Rettungsversuch für die Mundarten: Guter Dialekt, böser Dialekt
Die Bayern wollen ihre eigene Sprache wieder stärker fördern. Doch was, wenn in Deutschland plötzlich alle nur noch Mundart sprechen?
Am Mittwoch fiel die bayerische Landesregierung einmal mehr mit einer Kernkompetenz auf: Lokalkolorit verbreiten. Mit dem Projekt „Mundart Wertvoll“ will sie den bairischen Dialekt retten. Es stellen sich mehrere Fragen: Was nützt das noch? Warum machen so etwas eigentlich immer nur die Bayern? Wie sollen die Deutschen einander verstehen, wenn der eine schnackt, der andere redt und der dritte babbelt? Und ist der Trend zur Dialektförderung überhaupt sinnvoll?
In den Städten hat sich die Sache mit den Dialekten im Wesentlichen erledigt. Und auch auf dem Land geht es bergab. Freiwillige Schulangebote, wie in der „Handreichung“ vorgeschlagen, werden kaum ausreichen, den Niedergang der Mundarten noch zu bremsen. Es fehlen schlicht die potenziellen Vermittler. Deshalb blieben den Initiatoren auch nur löbliche Einzelbeispiele, die versuchen, so schöne Wörter wie Wadschngsichdl und Zibbfegladscha zu konservieren.
Auch andernorts ficht man den Kampf um die Sprache aus. Die Bayern inszenieren ihn nur am wirkungsvollsten. Im ganzen Land sollen auch künftige Generationen etwas mit Begriffen wie Dösbaddel, Gnusborgobb oder Huatsempel (Steigerungsform von Sempel) anfangen können. Doch über Schul-AGs gehen die Bemühungen selten hinaus, und jene, die am Gartenzaun in Mundart lästern, sterben weg.
Nun stelle man sich aber ein Land vor, in dem die Menschen sich gegenseitig mit genannten Höhepunkten der deutschen Sprachgeschichte beleidigen wollen. Wie soll das funktionieren, wenn sie einander nicht verstehen? Die ganze Erzählung der Deutschen als in der Sprache vereintes Volk würde über den Haufen geworfen, wenn man sich nicht mehr auf ein zünftiges „Arschloch“ einigen kann. Die Dialekte als Totengräber der Nation! Deshalb wurden sie doch jahrzehntelang so tatkräftig aus dem öffentlichen Leben verbannt.
Die Vergangenheit lässt sich mit einer freundlichen Empfehlung aus München nicht ungeschehen machen. Wenn, dann können die Dialekte gerettet werden, wo man sie noch spricht. Vielleicht stimmt es ja, dass Dialekt in kosmopolitischen Zeiten Sicherheit bieten kann. Wo fühlt man sich schließlich mehr zu Hause als dort, wo nicht jeder dahergelaufene Großstädter versteht, worüber die Leute schimpfen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen