Linkspartei ist und bleibt die Sozialdemokratie – natürlich nur, wenn die ihren Kurs wechselt. Das ändert nichts daran, dass zwischen Linkspartei und SPD bestenfalls kalter Frieden herrscht. Die FDP, die gerade Jamaika von rechts gesprengt hat, ist erst recht keine Option für Schulz & Co. Also doch wieder Juniorpartner in einer Großen Koalition?
Schulz will auf jeden Fall am 9. Dezember beim Parteitag in Berlin zum SPD-Chef gewählt werden. Alles andere wäre eine Überraschung. Denn Olaf Scholz dürfte auch mit Unterstützung von Fraktionschefin Andrea Nahles nur ein Drittel des Parteitages hinter sich versammeln. Zu wenig.
Also noch mal Kanzlerkandidat Schulz, der im letzten Wahlkampf etwas orientierungslos wirkte? Noch mal Würselen? Noch mal Schulz gegen Merkel? Der SPD-Chef lässt diese Frage offen. Er habe als SPD-Vorsitzender das Recht, den Kanzlerkandidaten vorzuschlagen, sagt er. Mehr nicht. Noch mal mit dem Schulz-Zug entgleisen – mit dieser Vorstellung hadern derzeit auch Schulz-Freunde in der SPD.
Mitarbeit: Anna Lehmann
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