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Russische Niederlage auf G20-GipfelMoskaus diplomatisches Cherson

Sven Hansen
Kommentar von Sven Hansen

Auf Bali hat Russland eine diplomatische Niederlage einstecken müssen, auch ehemals neutrale Staaten verurteilen den Krieg. Es wird eng für Wladimir Putin.

Hat den G20-Gipfel vorzeitig verlassen. Wäre sonst womöglich noch ungemütlicher geworden Foto: Leon Neal/Pool/ap

K eine Frage: Es läuft nicht gut für Wladimir Putin und seine Angriffskrieger. Auf Russlands militärische Niederlage im Kampf um die ukrainische Stadt Cherson folgte jetzt eine diplomatische Niederlage beim G20-Gipfel in Bali. Im kursierenden Entwurf der Abschlusserklärung, die an diesem Mittwoch von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden soll, heißt es, dass „die meisten“ von ihnen den Krieg in der Ukraine „scharf verurteilen“.

Doch so, wie Moskau sein Desaster in Cherson nur als taktischen Rückzug zu verklären sucht, strickt Moskau auch seine diplomatische Niederlage propagandistisch um. Der böse Westen habe die Erklärung „politisiert“ und versucht, Formulierungen reinzuschmuggeln, die eine Verurteilung Russlands implizieren, erklärte Außenminister Sergei Lawrow laut der russischen Agentur Tass in Bali.

Die Diplomatie hält Formulierungen oft schwammig, um Kompromisse und Gesichtswahrung zu ermöglichen. In Bali wurde jetzt in der Kriegsfrage ein Weg gewählt, der keine Einstimmigkeit sucht, die unmöglich gewesen wäre, aber eben doch Mehrheitsverhältnisse ausdrückt, ohne sie klar zu benennen. So ist auch die Zustimmung derjenigen möglich, die eine Minderheitsposition vertreten. Selbst Lawrow hat dem nachgegeben, schließlich wird betont, dass G20 kein Forum sei, „um Sicherheitsfragen“ zu lösen. Russland verweist auf die UNO, wo es im Sicherheitsrat bekanntlich ein Vetorecht hat.

Doch kann Moskau jetzt nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine diplomatische Unterstützung bröckelt. Denn auch Regierungen, die sich bisher aus taktischem Eigeninteresse auf Russlands Seite gestellt haben, sind von dessen Politik immer weniger überzeugt und wollen angesichts einer sich andeutenden militärischen Niederlage offenbar nicht mehr so stark mit Moskau identifiziert werden.

Prominentestes Beispiel hierfür ist China. Dabei hat Peking sicher kein Interesse, dass „der Westen“ triumphiert und damit letztlich Washingtons Hegemonie wieder gestärkt wird. China wünscht eine multipolare Welt, in der es nicht allein Washingtons Gegen­spieler ist, sondern es dazu noch andere Gegenpole wie etwa Russland gibt. Doch braucht China auch noch gute Wirtschaftsbeziehungen mit westlichen Ländern und will diese deshalb nicht verprellen in einer Zeit, in der Putin mit der Androhung eines Atomwaffeneinsatzes auch aus Sicht Pekings den Bogen überspannt.

Deshalb ist Peking mit seiner mutmaßlichen Zustimmung zur Abschlusserklärung etwas von Moskau abgerückt. Bali ist ohne Zweifel eine diplomatische Niederlage Moskaus, und Lawrows frühzeitige Abreise, die ihm die Schmach dieser Niederlage erspart, das diplomatische Pendant zum Rückzug aus Cherson.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin
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27 Kommentare

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  • Es hat sich wenig geändert:

    1.) Weiterhin unterstützt, soweit ich sehe, KEIN Land Asiens die NATO-Osterweiterung - und dafür gibt es Gründe, die der Westen wahrnehmen und erkennen sollte!

    2.) Selbstverständlich ist die Mehrheit der UNO-Mitglieder für die völkerrechtliche Grundlage der UNO: Gewaltverzicht und Zivilisation. Darum geht es in der aktuellen Abstimmung.

    • @Rosmarin:

      "Weiterhin unterstützt, soweit ich sehe, KEIN Land Asiens die NATO-Osterweiterung"



      Warum sollte es auch? Erstens wäre die Frage, von was für einer NATO-Osterweiterung so gerne fabuliert wird, zum anderen ist es Fernost schlicht völlig egal, was diesbezüglich in Europa vorgehen mag...



      "Grundlage der UNO: Gewaltverzicht und Zivilisation. Darum geht es in der aktuellen Abstimmung."



      Äh - nein. Hier geht es um den G20-Gipfel. Das ist kein UNO-Gremium.

    • @Rosmarin:

      Warum sollten die asiatischen Staaten eine NATO-Osterweiterung ablehnen, die doch gar nicht zur Debatte steht? Und wenn, dann doch nur, weil Putin mit seinem verbrecherischen Angriffskrieg neue Tatsachen geschaffen hat, die hier ein Umdenken erfordern (den Begriff “Zeitenwende“ halte ich in diesem Zusammenhang übrigens für falsch, zu hoch gegriffen und obendrein ideologisch aufgeladen) … damit hat sich Putin sozusagen selbst ins Knie geschossen. Ursache und Wirkung nicht vergessen!



      Damit Sie mich nicht falsch verstehen: ich persönlich war ein Gegner der NATO-Osterweiterung und bin es prinzipiell immer noch … weil ich mir nicht vorstellen kann, dass eine Aufnahme der Ukraine in das westliche Bündnis die grundlegenden Konflikte mit Russland dauerhaft lösen könnte, selbst wenn es nach diesem Krieg für lange Zeit ökonomisch und militärisch am Boden liegen wird. Dieses Szenario entspricht nicht meiner Vorstellung von einer nachhaltigen europäischen Sicherheitsarchitektur und Friedensordnung.



      Aber auch, wenn es so kommt: das verdanken wir dann in erster Linie immer noch Putin und den Seinen, auch, wenn manche Transatlantiker über diese Entwicklung frohlocken werden.

    • @Rosmarin:

      Südkorea? Japan? Taiwan? Die sind ganz froh unter dem US-Schirm zu sitzen und denke die haben wenig Probleme mit der NATO.

      Gründe gibt es viele aber letztlich keine die die Interessen der Polen, Balten etc. überstimmen. Jedes Land hat Recht auf freie Bündniswahl und wie der derzeitige Krieg zeigt haben unsere Freunde im Osten Russland deutlich besser eingeschätzt als die Deutschen.

  • Auszug aus der Erklärung:



    "„Die meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste und betonten, dass er unermessliches menschliches Leid verursacht und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft – durch geringeres Wachstum, steigende Inflation, die Unterbrechung von Lieferketten, eine Erhöhung der Energie- und Ernährungsunsicherheit und neuen Risiken für die Finanzstabilität“



    ( www.tagesspiegel.d...soll-8875915.html? )



    Man ist wenigstens soweit ehrlich das das wichtigste Anliegen die Wirtschaft ist!

    • @Mustardmaster:

      Falsch! '... unermessliches menschliches Leid...' (Dazu gehört auch Hunger.)

    • @Mustardmaster:

      "Man ist wenigstens soweit ehrlich das das wichtigste Anliegen die Wirtschaft ist!"



      Das sollte bei einem Wirtschaftstreffen, das dieser G20-Gipfel ja eigentlich ist, nicht weiter verwundern.

  • Bildunterschrift: "Die sind alle böse! Ich hau´ lieber ab!"



    Herzlichen Glückwunsch zu diesem genialen Schnappschuss!

  • „Der Entwurf enthalte nun sowohl die westliche als auch die russische Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine.“



    Was der Autor sehen mag, verstehe wer will. Eine Verurteilung sieht anders aus.

    • @Genderer:

      Wen zitieren Sie da? Im Artikel heißt es jedenfalls:

      „Im kursierenden Entwurf der Abschlusserklärung, die an diesem Mittwoch von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden soll, heißt es, dass „die meisten“ von ihnen den Krieg in der Ukraine „scharf verurteilen“.“

      • @Barrio:

        Ich zitiere aus der Abschlusserklärung.



        Darin heißt es: »Die meisten Mitglieder haben den Krieg in der Ukraine auf das schärfste verurteilt und haben betont, dass er unermessliches menschliches Leid verursacht und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft.«



        Ebenso festgehalten wird: »Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Situation und der Sanktionen.«



        Es gibt auch andere Zeitungen die genau das zitieren was beschlossen wurde. Keine Träume, nichts verschweigen, sondern nur das wiedergeben was auch so nachzulesen ist.

      • @Barrio:

        Es gibt ja noch andere Zeitungen als die taz. Googeln Sie mal, dann werden Sie fündig. Da finden Sie auch andere Sichtweisen. Und wenn Sie nichts finden, dann können Sie gerne nochmal nachfragen. Ich helfe gerne weiter.

        • @Genderer:

          Ich denke, wir alle wissen, dass es noch andere Zeitungen als die TAZ gibt. Aber gut, dass es die TAZ gibt, nicht wahr?

  • „die meisten“ von ihnen den Krieg in der Ukraine „scharf verurteilen“

    Das bedeutet: Bis zu 9 der 20 verurteilen den Krieg nicht! Es ist also möglich, dass die G7 nur 4 von 13 Ländern auf ihre Seite ziehen konnten.

    Die genauen Zahlen und um wen es sich jeweils handelt ist nicht bekannt und wird wohl auch nicht veröffentlicht werden.

    Das ist sicher eine Niederlage für Russland, aber die große Niederlage von der jetzt alle reden ist es auch nicht.

    • @Rudolf123:

      Wenn nicht durchsickert wer diese max. 9 sein sollen und wenn die Länder es nicht von sich aus veröffentlichten, dann ist es schon eine heftige Niederlage.

    • @Rudolf123:

      Ich stimme Rudolf123 zu. Nach dem Rückzug aus Cherson scheinen die Russen auch auf Bali Kreide zu fressen. Und zu Recht sind die meisten Politiker und Journalisten immer noch bass erstaunt ob der wundersamen Wandlung von Putin und Konsorten.



      Ich traue diesem Braten nicht!

    • @Rudolf123:

      Russlands große Niederlage kommt noch früh genug.

      • @Barrio:

        Ist die nicht schon ein paar hundertausend Tote zu spät?

        • @KnorkeM:

          Dem würde ich nicht widersprechen.

    • @Rudolf123:

      der wichtigste Punkt ist aber, das China Russland nicht öffentlich deckt. Die Haltung Mexicos, Argentinien, Indonesiens spielen vielleicht in der Stimmenanzahl eine Rolle, entscheidend sind aber die Positionen der großen Teilnehmer, vor allem China und da hat Russland keinen Blumenpott gewonnen sondern Grenzen aufgezeigt bekommen. das ist noch nicht der Anfang vom Ende und China hat Russland nicht die Freundschaft aufgekündigt, es ist aber ein ordentlicher Schuß vor den Bug.



      Und vor allem, ist diese Erklärung zustandegekommen und wurd enicht verhindert, auf von denen nicht, die sich indifferent verhalten

    • @Rudolf123:

      Jede Niederlage Wladilands, ist eine grosse Niederlage. Möge der Tag bald kommen, an dem auch dieser Ceasar erstaunt ausruft: Auch du Brutus?

      • @Kuno Ratte:

        Assad, Erdogan, Kim Jong-un, Maduro, Mohammed bin Salman ... alles böse Buben durch und durch ... alle schon hundertmal totgesagt... und alle noch immer in Amt und Würden!

        • @Rudolf123:

          Nur Putin darf nicht verlieren. Das geht für ihn schief. Assad bspw. hat zwar einen grausamen, aber eben Sieg errungen.

          • @zeroton :

            Also als ich vorgerstern geschaut habe, wurde in Syrien noch gekämpft.

            Assad ist eine 100%ige Marionette Putins. Fällt Putin, fällt Assad.

    • @Rudolf123:

      und auch eine scharfe Verurteilung bedeutet gar nichts, wenn keine Taten folgen ...

    • @Rudolf123:

      Richtig, es müsste,"ALLE haben den Angriff auf die Ukraine scharf verurteilt" heißen ...Und auch nicht erst jetzt! Das Ganze hat schon ein "Geschmäckle" - finde ich.

      • @Tomphson:

        "Richtig, es müsste,"ALLE haben den Angriff auf die Ukraine scharf verurteilt" heißen .."



        Na ja, solange Russland Teil dieses "Alle" ist, ist das nicht mal utopisch, oder?