Religionsausübung in Berlin: Verband reicht Klage gegen Gebetsverbot an einer Schule ein
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte verklagt eine Schule wegen Diskriminierung. Diese hat ihren Schülern untersagt, dort „demonstrativ“ zu beten.
taz | Weil ein Gymnasium in Mitte es Schüler*innen verbietet, auf dem Schulgelände zu beten, reicht die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) nun eine Klage gegen die Schule ein. Dies teilte die GFF am Donnerstag mit, das Verwaltungsgericht bestätigte den Eingang der Klage.
Grundlage der Klage am Berliner Verwaltungsgericht ist demnach Berlins Landesantidiskriminierungsgesetz. Es ermöglicht Verbänden, juristisch dagegen vorzugehen, wenn die Verwaltung, Schulen, Behörden, Polizei, Justiz, Feuerwehr oder andere öffentliche Stellen Bürger*innen ungerecht behandeln und diskriminieren.
Laut GFF soll die Schule über ihre Schulordnung „die demonstrative Ausübung religiöser Riten“ verbieten. Dies geschehe im „Interesse des Schulfriedens“. Das kritisiert die GFF: „Die allgemein formulierte Regelung in der Schulordnung richtet sich de facto gegen muslimische Schüler*innen, denen das islamische Gebet auf dem Schulgelände untersagt wird“, sagt Soraia Da Costa Batista, Juristin bei der GFF.
Die GFF begründet ihre Klage folgendermaßen: Das pauschale Verbot diskriminiere Schüler*innen aufgrund der Religion, der ethnischen Herkunft und rassistischer Zuschreibungen. Es treffe gläubige muslimische Schüler*innen, die das tägliche Beten als religiöse Pflicht empfinden. Es greife unverhältnismäßig in die Grundrechte der Schüler*innen ein. „Außerdem verhindert das Verbot, dass die Schuler*innen religiöse Vielfalt erfahren und im Fall von Konflikten lernen damit umzugehen“, schreibt die GFF.
„Wir haben mit aktuellen und mit ehemaligen Schüler*innen gesprochen. Sie haben uns berichtet, dass sie teils heimlich beten, und sich dafür hinter Containern, Mülltonnen, Büschen oder in Toiletten verstecken“, sagt Da Costa Batista der taz. Wenn ein Lehrer sie erwische, würden sie einen Tadel bekommen. Die GFF habe seit 2023 Schulordnungen in Berlin überprüft und habe in mehr als 20 Fällen Gebetsverbote, Kleidervorschriften und Deutschpflicht auf dem Schulhof beanstandet. Die meisten Schulen hätten eingelenkt und ihre Regelungen geändert.
Kritik an pauschalem Verbot
Auch mit der Schule, gegen die sich nun ihre Klage richtet, hätten sie das Gespräch gesucht, sagt Da Costa Batista. „Sie haben sich aber vehement geweigert, die Regel zu streichen“, sagt die Juristin. Die Regelung sei ein „tiefer Eingriff in die Grundrechte“ der Schüler*innen. „Wenn überhaupt kann eine Schule im Einzelfall das Gebet verbieten, aber nicht kollektiv und nicht dauerhaft“, sagt sie. Anhand der Klage will die GFF die „Diskriminierung gegenüber der sichtbaren, islamischen Ausübung“ von Gebeten gerichtlich feststellen. Sie erhoffen sich von einer Grundsatzentscheidung deutschlandweit Konsequenzen.
An vielen Schulen ist es pragmatische Praxis, dass Lehrer*innen denjenigen Schüler*innen, die gern beten wollen, dazu kurz einen leeren Klassenraum aufschließen. 2011 war ein Schüler aus Berlin, der gegen ein Gebetsverbot an seiner Schule geklagt hatte, vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert. Der Richter hatte das mit religiösen Spannungen an der Schule begründet. Er betonte aber auch, dass jenseits konkreter Konflikte derzeit keine Gebetsverbote an Schulen zulässig seien. Nur wenn der Schulfrieden gefährdet sei, sei ein Verbot begründbar.
„Der Versuch, das Recht auf Gebete oder Gebetsräume vor Gericht zu klären, zieht das Thema auf die juristische Ebene“, sagt Michael Hammerbacher, Leiter von Devi e.V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung. „Dabei geht unter, dass es eigentlich eine gesellschaftliche, politische und pädagogische Frage ist.“ Ihn habe stutzig gemacht, dass es in der Schulordnung wohl um die „demonstrative Ausübung religiöser Riten“ gehe, sagt er. Mit dem Bezug auf das „demonstrative“ wäre die Schulordnung aus seiner Sicht angemessen.
„Mir stellt sich da die Frage: Was hat die Schule für Erfahrungen gemacht, welche Kräfte wirken vielleicht auch von außen auf sie ein?“, sagt Hammerbacher. Es käme vor, dass manchmal auch undemokratische Haltungen mit einer demonstrativen Religionsausübung verbunden seien, etwa wenn Schüler*innen auf Einhaltung religiöser Regeln drängen, und sich damit gegen Unterrichtsinhalte oder gegen LGTBIQ-Schüler*innen und Lehrkräfte wendeten. „Man sollte den Schulen das Handwerkszeug lassen, sich gegen solche Einflüsse zu wehren.“ Eine juristische Einschränkung sei da eher kontraproduktiv.
Diskrimierungen und Diskriminierte
„Die ersten, die unter einem reaktionären Religionsverständnis leiden, das sind unserer Erfahrung nach säkulare und liberale Muslim*innen, und sie sind auch die Mehrheit“, sagt Hammerbacher. Auch das Argument, das die Schüler*innen darüber etwas über religiöse Vielfalt lernen würden, will er nicht gelten lassen. „Das kann zum Beispiel auch Inhalt des Ethikunterrichts sein“, sagt er.
Tatschlich ist die Frage der Diskriminierung im Kontext von muslimischer Religionsausübung vielschichtig. Einerseits berichten Meldestellen von steigendem antimuslimischem Rassismus und gerade männlich und muslimisch gelesene Jugendliche sind Diskriminierung und Altagsrassismus ausgesetzt. Gleichzeitig aber erleben minorisierte Gruppen wiederum teils einen mit dem Islam begründeten Druck und Ausgrenzungen.
Der Bund der alevitischen Jugend (BDAJ) arbeitet schon lange zu Diskriminierungen und Rassismus auch innerhalb der migrantischen Communities. Alevit*innen berichteten dabei wiederholt, wie sie gerade in der Schule von Mitschüler*innen unter Druck gesetzt würden, weil sie etwa im Ramadan nicht fasteten. Mädchen und junge Frauen müssen sich teils Kritik an einem angeblich zu freizügigen Kleidungsstil anhören.
Die Senatsverwaltung für Bildung äußert sich zu der Klage bisher nicht. Die Klage sei bei Ihnen auch noch gar nicht eingegangen, heißt es dort.
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