Russland beruft Volksabstimmung ein: Putin sucht Anschluss

Ab Freitag werden die besetzten Teile der Ost- und Südukraine per Referendum Teil von Russland. Die Ukraine erkennt darin „Angst vor der Niederlage“.

Eine Hand hält einen russischen Pass, ein Stft liegt auf dem Tisch

Bereits in den letzten Jahren wurden an Bewohner der „Volksrepubliken“ russische Pässe vergeben Foto: Konstantin Mihalchevskiy/SNA/imago

BERLIN afp/ap/dpa/taz | Angesichts zunehmender militärischer Misserfolge in der Ukraine versucht Russland jetzt, die Kontrolle über seine besetzten Gebiete zu konsolidieren. Die von Russland kontrollierten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk kündigten am Montag „Referenden“ zum Anschluss an Russland an. Am Dienstag folgten die russischen Besatzungsbehörden in den ukrainischen Gebieten Cherson und Saporischschja.

„Ich informiere Sie darüber, dass das Referendum entsprechend dem Dekret von 23. bis 27. September 2022 stattfinden wird“, erklärte der Chef der von Moskau eingesetzten Verwaltung von Cherson, Wladimir Saldo, am Dienstag. Denis Puschilin, der Separatistenchef in Donezk, erklärte: „Die seit Langem leidende Bevölkerung des Donbass hat das Recht verdient, Teil des großartigen Landes zu sein, das sie immer als ihr Mutterland betrachtet hat.“

Die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wurden 2014 im Rahmen eines vom russischen Militär initiierten separatistischen Aufstandes ausgerufen und umfassen Teile der gleichnamigen ukrainischen Gebiete.

In den vergangenen Jahren wurden an ihre Bewohner russische Pässe ausgegeben, am 21. Februar dieses Jahres erkannte Russlands Regierung sie als unabhängige Staaten an und beschloss eine „Friedensmission“ zu ihrem „Schutz“. Die Umsetzung davon war der russische Großangriff auf die gesamte Ukraine drei Tage später. Nachdem dies scheiterte, sprach Russland wieder verstärkt von der „Befreiung des Donbass“ als Kriegsziel.

Strategie: Fakten schaffen

Die russisch besetzten Teile der Gebiete Saporischschja und Cherson bilden eine Landbrücke zwischen dem russisch besetzten Donbass und der annektierten Krim und umfassen auch die Wasserversorgungsgebiete der Krim auf ukrainischem Gebiet.

Die Stadt Saporischschja steht weiter unter ukrainischer Kontrolle, nicht aber das gleichnamige Atomkraftwerk. In diesen Gebieten war schon vor Monaten ein Referendum zum Anschluss an Russland für den 11. September angesetzt, es wurde dann angesichts ukrainischer Offensiven abgesagt.

Der Ausgang einer Volksabstimmung unter russischer Militärkontrolle gilt als klar. Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Ex-Präsident Dmitri Medwedjew, erklärte, die Eingliederung von Luhansk und Donezk werde die neu gezogenen Grenzen „unumkehrbar“ machen und Moskau in die Lage versetzen, sie unter Einsatz „aller Mittel“ zu verteidigen.

Ebenfalls am Dienstag verabschiedete das Unterhaus (Duma) des russischen Parlaments im Eilverfahren Gesetzesänderungen, die auf eine mögliche Verhängung des Kriegsrechts hindeuten könnten. So legte die Duma fest, dass Zeiten der „Mobilmachung“ und des „Kriegszustandes“ besonders anfällig seien für Verbrechen.

Mehr militärischer Einsatz?

Der Kreml hatte nach der schweren Niederlage der russischen Truppen in der ostukrainischen Region Charkiw vor zwei Wochen noch erklärt, dass „im Moment“ keine Mobilmachung anstehe. Prominente russische Politiker und Staatsmedien forderten allerdings zuletzt, deutlich mehr Militär zu mobilisieren. Auch in den Separatistenregionen verlangten die Kommandeure mehr russischen Einsatz.

Die Streitkräfte der Ukraine hatten in den letzten zwei Wochen Russland fast vollständig aus dem Gebiet Charkiw im Nordosten des Landes verjagt und liefern sich derzeit mit den russischen Truppen an deren verbleibender Angriffsfront im Norden des Gebiets Donezk schwere Kämpfe. Sie sind auch erstmals seit Juli wieder in das Gebiet Luhansk vorgedrungen. Auch im Süden der Ukraine hat Russland zuletzt an Boden verloren, vor allem im Norden des Gebiets Cherson.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die geplanten Abstimmungen für völkerrechtswidrig erklärt. Es sei „ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können, dass sie nicht gedeckt sind vom Völkerrecht und von den Verständigungen, die die Weltgemeinschaft gefunden hat“, sagte Scholz am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung in New York. „Das ist alles nur der Versuch einer imperialistischen Aggression, die dadurch verbrämt werden soll.“

Die Regierung der Ukraine wertete die Referendumsankündigungen als russisches Eingeständnis des Scheiterns. „So ist sie, die Angst vor der Niederlage,“ sagte Andrij Jermak, Chef der Präsidialverwaltung der Ukraine. Er warf Russland „primitive Manipulation“ vor.

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