SPD-Kanzlerkandidatur: Sollte Scholz hinter den Kulissen entmachtet werden?
SPD-Chef Lars Klingbeil soll versucht haben, Olaf Scholz abzusägen. Medien behaupteten das, doch namentliche Quellen fehlen. Die SPD dementiert.
Hat SPD-Parteichef Lars Klingbeil Olaf Scholz im November aufgefordert, auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten? Das behaupten Tagesspiegel und t-online. Am 17. November 2024 soll Klingbeil mit der Co-Vorsitzenden Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich Scholz im Kanzleramt besucht haben. Dort soll Klingbeil dem Kanzler nahegelegt haben, auf die Kandidatur zu verzichten.
Empfohlener externer Inhalt
SPD-Sprecher dementierten die Darstellung scharf gegenüber der taz. Der Bericht sei „falsch“. Klingbeil habe Scholz nie zum Verzicht aufgefordert. Unklar blieb, ob sich das Dementi auch darauf bezieht, ob es das besagte Treffen am 17. November gab.
Klingbeil und Esken hatten sich nach dem Bruch der Ampel für Scholz ausgesprochen, die Kandidatur formal aber lange offen gehalten. Vor allem im Landesverband NRW hatten viele Sympathien für den laut Umfragen beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Die Zweifel an Scholz in der SPD waren nach dessen Auftritt bei Caren Miosga am 10. November gewachsen. Dort habe, so der Eindruck mancher Genossen, Scholz als Kanzler einer gescheiterten Regierung ohne Kraft und Zukunftsentwurf gewirkt.
Am 19. November plädierten zwei einflussreiche GenossInnen aus NRW, Dirk Wiese und Wiebke Esdar, indirekt gegen Scholz. Das Statement wirkte wie ein Katalysator – allerdings für die Entscheidung für Scholz. Pistorius erklärte zwei Tage später seinen Verzicht auf die Kandidatur.
Klingbeil hatte Mitte November das Zögern der SPD-Spitze, Scholz offiziell zu nominieren, damit gerechtfertigt, dass er in die Partei hineinhören wolle. Klingbeil und Esken, so die Kritik vieler GenossInnen, hätten die Sache zu lange laufen lassen und Scholz zusätzlich beschädigt.
Die Quellen bleiben geheim
Laut Tagesspiel und t-online war das nicht Klingbeils Führungsschwäche – der SPD-Chef wollte demnach Scholz loswerden, sei aber an der Sturheit des Kanzlers gescheitert. War es so? In dem Bericht fehlt jede namentlich genannte Quelle.
Zudem: Falls entscheidende Teile der SPD, angeführt von Klingbeil, Scholz wegputschen wollten, wäre es verwunderlich, dass dieser Kampf nicht früher publik geworden ist. Das Willy-Brandt-Haus ist zwar nicht mehr, wie nach 2005, ein sprudelnder Quell von Intrigen. Aber dass ein harter Machtkampf in der SPD-Spitze völlig lautlos verläuft, ist eher unwahrscheinlich.
Der SPD-Parlamentarier Ralf Stegner glaubt, dass der Bericht eher „auf Gerüchten“ fußt. Zu fragen sei eher: „Warum jetzt?“ Offenbar solle damit von der massiven Kritik an Friedrich Merz, der kürzlich mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache gemacht hatte, abgelenkt werden.
Gleichwohl ist der Zeitpunkt für die SPD ungünstig. Falls SPD-Quellen diese Geschichte kolportiert haben, wäre das ein Zeichen von Nervosität oder gar Resignation. Und ein Vorschein des blame game, das in der SPD nach einer möglichen Wahlniederlage beginnen wird.
Ein Thema spaltet die SPD
Diese Niederlage scheint zweieinhalb Wochen vor der Wahl kaum noch abzuwenden zu sein. Laut Umfragen kann die SPD zwar geringfügig, aber nicht wie erhofft von Merz’ Tabubuch, im Bundestag mit der AfD gestimmt zu haben, profitieren. Scholz’ Wahlkampf zielt bislang auf Kritik an den Steuersenkungsversprechen und der windigen Finanzpolitik der Union, die die Haushaltslöcher noch vergrößern wird.
Doch Haushaltspolitik ist im Wahlkampf ein sperriges Thema. Und auch bei der Migration ist die Lage der SPD gespalten. Merz’ AfD-Kurs mobilisiere derzeit die SPD maximal, so die Einschätzung im Willy-Brandt-Haus. Allerdings ist das Thema Migration für die SPD zwiespältig. Denn 57 Prozent der SPD-Anhängerschaft finden Merz’ Forderung richtig, auch Asylbewerber an deutschen Grenzen abzuweisen.
Am Sonntagabend trifft Scholz im TV-Duell auf Friedrich Merz. Das könnte die letzte Chance von Scholz sein, die Stärken und die Schwächen seines wankelmütigen Gegners sichtbar werden zu lassen. Andererseits haben Kanzlerduelle noch nie Wahltrends gekippt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart