Demokratiebewegung in Hongkong: Mit Bananen gegen Peking
Der Hongkonger Abgeordnete Leung Kwok-hung fordert mit seinem Rücktritt die Regierung in Peking heraus. Sein Ziel: ein Referendum für mehr Demokratie.
Die fünf Studierenden kichern verunsichert, als der Abgeordnete Leung Kwok-hung sie in sein Büro bittet. Doch schnell entspannen sie sich. Denn Leungs Büro ist kein Vorhof politischer Macht: zwei Che-Guevara-Fahnen, Wände voller Bücher, eine Bob-Dylan-Biografie und Werke zur politischen Ökonomie. Es wirkt wie eine Studentenbude aus den Siebzigerjahren.
Auch Leungs Äußeres erinnert an die Siebziger - doch eher an die des Westens als des Fernen Ostens. Der 53-Jährige trägt sein inzwischen angegrautes Haar als Zopf. Die bis zum Hintern reichende Haarpracht ist für Hongkong absolut untypisch, in den letzten dreißig Jahren wurde sie nur bei kurzen Gefängnisaufenthalten wegen Rowdytums gestutzt. In Chinas autonomer Sonderverwaltungsregion heißt Leung oft einfach "Langhaar".
Che Guevara als Ikone
Londons Erbe: Hongkongs politisches System stammt aus der britischen Kolonialzeit und wurde von China nach Rückgabe der Stadt 1997 kaum verändert. Heute werden nur 30 der 60 Abgeordneten des Legislativrats von der Bevölkerung direkt gewählt, die anderen 30 bestimmen Interessenverbände. Dies garantiert konservativen pekingfreundlichen Unternehmern die Macht.
Pekings Hebel: Die Parteien der Demokratiebewegung kommen so nur auf 23 Sitze, obwohl sie bei Wahlen knapp 60 Prozent der Stimmen bekommen. Der Regierungschef wird de facto in Peking bestimmt und formal von einem 800-köpfigen Gremium überwiegend pekingfreundlicher Wahlmänner gewählt. HAN
Er trägt meist ein T-Shirt mit dem Che-Guevara-Porträt, es gibt in seinem Büro viele weitere Che-Bilder, auch eine Statue, ein Mousepad und eine Tasse mit der Revolutionärsikone. Daneben gibt es das bekannte Bild aus Peking mit dem Demonstranten, der sich 1989 bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung Panzern in den Weg stellt.
Die Studierenden interviewen Leung, dann posieren sie mit ihm neben einer mannshohen Plastikbanane. Mit Bananen machten Leung und die zwei anderen Abgeordneten seiner Liga für Sozialdemokratie, kurz LSD, Schlagzeilen. 2008 hatte sie im elitären Hongkonger Parlament den pekingfreundlichen Regierungschef Donald Tsang mit Bananen beworfen. "Er lehnte unseren Antrag ab, den Essenssatz der Sozialhilfe für verarmte Rentner von umgerechnet 60 auf 80 Euro zu erhöhen", erzählt Leung.
Darauf haben die drei LSD-Abgeordneten Tsang mit vorgehaltenen Bananen gefragt, was diese Früchte im Laden denn kosteten. Als Tsang schwieg, haben sie ihn mit Bananen beworfen und wurden aus einer Sitzung entfernt. Wieder einmal.
Neben Che und langen Haaren sind Bananen seitdem Leungs Markenzeichen in einer Metropole, die eher für unauffällige Anzugträger bekannt ist. Leungs LSD wirbt nun auch mit Plastikbananen. Bei Jungwählern kommt das gut an. Sie freuen sich über die Respektlosigkeit, denn sie stehen Hongkongs Politik oft zynisch gegenüber. Der pekingnahe Abgeordnete Lau Kong-wah nennt Leung einen "Showman" und kritisiert: "Er behauptet, er vertritt die Armen. Aber er repräsentiert nicht unsere Kultur."
Leung kommt aus armen Verhältnissen. Seine Mutter war Haushaltshilfe bei einer britischen Familie, hatte sich von ihrem Mann getrennt und gab Leung zu Pflegeeltern. Er ging nur bis zur Sekundarstufe in die Schule und schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Vieles brachte er sich selbst bei, später schrieb er Fußballkolumnen. "Ich bin der einzige Abgeordnete, der in einer Sozialwohnung wohnt", sagt Leung. Sein Gegner, der Abgeordnete Lau, räumt bei aller Ablehnung ein: "Parlament ist auch Show, und wer nicht zeigt, dass er anders ist, scheitert." Leung, der auch nach Meinung seiner Freunde außer Show nur wenig erreicht hat, sagt: "In der Politik ist Kommunikation alles."
Politisch aktiv wurde er in der "Aktionsgruppe 5. April". Der Name der trotzkistischen Gruppe erinnert an den ersten Protest 1976 in Peking gegen die kulturrevolutionäre Viererbande. Leungs Gruppe, die in Hongkong immer wieder pekingnahe Politiker beschimpfte, fiel mit einem Sarg auf, den sie auf jede Demo schleppte, was meist zu Rangeleien mit der Polizei führte.
2004 wurde Leung nach einem Low-Budget-Wahlkampf erstmals in Hongkongs Legislativrat gewählt. "Ich war so überrascht wie alle Beobachter", sagt er. Seine Direktwahl stellte das Parlament, in dem nur die Hälfte von der Bevölkerung gewählt ist, die andere aber von Industrieverbänden und Ständeorganisationen bestimmt wird, vor ein besonderes Problem. Bis dahin galt eine strenge Kleiderordnung. Leung war schon als Aktivist aus dem Gebäude geworfen worden, wenn er als Zuschauer die Politiker als Lakaien Pekings beschimpfte. Doch den frisch Gewählten rauszuwerfen, weil er im Che-Guevara-T-Shirt auftrat, hätte für ein nur halbdemokratisches Parlament dumm ausgesehen. So wurde die Kleiderordnung geändert.
Am heutigen Mittwoch will Leung zusammen mit vier anderen Abgeordneten mit einem kollektiven Rücktritt Hongkongs Regierung unter Druck setzten - und damit die dahinter stehende Macht in Peking. Die fünf Volksvertreter, jeder aus einem der fünf Wahlkreise der Stadt, zielen so auf eine stadtweite Nachwahl. Die deuten sie als Referendum über eine schnelle Einführung der Direktwahl aller Abgeordneten und des Regierungschefs. "Unser Kampf bei der Nachwahl hat nur ein Thema: allgemeine Wahlen", sagt Leung. "Es geht uns nicht um einzelne Kandidaten, sondern um einen Volksentscheid über dieses wichtige Thema."
Begrenzte Mitsprache
Referenden sind in Hongkong so wenig vorgesehen wie eine baldige Direktwahl aller 60 Abgeordneten und des Regierungschefs. China übernahm 1997 für Hongkong das von den Briten praktizierte politische System, das der Bevölkerung nur begrenzte Mitsprache gibt. Die von den Briten ohne Zustimmung Pekings in letzter Minute durchgeführten demokratischen Reformen nahm China zunächst zurück. Doch bekennt sich Peking in Hongkongs Verfassung zur Demokratie als Ziel, lässt aber den Zeitpunkt offen.
Hongkongs Regierung hat auf Druck Pekings die in Umfragen gewünschte Einführung allgemeiner Wahlen auf frühestens 2017 für den Regierungschef und frühestens 2020 für das Parlament geschoben. Einziges Zugeständnis: Den Regierungschef sollen bald 1.200 elitäre und pekingnahe Wahlmänner wählen dürfen, statt wie bisher 800.
Jetzt ist der Rücktritt Leungs und seiner Freunde ein Aufreger - sowohl in der lokalen Demokratiebewegung als auch im pekingfreundlichen Regierungslager. Zum einen, weil nur eine Minderheit der pekingkritischen Parteien den Plan unterstützt. Zwar kommen diese Parteien bei Wahlen auf fast 60 Prozent der Stimmen, aber wegen des kolonialen Systems nur auf 23 der 60 Sitze. Die größte pekingkritische Partei, die Demokratische Partei, lehnt den Referendumsplan ab, weil er nur schwer zu vermitteln sei. Leung schimpft auf die Partei, die vor allem die Mittelschicht vertritt: "Die Demokraten machen jetzt, was Peking will. Sie sind eine loyale Opposition."
Der pekingkritische Gewerkschafter und Parlamentskollege Lee Cheuk-yan kritisiert, dass "Langhaar" oft andere Parteien der Demokratiebewegung angreife und so spalte. Das erschwere die Zusammenarbeit. Doch gebe es auch eine informelle Arbeitsteilung: "Er attackiert den Gegner und macht ein Thema publik. Ich räume dann die Scherben auf und erreiche Fortschritte durch Verhandlungen. Die sind nicht Leungs Sache." Leung habe frischen Wind ins System gebracht, doch inzwischen sei er berechenbar.
Der in Festland-China oft mit Einreiseverbot belegte Leung zeigt mit seinen Aktionen, dass Hongkong weiterhin mehr Freiheiten hat als der Rest der Volksrepublik. Peking hält sein Autonomieversprechen weitgehend ein. Doch Leung ist inzwischen die Machtlosigkeit als Abgeordneter in einem nur halbdemokratischen System leid. Den Legislativrat empfindet er als Farce. Zwar ist er stolz, ihn aufgemischt zu haben, er sagt aber auch: "Es ist ziemlich langweilig dort". Ein Geschäftsmann behauptet, Leung würde nicht gewählt, hätte Hongkong echte Demokratie: "Dann wollten die Menschen ihre Stimme doch nicht verschenken."
"Politischer Selbstmord"
"Leung hat viele Menschen davon überzeugt, dass Hongkongs Legislativrat nutzlos ist", sagt Michael DeGolyer. Der Professor der Hongkonger Baptist University macht regelmäßig Umfragen in der Stadt: "Leung wurde von denen gewählt, die sehr unzufrieden sind." An eine Wiederwahl Leungs glaubt DeGolyer aber nicht. "Bisher reichten zehn Prozent der Stimmen, um einen der sieben Sitze in seinem Wahlkreis zu bekommen. Doch bei der Nachwahl braucht er für den einen Sitz die Mehrheit der Stimmen." Leung könne nur maximal mit einem Drittel der Stimmen rechnen. Der Referendumsplan sei deshalb politischer Selbstmord. Er gefährdet zudem den Einfluss der Peking-Kritiker. Rutschen diese unter ein Drittel der Sitze, kann die Demokratiebewegung keine Verfassungsänderungen mehr verhindern.
Doch auch das pekingnahe Lager ist im Dilemma. Erst erklärten Vertreter die bald anstehende Wahl zu einer normalen Nachwahl, sie sei eben kein Referendum. Doch vergangene Woche verurteilte Chinas Regierung die Aktion plötzlich als ein Referendum, das in der Verfassung nicht vorgesehen sei, sowie als Herausforderung ihrer Autorität. Dieser Schwenk ist für Leung und seine Freunde willkommene Werbung, doch tendieren die pekingnahen Parteien jetzt nach dem Wink aus der Hauptstadt zum Wahlboykott.
Nachdem Leungs junge Fans das Büro strahlend verlassen haben, gibt er sich trotz Risiken sicher: "Ich zeige den jungen Leuten, dass der Legislativrat nicht heilig ist, sondern eine Bühne für die Menschen auf der Straße sein kann. Meine Unterstützung wächst, gerade unter jungen Menschen." Auf dem Weg zur U-Bahn sagt er: "Heute habe ich drei Studentengruppen getroffen. Das sind wieder fünfzehn neue Wähler."
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