Repressionen in Hongkong: 14 Demokratieaktivisten „schuldig“
In Hongkongs größtem Politprozess seit Niederschlagung der Demokratiebewegung ist ein Urteil gefallen. Den Aktivisten drohen hohe Haftstrafen.
Die insgesamt 16 Aktivisten gehören zu einer Gruppe von 47 Angeklagten, von denen die meisten bereits seit über drei Jahren in Haft sitzen. Die nun Verurteilten hatten im Unterschied zu den restlichen 31 auf „nicht schuldig“ plädiert. Ihre Urteile werden demnächst erwartet.
Die Gerichtsverhandlungen dauerten vom Februar bis Dezember 2023. Strafmaße wurden noch nicht verkündet, doch dürften sie von langjährige Haftstrafen bis zu lebenslänglich reichen.
Vorgeworfen wird der auch als „Hongkong 47“ bezeichneten Gruppe die Organisation einer informellen Vorwahl im Juli 2020 im Vorfeld der regulär für das gleiche Jahr geplanten Wahlen für den Hongkonger Legistlativrat, das Parlament der Stadt.
Gericht: Informelle demokratische Vorwahl ist Subversion
Der früheren britischen Kronkolonie Hongkong war bei ihrer Rückgabe an China im Jahr 1997 von der Volksrepublik ein hohes Maß an Autonomie zugesagt worden. Doch die schränkte Peking nach Meinung der Opposition immer stärker ein. Eine in Aussicht gestellte Demokratisierung blieb aus.
Mehr als 600.000 Menschen beteiligten sich an den informellen Vorwahlen, welche die beliebtesten Kandidaten der Demokratiebewegung identifizieren und damit die Wahlchancen der Peking-kritischen Opposition erhöhen sollten. Gleichzeitig sollte die Regierung zur weiteren Demokratisierung gedrängt werden.
Den Angeklagten, die lediglich friedlich Widerstand gegen Pekings zunehmende Einmischungen leisteten, warf das Gericht vor, Warnungen der Hongkonger Regierung missachtet zu haben. Mit unlauteren Methoden sei versucht worden, eine Mehrheit im Parlament zu erringen, um den Haushalt der Regierung blockieren zu können und eine Verfassungskrise auszulösen. Womöglich hätte die damalige Peking-hörige Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam dann zurücktreten müssen.
Das Gericht wertete die informellen Vorwahlen als „Verschwörung zur Subversion“. Nur wenige Tage vor diesen war das harsche nationale Sicherheitsgesetz inkraft getreten. Das Gesetz, das der Stadt zum 1. Juli 2020 von Peking zur Bekämpfung angeblicher subversiver, terroristischer oder konspirativer Aktivitäten aufgedrückt wurde, sieht hohe Hafstrafen für den Tatbestand vor.
Human Rights Watch: „Missachtung von Rechtsstaatlichkeit“
Verteidigung und Menschenrechtsgruppen werten die Argumentation des Gerichts als undemokratisch. So erklärte Maya Wong von Human Rights Watch: „Dass ein Hongkonger Gericht 14 Menschen für ihren friedlichen Aktivismus schuldig spricht, zeigt die völlige Missachtung von demokratischen politischen Prozessen und der Rechtsstaatlichkeit.“
Mit Hilfe des Sicherheitsgesetzes wurden in Hongkong regierungskritische Proteste verboten, oppositionelle Medien geschlossen. Zahlreiche Demokratieaktivisten wurden nach und nach verhaftet oder ins Exil getrieben. 2019 und in der ersten Jahreshälfte 2020 war es in Hongkong über Monate zu Massenprotesten mit mehreren hunderttausend Teilnehmenden gekommen. Grundlage war ein Gesetz gewesen, das Auslieferungen an Peking ermöglichen sollte. Die Starrköpfigkeit der Regierung führte zu gewalttätigen Unruhen.
Nach den Protesten wurden die regulären Wahlen zum Legistlativrat unter Verweis auf die Corona-Pandemie verschoben. Seitdem dürfen bei Wahlen in Hongkong nur noch Peking-freundliche Politiker kandidieren. Vertreter der Demokratiebewegung sind ausgeschlossen.
Zu den Angeklagten und Verurteilten gehören Politiker, Ex-Parlamentarier, Wissenschaftler und auch international bekannte Aktivisten wie Studentenführer Joshua Wong, Juraprofessor Benny Tai oder der Ex-Abgeordete Leung Kwok-hung.
Urteile dürften abschrecken
Der 118-tägige Prozess unter Vorsitz von drei durch Hongkongs Peking-naher Regierung handverlesenen Richtern fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Zahlreiche Diplomaten waren bei der Urteilsverkündung zugegen.
Die Schuldsprüche erfolgten jetzt nur wenige Tage vor dem 35. Jahrestag des Pekinger Tiananmen-Massakers und dürften eine starke abschreckende Wirkung haben. An die blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Jahr 1989 wurde in Hongkong stets mit zehntausenden Teilnehmenden öffentlich erinnert. Auch dies ist jetzt verboten.
Noch am Dienstag wurde in Hongkong ein Aktivist verhaftet, der in der Vergangenheit an der Organisation von Mahnwachen für das Massaker beteiligt war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut