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SPD-KandidatIn zur BundestagswahlWo bleibt die Angriffslust?

Johanna Roth
Kommentar von Johanna Roth

Norbert Walter-Borjans findet, dass die SPD keinen eigenen Kanzlerkandidaten braucht. Was für eine unnötige Demutsgeste!

Vor der Ahnengalerie im Kanzlerinnenamt Foto: Thomas Köhler/Photothek/imago images

E s gibt bei der SPD immer mehr dieser Momente, in denen man sich fragt: Meinen die das ernst? Oft haben diese Situationen mit kommunikativen Desastern der Marke „gut gemeint“ zu tun, und ein solches hat gerade Norbert Walter-Borjans hingelegt. Walter-Borjans, einer von vier verbliebenen KandidatInnen im Wettkampf um den Parteivorsitz, erklärte im Interview mit Spiegel Online, die SPD sei im Moment nicht in der Position, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. „Ich würde erst mal dafür werben, dass wir einen Spitzenkandidaten aufstellen.“

Also keinen Kandidaten, aber doch einen Kandidaten. Aha.

Abgesehen davon, dass dies ein Lehrstück dafür sein dürfte, wie politischer Sprachgebrauch zu Politikverdrossenheit führt: Ist es nicht eine elementare psychologische Erkenntnis, dass jemand, der seiner Partei keine Führungsrolle mehr zutraut, vermutlich weniger damit rechnen darf, selbst zu ihrer Führung gewählt zu werden? Und wie genau sollte das eigentlich aussehen, eine solche Nicht-Kanzler-Kandidatur? Wie soll diese Partei Wähler*innen mobilisieren, wenn die gar nicht genau wissen, mit welchem Anspruch sie sie wählen?

Borjans' Vorschlag kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt: wenige Tage, bevor über die Grundrente entschieden werden soll, an der sich die Koalition seit Wochen wundreibt. Und wenige Wochen, nachdem die SPD einmal mehr für Entsetzen gesorgt hatte, als sie dem sogenannten Klimapaket – man möchte sagen: Antiklimapaket – der GroKo zustimmte und massiven Spott bekam, als ihre VertreterInnen sich das auch noch schönzureden versuchten. Dass nun erwartungsgemäß das Lager der Regierungsfans in der SPD Walter-Borjans' Vorschlag verdammt, lässt die Partei nach außen nicht gerade souverän wirken, sein offenkundiges Bemühen um Ehrlichkeit und Realismus in allen Ehren.

Walter-Borjans' Äußerung ist Ausdruck einer Partei, die nicht versteht, dass ihre Zeit als Volkspartei vorbei ist

Eine Spur zu massivhölzern auch der Zaunpfahl, den Walter-Borjans hier in Richtung Olaf Scholz schwingt, der sehr gern nicht nur SPD-Vorsitzender wäre, sondern auch Kanzler. Scholz, gegen den Walter-Borjans nun in der Vorsitzenden-Stichwahl antritt, hatte sich schon vor einem knappen Jahr als Kanzlerkandidat selbst empfohlen. Das war ebenfalls unpassend, insbesondere deshalb, weil die damals amtierende Vorsitzende Andrea Nahles hieß und nicht Olaf Scholz. Von solchen Aktionen, das war schon damals zu spüren, hält die Basis nicht viel. Und vermutlich auch nicht davon, dass jetzt ein Kandidat, der im Gegensatz zum amtierenden Vizekanzler noch sehr fern ist vom Kanzleramt, diesen anderen Kandidaten ausbremst, indem er einfach das Ziel umsteckt.

Walter-Borjans' Äußerung ist Ausdruck einer Partei, die alles oder nichts will, die nicht versteht, dass ihre Zeit als Volkspartei, die bei Wahlen 40 Prozent der Stimmen holt, vorbei ist – dass sie da aber auch nicht die einzige ist. Und anstatt sich ihren Platz zu suchen in einem zunehmend diversen Parteiensystem, kommen dann solche übertriebenen Demutsgesten – die einerseits Selbstaufgabe suggerieren, aber dann doch wieder verdächtig nach taktischem Manöver riechen.

Bisher war es freilich immer so, dass eine Spitzenkandidatur für die beiden großen Parteien selbstverständlich KanzlerInnenwille bedeutete, während Spitzenkandidatur bei den kleineren wörtlicher zu nehmen war. Aber in Zeiten, in denen sich all das relativiert, in denen ein Robert Habeck von den Grünen als möglicher nächster Regierungschef gehypt wird und ein Ministerpräsident von der Linkspartei als Retter der Sozialdemokratie gilt, ist eine Partei, die sich selbst zur Zwergin erklärt, ganz schnell weg vom Fenster. Wenn alle anderen einen Schritt nach vorn machen, darf die SPD nicht zwei zurück machen.

Dass ausgerechnet Walter-Borjans, den manche schon zum Bernie Sanders der Sozialdemokratie ausgerufen haben, diese Angriffslust fehlt, ist schade. Denn es braucht doch eigentlich jemanden wie ihn und seine Co-Kandidatin Saskia Esken an der Spitze der SPD, um den fatalen „Weiter so“-Spirit zu beenden, den niemand mehr verkörpert als Olaf Scholz.

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Johanna Roth
taz-Autorin
ist freie Korrespondentin in den USA und war bis Anfang 2020 taz-Redakteurin im Ressort Meinung+Diskussion. Davor: Deutsche Journalistenschule, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, Literatur- und Politikstudium in Bamberg, Paris und Berlin, längerer Aufenthalt in Istanbul.
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17 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Spät entdeckt.

    Natürlich wirkt es in Zeiten von Symbolpolitik irritierend, wenn ein SPD-Politiker wie Walter-Borjans auf ein jahrhundertealtes Ritual verzichten möchte.

    Doch im Gegenzug sei gefragt, was ein solches Ritual wert ist, dessen Ergebnis bereits vor der Wahl feststeht.

    Es gibt sicherlich eine Menge inhaltlicher Kritik an der SPD anzubringen. Hier finde ich sie falsch.

    Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, war stets ein Zeichen von Erkenntnisfähigkeit.

    Könnte auch Anderen nicht schaden.

  • Im ARD Deutschland-Trend liegt die SPD gleichauf mit der AfD bei 14%.



    Die CDU bei 26%, die Grünen bei 22%. FDP und Linke bei 8 bzw 9%.

    Da ist es wirklich in Ordnung, wenn Walter-Borjans kleine Brötchen bäckt. Von Angriffslust allein kann sich keiner etwas kaufen. Und so schätze ich den auch ein: Realistisch, ruhig, nüchtern - aber die Steuersünder hat er erwischt. Damit hat er mehr erreicht als eine ganze Riege von Sozis.

  • Na und? Nun reden alle über den folgenlosen Unsinn und somit auch über ihn.

    Wenn es aber bei den Fakten bleibt, ist er einer, die tatsächlich gegen Steueroasen vorgegangen ist und nicht nur gelabert hat.

  • Ach, ich weiß nicht, ob die “Demutsgeste“, wie Sie sie nennen, wirklich unnötig war. Kommt mir eher so vor, dass jemand mal die Realität erkennt und benennt, dass die SPD ganz weit weg vom Kanzleramt ist.

    • @Fallmanagerin:

      Wir sind auch noch ganz weit weg von der nächsten Bundestagswahl. In zwei Jahren kann viel passieren. Die Union ist nicht gerade gut aufgestellt, sowohl AKK als auch Merz sind potentiell besiegbare Gegner. Ob die Grünen den derzeitigen Hype durchhalten oder die Blase platzt, wenn Habeck sich irgendwann doch traut, das Wort Kanzlerkandidat in den Mund zu nehnen, ist nicht ausgemacht.

  • Dürftig! Dürftig! Dürftig! Werte Autorin, Sie kennen den Blätterwald! Einen/Eine KanzlerkandidatIn einer U20 % Partei aufzustellen, wäre mit der gleichen Häme und Heiterkeit bedacht worden, wie die seiner zeitige Debatte der FDP, mit einem Kanzlerkandidaten anzutreten, der unter seinen Schuhsohlen sein 18 % Ziel bei der BT-Wahl eingravieren ließ. Die Partei wusste nicht einmal, das Gehwegplatten kein Stimmrecht haben.

    Da hat mal ein Politiker/Kandidat genügend Realitätssinn, und den Mut ihn zu äußern (kommt selten genug vor!), und schon folgen die SchlaumeierInnen des Blätterwaldes dem Ruf: "Egal was gesagt wird, Hirn aus und darauf gehauen. Hauptsache Spaß dabei und Zeilengeld gibts auch dafür!"

    • @Drabiniok Dieter:

      Die FDP nimmt halt alles, auch Gehwegplatten. Danke für dieses nette Apercu.

  • Demutsgeste? Oder Erkenntnis der Realität?!

  • Ich glaube, Herr Walter-Borjans will gar nicht regieren. Ist ja auch viel bequemer, aus der Opposition alles besser zu wissen. Das wäre dann nach Linkspartei, FDP und AfD die vierte Partei, die keine Verantwortung übernehm will. Ob das gut ist für die Demokratie?

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Wie wär's denn mal damit, als Kanzler nur jemanden zu wählen, der weder dem Bundestag noch einer Partei angehört? Unmöglich ist das nicht. Man muß es nur wollen. Kiesinger war z.B. während seiner Kanzlerschaft nicht Mitglied des Bundestages, allerdings Mitglied der CDU. Aber auch eine Parteimitgliedschaft wäre nicht nötig.

  • Meine Wahrnehmung ist, dass sich in DE einige Medien in Stellung bringen gegen Walter-Borjans. Da scheint mir ein wenig Angst mitzuspielen, dass Walter-Borjans es ernst meint mit dem Abschied vom Neoliberalismus.



    Bei Frau Roth kann ich nicht erkennen, wo denn faktisch das Problem liegt bei Walter-Borjans. Und ausgerechnet er soll zur Politikverdrossenheit beitragen? Walter-Borjans ist im Gegensatz zu Olaf Scholz Sozialdemokrat. Und das macht Angst? Kopfschüttel!!

    • @Rolf B.:

      Sozialdemokrat sein bedeutet nicht, sich irgendwo ideologisch festzubeißen. Die SPD hat schon immer ihr Pragmatismus ausgezeichnet, mit dem sie in kleinen Schritten, pragmatisch und kompromissbereit, die Welt ein kleines Stück gerechter und besser gemacht hat. Das war auch schon zu sozial-liberalen Zeiten so und auch in Weimar. Und es in den letzten sechs Jahren der Großen Koalition nicht anders. Scholz ist in diesem Sinne ein sehr typischer Sozialdemokrat.

  • Borjans: Ein Realist in der SPD?

  • Who the f*** is Walter Borjans

    • @Juhmandra:

      Es ist ein gutes Zeichen für Sie, dass Sie Ihn nicht kennen. Denn Sie gehören sicherlich nicht zu den zehntausenden Steuerhinterziehern und Schwarzgeldkonto Besitzern, die wegen ihm hunderte Millionen entzogenen Steuern nach- und Strafgelder -bezahlt haben. Die kennen ihn alle!



      Ohne seine Entscheidung die Steuer-CDs aus der Schweiz zu kaufen, wären diese asozialen Steuerdiebe in Nadelstreifen unbehelligt geblieben.

    • @Juhmandra:

      Nicht Walter Borjans, sondern Norbert Walter-Borjans. In diesem Fall ist Walter ein Teil des Hausnamens, nicht wie bei Walter Leisler Kiep, wo Leisler ein zweiter Vorname war und Kiep der Hausname (daher hier auch kein Bindestrich)

    • @Juhmandra:

      So bekannt wie Frau Kramp-Karrenbauer (AKK) ist er zwar noch nicht ganz. Aber immerhin hat auch er schon seinen Spitznamen: „NoWaBo“. Achten Sie mal darauf in Presse, Funk und Fernsehen!