piwik no script img

Resolution gegen AntisemitismusNicht komplex genug

Frederik Eikmanns
Kommentar von Frederik Eikmanns

Natürlich ist es gut, wenn die Ampel und die Union jüdisches Leben schützen wollen. Doch ihr endlich fertiger Resolutionstext dazu übersieht einiges.

Schon vor der Resolution eher wenig förderlich: Beschmierungen an einer Neuköllner Hauswand Foto: Lisi Niesner/reuters

R und 13 Monate sind vergangen, seit die Hamas über tausend Menschen ermordete. 13 Monate, in denen sich der Antisemitismus Bahn gebrochen hat. Und volle 13 Monate haben die Ampelfraktionen und die Union auch gebraucht, um eine gemeinsame Resolution gegen Antisemitismus aufzusetzen. Ärgerlich genug, dass es so lange gedauert hat. Hat sich das Warten wenigstens gelohnt? Na ja.

Die Stoßrichtung des Entwurfs stimmt: Bund, Länder und Kommunen sollten dringend mehr dafür tun, Ju­den*­Jü­din­nen zu schützen. Dafür müssen sie scharf gegen An­ti­se­mi­t*in­nen vorgehen, auch mit härteren Strafen. Und natürlich sollten öffentliche Gelder auf keinen Fall an antisemitische Organisationen und Projekte gehen. Doch es drohen gesellschaftlichen Nebenwirkungen, wenn man dabei nicht überlegt vorgeht.

Die strenge IHRA-Definition von Antisemitismus, die im Papier explizit bekräftigt wird, hat ihre Berechtigung: Hinter sogenannter „Israelkritik“ verbirgt sich oft Judenhass. Doch sollte allein auf Grundlage dieser durchaus umstrittenen Definition entschieden werden, ob Künst­le­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen staatliche Förderungen erhalten? Es besteht die Gefahr, dass auch denen die Gelder entzogen werden, die sich nur im Entferntesten kritisch mit Israels Politik auseinandersetzen. Das könnte ungewollt austrocknen, was für die Sicherheit der Ju­den*­Jü­din­nen in Deutschland eben auch wichtig ist: die kritische Zivilgesellschaft.

Die wird dringend gebraucht, um im Auge zu behalten, was der Resolutionstext mit seinem Fokus auf migrantischen und israelbezogenen Antisemitismus vernachlässigt. Es sind ja nicht nur Hamas-Unterstützer*innen und verirrte Linke, die Judenhass in Deutschland befeuern. Da sind ja noch die Höckes, die rechtsextremen Po­li­zis­t*in­nen und die Bürger*innen, von denen in Umfragen teils über die Hälfte judenfeindlichen Positionen zustimmt. Antisemitismus ist komplex. Der Resolutionsentwurf wird dem nicht gerecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Frederik Eikmanns
Fachredakteur Inland
Themenschwerpunkte Migration, Flucht und Antisemitismus
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.                   Die Moderation                             
  • Danke für den Artikel und Zusammenfassung der Kritik an der IHRA-Definition. Dort ist eigentlich fast nur von einem israelbezogenen Antisemitismus die Rede, welcher mit Beispielen illustriert werden soll. Nun kann man anhand von Beispielen eine Sache nicht definieren, weshalb in der IHRA eine Antisemitismus-Definition fehlt.

    In dieser Definition soll angeblich rechter, islamischer und linker Antisemitismus thematisiert werden, doch trifft es eigentlich nur Linke und arabische "Ausländer".

    Denn: der rechtsextreme Antisemitismus ist heute überwiegend israelverherrlichend. Man beachte die engen Sympathien von Trump, Milei, Duterte, Orban, Le Pen u.a. mit der rechtsextremen Israelischen Regierung. Die Kritik an Israel kommt so gut wie nie von rechts, weshalb in der IHRA-Definition die Rechten auch gar nicht ins Visier genommen werden - ausgerechnet.

    Auch ist bekannt, auf welche deutsche Partei der BDS-Beschluss im Deutschen Bundestag zurückgeht: auf die AfD. Gemäß von deren Ethnopluralismus darf und soll jedes Volk seinen Staat haben. Umso besser, wenn ein Staat als Bollwerk gegen die islamische Bedrohung fungiert, so die Denkweise der AfD, aber eben nicht nur der AfD.

  • Freundschaft und Solidarität mit Israel muss auch Kritik (speziell an der Regierungspolitik Israels) aushalten. Da gibt einiges zu kritisieren bei der aktuellen Regierung. Ich sehe allerdings nicht, dass die Resolution dem entgegensteht. Sie adressiert viel grundsätzlichere Dinge: Das Existenzrecht Israels darf niemand in Frage stellen und das Leben der Juden in Deutschland muss angstfrei möglich sein. Das ist momentan nicht der Fall und darum ist die Resolution überfällig. Jetzt muss sie aber auch umgesetzt werden.

  • FCK ISR an eine Wand zu schreiben zeugt zwar nicht gerade von Kreativität und Argumentationsstärke aber ist per se genauso wenig "antisemitisch" oder "antijüdisch" wie "Fuck Iran" antimuslimisch wäre oder wie es grundsätzlich antiamerikanisch gewesen wäre, als Protest gegen den Irakkrieg "Fuck the USA" auf eine Wand zu schmieren.

    Das einzige was man erreicht, wenn man permanent den Antisemitismus-Alarmknopf drückt , ist Desensibilisierung.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    >> Doch sollte allein auf Grundlage dieser durchaus umstrittenen Definition entschieden werden, ob Künst­le­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen staatliche Förderungen erhalten?

  • Der Text ist komplex genug und beinhaltet auch den Antisemitismus von Rechtsextremen:

    Auszug des Textes im SPIEGEL: »Seit dem grausamen Terror-Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sehen wir in Deutschland Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau«, heißt es darin. Die Entwicklung sei »sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen«."

    www.spiegel.de/pol...-a8cb-67e2c2601168

    Es ist vielmehr so, dass Judenhass in Deutschland in der Vergangenheit unterkomplex behandelt wurde, indem der Bezug auf die "islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus" marginalisiert und weitgehend ausgeklammert wurde.

    Der Text ist sicherlich ein Fortschritt gegenüber früher. Hoffentlich wird er auch so umgesetzt.

  • Preußischens Erbe? Ein Wandel der Mentalität scheint in Deutschland nicht möglich zu sein. Des deutschen liebstes Kind, die Rufe nach dem Staat er möge es richten, am besten in Form von Verboten oder Sanktionen.

    Erspart manchem die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung. Zwei Charakteristika die noch nie zu den Stärken der Deutschen gehörten.

    Bis vor gut 200 Jahren wurde in Preußen und in anderen Landesteilen ähnlich verfahren. Nur war es damals die Konfessionzugehörigkeit und keine Gesinnungsprüfung.

    Die Opfer des Radikalenerlass von 1972 dürften dieser Tage ein Déja-vu Erlebnis haben.

    Und im Kampf gegen Antisemitismus ist mit dieser Resolution nichts gewonnen, es bleibt Aufgabe der Gesellschaft dagegen anzugehen.

    • @Sam Spade:

      Das Denken in Rassenmerkmale wird wohl nie aussterben... ;(

      Aber mal anders gedacht: Welche Relevanz haben Bezüge auf das untergegangene Preußen für das heutige multiethnische Deutschland?

    • @Sam Spade:

      Ein guter Schritt wäre es, einige jüdische und einige muslimische Feiertage zu gesetzlichen Feiertagen zu machen. Würde zu einer offenen Gesellschaft mit Religionsfreiheit gut passen.

  • 6G
    698967 (Profil gelöscht)

    Die Sorge, dass z.B. Künstler*innen Gelder gekürzt bekommen und damit die "kritische Zivilgesellschaft" verstummt? Auch vor dem Kürzen irgendwelcher Gelder sind große Teile dieser Gesellschaftsschichten viel zu ruhig geblieben zum Thema "Antisemitismus" und wie verschiedene Vorkommnisse gezeigt haben, ist sogar eher das Gegenteil erfolgt (siehe auch Jim Hawkins Kommentar) Es ist auch nach der IHRA Definition möglich Israel zu kritisieren ohne antisemitische Narrative zu bedienen. Das sollten wir schon erwarten können z.B. von Professor*innen.

  • „Hinter sogenannter „Israelkritik“ verbirgt sich oft Judenhass.“

    Es ist genau diese völlig undifferenzierte Haltung, die eine sinn- und maßvolle Kritik an der israelischen Staatsführung in hierzulande immer unmöglicher macht.



    In Deutschland wird schließlich nicht (mehr) diskutiert, sondern bestraft. Durch den Entzug von Fördermitteln, durch Entlassungen, durch öffentliche Diskreditierung Einzelner. Nun kommt noch Strafrecht dazu.



    Als ob wir hier noch eine lebendige Gesprächskultur hätten, die es zu unterdrücken gilt…

  • "Es besteht die Gefahr, dass auch denen die Gelder entzogen werden, die sich nur im Entferntesten kritisch mit Israels Politik auseinandersetzen."

    Woher kommt denn genau diese Befürchtung? Bisher wurde doch nur über Fälle debattiert, in denen es um Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung ging.

    Die Documenta wurde im Wesentlichen durchgewunken, die Verantwortlichen bekamen im Nachklapp Professuren, bei der Berlinale konnte auch gesagt und gezeigt werden, was man eben wollte.

    Dieser verdammte Antisemitismus. Ein rätselhaftes Phänomen. Kaum zu greifen, schwer zu beschreiben, anscheinend ein gänzliches unerforschtes Land.

    Zumindest, wenn man die Augen so fest es eben geht, zudrückt.

    • @Jim Hawkins:

      Nach wie vor finde ich Sartre in dem Zusammenhang sehr gut:



      Gäbe es die Juden nicht, der Antisemit würde sie erfinden.

      Man kann so wunderschön projizieren. Antisemitismus ist wahnsinnig praktisch für Leute, die ihren eigenen Mist nicht reflektieren wollen und ihn dann, pervertiert über ihr Unterbewusstsein, auf die Juden schieben. Unabhängig von politischen Richtungen, bevorzugt von Christen und Muslimen.

      In der Art: Die Milch ist sauer, der Jude wars.

      Leider machen da auch so einige Linke mit. Schaue ich in meinen Bekanntenkreis sehe ich, dass noch so viel Argumentation nicht hilft.

      Mir scheint's, manche Minds sind prädisponiert für Antisemitismus.

      Kurz und knapp dazu:

      www.srf.ch/kultur/...ber-antisemitismus

    • 6G
      698967 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Da kann ich Ihnen nur zustimmen.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    >> Doch sollte allein auf Grundlage dieser durchaus umstrittenen Definition entschieden werden, ob Künst­le­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen staatliche Förderungen erhalten?

  • Die „Gefahr“, dass die „Falschen“ ihre Projekte nicht mehr finanziert bekommen, halte ich wieder für herbeigeredet. Gegen Höcke&Co positionieren sich doch ohnehin Hinz&Kunz. Ohne den neuen entgrenzten (internationalen) Antisemitismus mit Islamismusbezug wäre das Thema doch gar nicht auf die Tagesordnung gekommen und hätte keine Positionierung nötig gemacht. Gut so, dass der Entwurf nicht wieder aufgeweicht wurde.

  • Es ist nicht komplex sondern sehr simpel: Die politische Linke wird in die Bedeutungslosigkeit rutschen ohne eine klare Distanzierung von „Hamas-Unterstützer*innen und verirrte Linke, die Judenhass in Deutschland befeuern“.