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Russlands MediensystemDie Lügen des Kreml

Warum glauben so viele Rus­s*in­nen die Kriegspropaganda des Kreml? Wer das verstehen will, muss sich auch das dortige Mediensystem angucken.

Staatsnahe Medien dominieren die Berichterstattung aus Russland Foto: Alexander Ryumin/dpa

Moskau taz | Nehmen wir Natalja Usmanowa. Eine Frau, der ihre Müdigkeit, ihr Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht. Usmanowa wurde aus dem Stahlwerk von Mariupol evakuiert und ist dieser Tage weltweit zu sehen in ihrer hellgrünen Jacke und dem türkisfarbenen Strickschal. Deutsche, britische, aber auch russische Sender zeigen sie. Allen sagt sie dasselbe, doch die russische Erzählung unterscheidet sich diametral von der westlichen. Kein Wunder. Denn die russischen Erzählungen der staatsnahen Fernsehsender pflegen ohnehin ein eigenes Narrativ der Sicht auf die Welt – und das schon seit Jahren.

Mit dem 24. Februar, als Russlands Präsident Wladimir Putin den Befehl zu seiner „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine gab und später alle im Land zwang, den Krieg im Nachbarland so zu bezeichnen, werden die Töne jeden Tag schriller. Dass so viele Rus­s*in­nen die Lügen des Kremls glauben, hängt auch mit dem Mediensystem im Land zusammen.

Doch zunächst zurück zu Usmanowa. Ihr Auftritt zeigt, wie geschickt die russische Propaganda agiert und welche Handgriffe reichen, um mit denselben Aussagen zwei völlig andere Geschichten zu erzählen. Sie übertreibt, verzerrt, fügt hinzu, um eine bestimmte Sicht auf die Welt entstehen zu lassen.

Usmanowa hatte jahrelang im Asowstal-Werk gearbeitet, das Russlands Truppen am Dienstag aus der Luft und vom Boden her zu stürmen begannen. Als russische Truppen in ihre Heimatstadt eindrangen, als sie anfingen, diese einzunehmen, flüchtete sie in die Katakomben von Asowstal.

Sie wurden für Wochen zu ihrem Gefängnis. „Wir hatten nichts mehr zu essen, sie ließen uns nicht raus, es war Terror“, sagt sie vor den Kameras nach der Evakuierung. Wer „sie“ sind, sagt sie nicht, von wem der Terror ausging, auch nicht. Die russische Erzählung lautete danach so: Ukrainische Nationalisten hätten die friedliche Zivilbevölkerung als menschliche Schilde missbraucht, den Menschen nichts zu essen gegeben, sie nicht rausgelassen und terrorisiert, auf Befehl des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

165 Millionen Euro für Staatsmedien

Es ist der Kontext, in dem Usmanowas Worte stehen. Ein Kontext, der in Russlands staatlich geprägtes Narrativ vom „ukrainischen Regime voller Nazis“ passt. Damit dieses Narrativ stärker gepflegt werden kann, gibt der Staat nun dreimal mehr Geld für seine Medien aus als im Jahr zuvor. Laut russischem Finanzministerium zahlte er dafür nur im März umgerechnet 165 Millionen Euro.

Es sind vor allem staatliche oder staatsnahe Medien, die die Berichterstattung dominieren und Vertrauen genießen. 90 Prozent der Bevölkerung, so hat es das unabhängige Umfrageinstitut Lewada-Zentrum in Moskau erhoben, informieren sich vorwiegend über den Fernseher. In vielen russischen Haushalten läuft er permanent. Kri­ti­ke­r*in­nen der Staatspropaganda nennen das Gerät „Zombiekiste“.

Wer die Macht über die Medien hat, hat auch die politische Macht im Staat – so war es bereits zu Sowjetzeiten und so wurde es auch in den 1990ern gepflegt. Oligarchen schufen Medienimperien und bekriegten sich teils untereinander. Dennoch schaffte das in den 90ern auch eine gewisse Vielfalt in der Medienlandschaft. Hämische Satire und Kritik an den Regierenden gehörten zum Programm. Auch unabhängige Medien durften offen Kritik am Staat üben. Das änderte sich mit dem Machtantritt Putins und lässt sich vor allem an der Zerschlagung des Senders NTW sehen.

1993 vom früheren Theaterregisseur Wladimir Gussinski gegründet, der bereits in der Perestroika mit Kleidern handelte und später mit Finanzgeschäften reich wurde, galt NTW als Leuchtturm journalistischer Berichterstattung. Auch der Radiosender Echo Moskwy, bis zu diesem März als eine der wenigen kritischen Stimmen im Land noch existent, gehörte zu Gussinskis Medienholding.

Wenige Tage nach Putins Amtseinführung als Präsident im März 2000 stürmten maskierte Männer mit automatischen Waffen in die Redaktionsräume des Senders. Gussinski wurde wegen der Veruntreuung staatlicher Mittel angeklagt und schließlich zum Verkauf seines Medien­unternehmens gezwungen. Bis heute lebt er in Israel im Exil. Die Kontrolle übernahm der Staatskonzern Gazprom. NTW verbreitet heute nur noch Nachrichten, die vom Staat als genehm eingestuft werden.

Kritische Medien werden zerschlagen

Auch dem Sender ORT, der Boris Beresowski, einem anderen Oligarchen, gehörte, erging es ähnlich. Nachdem sich Beresowski gegen die politische Elite stellte, musste er im Jahr 2000 seine Anteile am Sender verkaufen. Heute heißt dieser „Erster Kanal“ und ist Teil der Nationalen Mediengruppe des Oligarchen Juri Kowaltschuk. Dieser hält weitere Fernsehkanäle, Bezahlkanäle und Nachrichtenagenturen. Über das Versicherungsunternehmen Sogaz hat er zudem zusammen mit der Gazprombank im vergangenen Jahr die Kontrolle der Internetfirma VK übernommen, über die Vkontakte und Odnoklassniki laufen, die russischen Pendants zu Facebook.

Die Dritte im Bunde der Medienholdings, die das Hohe Lied des Kremls singen, ist WGTRK, die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft. Zu ihr gehören mehrere Fernseh- und Radiosender, aber auch Onlinemedien und knapp 100 regionale Medienanstalten. Früher war die Nachrichtenagentur Ria ebenso Teil von WGTRK, bis sie vor knapp zehn Jahren in der per Dekret von Putin gegründeten Holding Rossija Sewodnja aufging. Ihr Leiter ist Dmitri Kisseljow, der Chefpropagandist des Kremls, der in diesen Tagen androhte, Großbritannien durch den Schlag einer neuen Atomwaffe im Meer versenken zu lassen. Ähnliches verbreitet auch Margarita Simonjan gern, die Chefin des Auslandssenders RT, der ebenfalls zu Rossija Sewodnja gehört.

Viele Jour­na­lis­t*in­nen in Russland werden als Mediensoldaten gesehen, die von oben diktierte Botschaften unters Volk bringen sollen. Weil sie beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, müssen sie die Arbeit der Regierung unterstützen und in ihrer Berichterstattung die Entscheidungen des Staates mittragen. Deshalb sprechen die Re­por­te­r*in­nen im Staats-TV stets von „wir“, wenn sie über die russische Regierung berichten.

Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängige Informationen zu gelangen. Zumal Russlands Justiz alles dafür tut, den unabhängigen Nischenmedien den Garaus zu machen, indem sie nicht nur die Medien zum „ausländischen Agenten“ erklärt und ihnen dadurch die Werbekunden raubt, sondern auch einzelne Jour­na­lis­t*in­nen mit diesem „Etikett“ den Alltag erschwert.

Der Staat verschärft die Gesetze, droht bei „Fake News“ mit bis zu 15 Jahren Haft, wobei „Fake“ schon das Hinterfragen der offiziösen Darstellung ist. Sie sperrt Seiten und zwingt unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen ins Exil, die es sich auch dort nicht nehmen lassen, die russische Bevölkerung zu informieren. Nur: Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren Streams bei Youtube kaum an.

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20 Kommentare

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    Die Moderation

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Das jetzige russische Mediensystem kann keine Entschuldigung sein, dass —angeblich(!) — so viele Bürger dort all das "glauben".



    Auch in Russland ist Hitler ein Begriff. Ich möchte nicht wissen, wieviele Russen:innen nicht doch ein wenig hellsichtiger sind ....

  • was sagt tatjana usmanowa ?

    www.youtube.com/wa...=tukuRh3eVF0&t=41s

    ab sekunde 38 ist es eigentlich sehr eindeutig , wer sie nicht rausläßt, zumal das interview offensichtlich pro russsischen journalisten gegeben wurde , man sieht gleich am anfang "Z"

    noch deutlicher 1:55 "die ukraine ist für mich gestorben"

    • @dimitriov georgiev:

      Ja Sie haben recht, es ist eindeutig, dass sie die ukrainische Seite meint. Das Video ist interessant in dem "Propaganda" Kontext. Wobei ich nicht soweit gehen würde über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt des Videos zu urteilen.

      @taz : Ist das ein anderes Video als das worauf sich der Artikel bezieht oder wurde da nicht zu schnell recherchiert?

  • Die "Lügen im Kreml" sehe ich monokausal zugeordnet. Es handelt sich schlicht um Propaganda, Lügen werden in den Staatsdienst gestellt. Hierzulande glauben auch alle, daß wir zivilisiert sind und keine Kriege führen. Während Russland für die Propaganda echte Anschieber braucht, Stichwort Arbeiterklasse im Kreml, haben bei uns Lebenslügen über den Mechanismus "religiöse Propaganda" längst Freilauf genommen. Sie können mit Russland eine innovative Staatskorrektur verhandeln, müssen eben die richtigen Leute und die richtigen Argumente zusammenbringen. Auf der Westseite geht das nicht (eigene Erfahrung).

  • "Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängige Informationen zu gelangen." Eben: nicht einfach, es ist aber sehr wohl möglich. Wer Internetanschluss hat, kann sich informieren. Ein Drittel der russischen Muttersprachler.innen in Deutschland jedoch konsumiert immer noch lieber die genannten russischen Staatskanäle als ARD, ZDF und Co. Die Mehrheitsgesellschaft in Russland ist eben kein Opfer von Propaganda, sondern hat sich aus freien Stücken in ihr mediales Maulwurfsloch begeben. Und zwar im Jahr 2000 bereits. Es gab praktisch keinen Widerstand in der russischen Gesellschaft gegen die Liquidierung von ORT und NTW als unabhängige Sender. Die Gleichschaltung der russischen Medienlandschaft erfolgte im vollsten Einverständnis mit der Mehrheitsgesellschaft. Die Lügen der Kreml-Medien werden der Gesellschaft nicht aufgezwungen. Die Mehrheitsgesellschaft will sie hören. Das Erwachen in ein paar Jahren wird bitter sein.

    • @Michael Myers:

      -?- "lieber .. ARD, ZDF und Co."



      Nein Danke nie wieder- bzw. nur mit schon vorgefasster Meinung, welche dann auch jedesmal zu ihrem Recht kommt. Die könnten doch locker, alle zusammen zu einem Sender zusammengelegt werden. Überall dasselbe Informationsmilieu: Langweilig, eintönig und bildungsfern. Aber mainstreamfromm und mainstreamschaffend. Man gerät in eine dumpfe Informationseinseitigkeit und hat dann auch noch all dies Zeug wie einen unangenehmen Ohrwurm im Gehörgang, schauderhaft.

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    Die Moderation

    • @Ingo Bork:

      Der Kommentar wurde entfernt. Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

      Die Moderation

    • @Ingo Bork:

      > Ich glaube nicht so recht daran,



      > wie meist im Leben liegt die



      > Wahrheit wohl irgendwo in der



      > Mitte.

      Jaja ... voll auf der Linie des Russia-Today-Mottos ("Covering both sides").

      Dass die Wahrheit oft leicht zu erkennen ist: geschenkt. Dass sie aber "immer irgendwo in der Mitte liege" ist ein an Denkfaulheit kaum zu überbietender Mythos ...

      ... wird mit Vorliebe auch von der Seite gepflegt, die weiß, dass sie im Unrecht agiert. Denn mit "der Mitte" setzt man sich dann ja wenigstens wieder halb ins Recht.

      • @Tezcatlipoca:

        Solche Medienverleugner sind nicht sehr helle, sehen Sie die Begründung für die "Mitte". Nicht vorhanden. Wie meist im Leben.

    • @Ingo Bork:

      Jaja, sind auch alle gleichgeschaltet. Konnte man heute morgen wieder sehr schön sehen, als ALLE deutschen Medien übereinstimmend berichteten, Eintracht Frankfurt habe das Finale der EL erreicht. Tststs typisch ,,,

      • @Kaboom:

        Na aber, die Wahrheit liegt doch in der Mitte. Das heißt im Umkehrschluss also, Eintracht Offenbach hat das Finale des Afrika-Cups erreicht.

    • @Ingo Bork:

      Viel Geraune und Vermutungen aber nichts handfestes. Ganz evenuell könnte es ja sein, dass wenn 'die Medien' "sich zu oft seltsam einig" sind, dass die Lage eben relativ eindeutig ist? Würden sie eine Medienlandschaft für glaubwürdiger halten die sich über die Faktenlage eher selten einig wäre? Und welche der derart präsentierten 'alternativen Fakten' würden sie dann für glaubwürdig halten? Es gibt eben einen Unterschied zwischen einem gesunden Skeptizismus, der Plausibilität und Quellenlage prüft und einer Haltung die in jeglicher Meldung Propaganda und Lügen vermutet und damit zu der fatalistischen Haltung führt ohnehin keiner Wahrheit trauen zu können. Letzteres kann unter totalitären Bedingungen funktionieren, wie so etwas aber mit einer freien Presse möglich sein sollte müssten sie schon erklären, statt es nur zu unterstellen.



      Wenn die Wahrheit immer "irgendwo in der Mitte" liegt wäre die Erde demnach eine Halbkugel?

  • In jedem Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.

    Wer nur Kartoffeln kennt, wird immer sagen, dass Kartoffeln das beste Gemüse sind.



    Wer nur die Staatssender empfängt ahnt zwar, dass die Inhalte Regierungs-gefällig sind, glaubt aber trotzdem den größten Teil, weil er keine weiteren Quelle hat.



    Menschen sind leider leicht zu manipulieren, wenn sie nur von kontrollierten Quellen informiert werden. Das gilt leider bedingt auch für ARD und ZDF, die ich auch nicht immer für völlig neutral halte (siehe Wahlvorhersagen).

    • @Rudi Hamm:

      kartoffeln sind kein gemüse

    • @Rudi Hamm:

      Und wer diktiert ihrer Einschätzung nach ARD und ZDF wie sie zu berichten haben? Und warum hat sich noch nie ein*e von diesen Methoden betroffener*r Journalist*in dem widersetzt und solche Einflussnahmen publik gemacht?



      "Reporter ohne Grenzen" hat doch gerade erst einen Bericht zur Pressefreiheit veröffentlicht. Das erschreckende Ergebnis: die größte Bedrohung für die Pressefreiheit geht hierzulande von Leuten aus die die Medien für manipuliert halten und von sich behaupten für Presse- und Meinungsfreiheit einzutreten.

      • @Ingo Bernable:

        "Und wer diktiert ihrer Einschätzung nach ARD und ZDF wie sie zu berichten haben?"



        Niemand. Sie machen das freiwillig. Wie die taz. Kein Diktat erforderlich :-)

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    Die Moderation

    • @Dieter Rasse:

      Aus dem gleichen Grund glauben in Deutschland so viele die Parolen der Lügenpresse-Rufer von AfD über Querdenker bis Pegida und Dritter Weg - sie wollen Verhältnisse wie in Russland herbeibrüllen.